Mohammad Al Kazah beobachtet die Lage in seiner Heimatstadt Damaskus zurzeit ganz genau. Nach dem Sturz des Assad-Regimes Anfang Dezember haben Menschen in ganz Syrien einen Neubeginn gefeiert – und Mohammad Al Kazah mit ihnen. Die Frage, die den Borgfelder seitdem umtreibt: Wann ist der richtige Zeitpunkt, um nach Syrien zurückzukehren? Sein größter Wunsch: "Ich möchte mit meiner Mutter meinen Großvater besuchen - ich habe ihn seit neun Jahren nicht gesehen."
Erste Bleibe in Borgfeld
Als der Krieg in Syrien begann, war Mohammad Al Kazah zwölf Jahre alt. Fünf Jahre später machte er sich auf den Weg über die Türkei nach Bremen – und landete als unbegleiteter Jugendlicher in einer Notunterkunft in einer Borgfelder Ballsporthalle. Sein Vater, ein ehemaliger Hochschuldozent in Damaskus, hatte dem Sohn zur Flucht geraten. Über einen Monat lang war der damals 17-Jährige unterwegs – bis er in Borgfeld für drei Monate eine erste Bleibe fand. Er tauschte das Bett im Haus der Eltern gegen ein Feldbett in der Turnhalle und nahm sein Leben selbst in die Hand. "Ich lernte Deutsch, absolvierte die Fachhochschule und stehe nun kurz vor meinem Bachelor in Medieninformatik." Doch während der 26-Jährige das alles erzählt, überkommt ihn ein Gefühl von Heimweh. Seit dem Sturz des Assad-Regimes telefoniert der Wahl-Bremer fast täglich mit Verwandten – "das war bislang ja gar nicht möglich, so offen zu sprechen. Wenn wir uns über Politik unterhielten, machten wir das verschlüsselt", erzählt der Student. Die Menschen in Syrien seien zurzeit euphorisiert, würden auf die Straße gehen, um die Trümmer des Kriegs aufzuräumen. "Sie fegen die Straßen und versuchen, sich etwas aufzubauen."
Noch sei unklar, wie es weitergeht, sagt Al Kazah. Als in Syrien im Februar 2011 der Krieg ausbrach, war sein Vater Leiter einer Schule bei Damaskus – "viele Menschen gingen damals auf die Straße, um gegen die Regierung zu demonstrieren." Mitauslöser für den Beginn des Bürgerkriegs in Syrien seien damals Graffiti gewesen, die einige Jungen in der syrischen Stadt Daraa an die Wand ihrer Schule gesprüht hatten: „Nieder mit dem Präsidenten“ und „Du bist dran, Doktor“ – so wurde Assad als studierter Augenarzt genannt. Dafür wurden die 14-Jährigen später verhaftet – und gefoltert. Proteste ihrer Eltern führten schließlich zu Massendemonstrationen, an denen sich auch Mohammad Al Kazah und seine Familie in Damaskus beteiligten.
"Wir haben erlebt, dass der syrische Geheimdienst auf einer Demo einfach auf Schüler geschossen hat." Überall im Land seien Menschen einfach verschwunden, wenn sie sich der Regierung widersetzten. Eines Tages sei der Geheimdienst auch zu ihnen nach Hause gekommen. "Sie wollten die Namen von Schülern haben, die an der Schule meines Vaters eine Demo organisiert hatten." Sein Vater habe die Aussage verweigert. "Wir lebten in ständiger Angst", erinnert sich der Bremer Student.
Das syrische Folter-Gefängnis Sednaja, das inzwischen in der ganzen Welt bekannt sei, habe ganz in der Nähe ihres Heimatdorfs bei Damaskus gelegen. "Wir wussten, was dort passiert." Der lange Krieg habe die Menschen zermürbt. Zwei seiner Onkel seien im Krieg gestorben. Dass das Land jetzt an einem Wendepunkt stehe – "könnte ein großes Glück werden", aber bis dahin sei es noch ein langer Weg, vermutet der 26-Jährige.
Die anfängliche Euphorie werde immer wieder getrübt von Anschlägen alter Milizen. Mohammad Al Kazah zückt sein Handy und zeigt einen Film: Milizen schießen auf offener Straße. Er wünsche sich eine friedliche Koexistenz zwischen allen Syrern. "Sunniten, Schiiten, Alawiten und Drusen, die ,Nein zum Rassismus' sagen."
Hoffnung liegt auf Neuwahlen
"Wir erwarten, dass es im März Neuwahlen gibt und ein Parlament gebildet wird, indem alle Bevölkerungsgruppen zu gleichen Teilen vertreten sind." Allerdings solle man alle Nachfolger der Assadregierung ausschließen, fordert Al Kazah. "Wir möchten, dass Leute, die im Krieg Unrecht begangen haben, sich vor Gericht verantworten müssen. Dann hoffen wir, dass wir das Land wieder aufbauen können." Wenn die Situation in Damaskus stabil sei, wolle er einen Flug buchen. "Ich möchte Syrien wiedersehen, aber dort zu leben, das kann ich mir jetzt noch nicht vorstellen", stellt er klar.
Jahre lang habe er als junger Erwachsener unter Albträumen gelitten: "Im Traum bin ich über den Libanon zurück nach Syrien gekommen – bin mit dem Auto von Beirut nach Damaskus gefahren, um meine Familie zu sehen. Doch als ich sie sehe, löst sich plötzlich alles auf und ich bin nicht mehr da." Seit seine Eltern und seine beiden Geschwister vor einem Jahr über ein Familienzusammenführungsprogramm nach Bremen kommen durften, sei der Traum verschwunden. Doch die Angst habe sich tief in ihm eingebrannt.
Für sein wirkliches Leben hat Mohammad Al Kazah einen anderen Traum: "Ich stelle Düfte her – und würde sie gerne vermarkten", sagt er. Eine Arbeit, die er sowohl in Deutschland als auch in Syrien machen könne. "Vielleicht sogar eine, die beide Länder irgendwann einmal miteinander verbindet."