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Evangelische Kirche Wie die Gemeinden auf die Missbrauchsstudie reagieren

Mehr als 2000 Menschen haben in der Evangelischen Kirche laut einer Studie sexualisierte Gewalt erlebt. Wie reagieren Pastorinnen und Pastoren auf die kürzlich veröffentlichte Forum-Studie?
06.02.2024, 05:00 Uhr
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Wie die Gemeinden auf die Missbrauchsstudie reagieren
Von Petra Scheller

Borgfeld/Landkreis Osterholz. Mindestens 2225 Menschen haben in den vergangenen Jahrzehnten in der Evangelischen Kirche sexualisierte Gewalt erlebt. Das geht aus der sogenannten Forum-Studie hervor, die vor einigen Tagen veröffentlicht wurde und bundesweit für Aufsehen gesorgt hat. Ein Forschungsverbund aus acht Universitäten und Institutionen hat die Erkenntnisse gewonnen – das Ergebnis sei jedoch erst die „Spitze des Eisberges“, sagte Studienleiter Martin Wazlawik von der Hochschule Hannover. Die Forscherinnen und Forscher gehen von mehr als 1259 mutmaßlichen Tätern aus der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD) und der Diakonie aus. Dieses Ergebnis hinterlässt auch in den kleinen Kirchengemeinden vor Ort, in denen großes ehrenamtliches Engagement zu verzeichnen ist und die ohnehin seit Jahren mit einer steigenden Zahl von Kirchenaustritten zu kämpfen haben, einige Spuren. 

Was sagen Pastorinnen und Pastoren aus der Region zu der Studie?

„Die Ergebnisse sind erschreckend, besonders die Unkultur des Wegschauens und des Verschweigens“, berichtet Pastorin Maike Harbrecht, Vertretungspastorin der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK) in Borgfeld. Es sei gut, dass es die Studie gibt. Jedoch „beschämend, wie schlecht die Evangelischen Landeskirchen bereit waren, daran mitzuwirken, obwohl sie selbst die Studie in Auftrag gegeben haben“, kritisiert die Seelsorgerin. Sie fordere seit Jahren eine von der Kirche „unabhängige Aufarbeitung der bisher bekannten Fälle der Bremischen Evangelischen Kirche. Damit die Betroffenen sich ernst genommen fühlen, eventuell Entschädigungen bekommen.“ Harbrecht verweist darauf, dass es in allen gesellschaftlichen Bereichen zu Übergriffen komme. Die Borgfelder Pastorin hat nach eigenen Aussagen selbst an der Studie mitgewirkt. Der Grasberger Pastor Thomas Riesebeck ist nach Veröffentlichung der Studie „fassungslos“, wie er sagt. Viele Jahre sei sexueller Missbrauch in Kirchenkreisen der katholischen Kirche zugeordnet worden. Bislang sei das Thema in den Gemeinden noch „nicht groß thematisiert worden.“ Das bestätigt auch die Superintendentin des Kirchenkreises Osterholz-Scharmbeck, Jutta Rühlemann. „Bis heute sind keine Fragen an mich herangetragen worden.“ Doch die „Erkenntnisse der Studie müssen innerhalb unserer Strukturen zu grundlegenden Veränderungen führen“, unterstreicht Rühlemann. 

Gab es Fälle sexuellen Missbrauchs in Kirchengemeinden der Region?

In der Borgfelder Kirchengemeinde gab es nach Aussagen des Kirchenvorstandes Klaus Nannt bislang keine bekannten Fälle. Ebenso wenig in der Gemeinde Grasberg, berichtet Pastor Thomas Riesebeck. Der Lilienthaler Pastor Wildrik Piper will sich zu der "sensiblen Thematik", wie er sagt, nicht öffentlich äußern. Er verweist auf Jutta Rühlemann als Ansprechpartnerin. Die Superintendentin beantwortet die Frage so: "Die mir bekannten Fälle liegen mehr als 30 Jahre zurück." Ihrer Kenntnis nach gab es "sofort und unmittelbar dienstrechtliche Konsequenzen." 

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Steigt seit Veröffentlichung der Studie die Zahl der Kirchenaustritte?

Das lasse sich noch nicht genau sagen, heißt es aus den Kirchengemeinden. Laut Katrin Kehlert, Fachbereichsleiterin des Finanz- und Ordnungswesens in Worpswede, die vom Rathaus in Worpswede auch die Kirchenaustritte für Grasberg und Lilienthal registriert, traten im Januar in den drei Gemeinden 26 Menschen aus der Evangelischen Kirche aus – davon 15 in Lilienthal, sechs in Grasberg und fünf in Worpswede. Ein Anstieg gegenüber anderen Monaten ist damit nicht erkennbar. Zum Vergleich: 2023 wurden laut Kehlert in den drei Gemeinden mehr als 400 Kirchenaustritte verzeichnet; 2018 waren es hingegen nur 224 Austritte. Die Kirchengemeinde Borgfeld hat laut einer Sprecherin der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK) aktuell 3454 Gemeindeglieder. 2023 waren es noch 3566 Mitglieder, 2018 zählte die Kirche 4086 Menschen. Welche Auswirkungen die Missbrauchsstudie auf die Kirchenaustritte haben könnte, lasse sich erst Ende April beziehungsweise Ende des Jahres eindeutig beantwortet werden, heißt es seitens der BEK. 

Wie gehen die Kirchengemeinden mit den Studien-Ergebnissen um?

"Im Hinblick auf die aktuelle Problematik von sexualisierter Gewalt haben wir in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von präventiven Maßnahmen und Standards entwickelt, um Menschen vor Übergriffen zu schützen", sagt die Chefin des Kirchenkreises Osterholz-Scharmbeck, Jutta Rühlemann. In den Kindertagesstätten seien Schutzkonzepte Bestandteil des Qualitätsmanagements. In den Beratungen seien geschulte Profis tätig. Kirchenvorstände erarbeiteten flächendeckend Schutzkonzepte. "Dies alles dient dazu, dass wir noch sensibler werden gegen jede Art von Übergriffen", so Rühlemann weiter. "Und gleichzeitig bitten wir alle von sexualisierter Gewalt Betroffenen, sich bei uns oder bei externen Ansprechstellen zu melden. Ich hoffe sehr, dass die Studie viele dazu ermutigt."

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Zur Sache

Beratung für Betroffene

Die Zentrale Anlaufstelle "help" berät Betroffene von sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche und Diakonie – kostenlos und anonym. Ein Kontakt ist per E-Mail an zentrale@anlaufstelle.help sowie telefonisch unter der Nummer 0800 5040112 möglich. Eine Terminvereinbarung für eine telefonische Beratung ist montags von 14 bis 15.30 Uhr möglich sowie dienstags bis donnerstags von 10 bis 12 Uhr.

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