
Zum ersten Mal übt die Nordbremer Strömungsrettergruppe der DLRG an der Brücke in Burg.
Konzentriert befestigt Jonas Michalewski das Seil am Karabiner. Dann lässt der 21-Jährige das Brückengeländer los. Er lehnt sich langsam zurück, bis er fast waagerecht steht, gehalten allein durch das Seil. Jetzt kommt der Punkt, der alle in der Gruppe am Anfang Überwindung gekostet hat. Die Füße haben außen an der Brücke noch Halt, während Michalewski seinen Oberkörper Stück für Stück weiter herunterlässt. Er hängt nun fast kopfüber. Schließlich stößt er sich an der Brücke ab, seine Beine schwingen nach unten. Das letzte Stück lässt er sich zügig am Seil herab. Es endet kurz über der Wasseroberfläche. Der Strömungsretter landet im Fluss.

Kaatje Knüver ist wie ihre Teamkollegen aus der Strömungsrettergruppe erfahrene Rettungsschwimmerin.
Es ist das erste Mal, dass die Nordbremer Gruppe der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) das Abseilen von der Lesumbrücke in Burg übt. Bisher hat das insgesamt siebenköpfige Team auf dem Hof der DLRG-Wache in Aumund und in Bremerhaven trainiert. Auch dort, ebenso wie im DLRG-Bezirk Bremen-Stadt, gibt es seit 2017 Strömungsretter. Die Ausbildung läuft über den DLRG-Landesverband und findet überwiegend in Bremerhaven statt. „Die Ausbilder wohnen dort“, erläutert Jan Sommer, stellvertretender Leiter der Nordbremer Gruppe, den Grund. Regelmäßig besuchen die Strömungsretter auch Lehrgänge. Erst kürzlich haben sie an einer Fortbildung in der Wildwasser-Anlage Bischofsmühle in Hildesheim teilgenommen.
Strömungsretter sind speziell ausgebildete Wasserretter. Zu ihren Kernkompetenzen gehören Mobilität in stark strömenden Gewässern und Rettungstechniken, bei denen Seile eingesetzt werden. So können sie beispielsweise Seilbrücken spannen, die von einem Ufer zum anderen oder steile Abhänge hinauf führen, und Flaschenzüge bauen. „Neulich haben wir in Höhe der DLRG-Wache und der Marineoperationsschule eine Seilbrücke über die Geeste gespannt“, erzählt Jan Sommer über eine Übung in Bremerhaven. Mithilfe einer Schleifkorbtrage, die mit Schlaufen an der Seilbrücke befestigt wird, transportieren die Retter Verletzte. Zum Einsatz kommen Strömungsretter, wenn die Strömung für Rettungsschwimmer und Taucher zu stark und zu gefährlich ist. Dann können auch Rettungsboote meistens nicht mehr fahren.
USA waren Vorreiter

Die Strömungsretter kraulen in voller Montur – in Trockenanzug, mit Helm und Prellschutzweste – durch die Lesum.
Während Strömungsretter im Süden Deutschlands, wo es viele schnell fließende Gewässer gibt, schon sehr etabliert sind, werden sie im Norden noch nicht so lange eingesetzt. Im Zuge der klimatischen Veränderungen, die in Zukunft mehr Hochwasser erwarten lassen, werden jedoch immer weitere Gruppen gegründet. „Wir könnten beispielsweise dabei helfen, Menschen bei Hochwasser aus Häusern und von Dächern zu retten“, nennt Jan Sommer ein Beispiel. Ursprünglich stammt diese Form der Wasserrettung aus den USA, wo es den Swiftwater Rescue Technician (Rettungstechniker für schnelles Wasser) bereits seit Ende der 1970er-Jahre gibt. Nach dem Elbe-Hochwasser 2002 wurde die Ausbildung auch in Deutschland eingeführt. Ausbilder sind die DLRG und die Wasserwacht des Deutschen Roten Kreuzes.
Das Nordbremer DLRG-Team übt an diesem Tag zu viert. Jan Sommer, Kaatje Knüver, Paul Völtz und Jonas Michalewski haben sich zunächst an der DLRG-Wache getroffen und ihre persönliche Ausrüstung überprüft. Alle Gruppenmitglieder haben eine eigene Tasche, in der ein Trockenanzug, Neoprenschuhe mit stabiler Sohle, ein Helm, eine Prallschutzweste mit Ausstattungstaschen, ein Klettergurt, ein 100 Meter langes Seil, Schlingen, diverse Karabiner und Rollen, Kantenschutz und ein Wurfsack verstaut sind. „Bei einem Einsatz haben wir natürlich auch Erste-Hilfe-Material dabei“, sagt Jan Sommer.
Ausbilder Hendrik Cherubim ist extra aus Bremerhaven gekommen, um die Nordbremer bei ihrem Training zu unterstützen. Vom Rettungsboot „Dükerhölper“ aus sorgen außerdem Lutz Schiebenhöfer und Anna-Sophie Hosty für Sicherheit. Das Boot ist allerdings noch nicht eingetroffen, als die Strömungsretter sich zunächst einmal – quasi zum Aufwärmen – in die Lesum begeben und den Fluss in vollständiger Montur zweimal quer durchschwimmen.
Über ihre Übung hat die DLRG-Gruppe vorab Polizei und Feuerwehr informiert. „Die Strömung ist im Moment nicht besonders stark“, stellt Jan Sommer kurz vor der Start fest. Die erfahrenen Rettungsschwimmer hätten aber auch in einem schneller fließenden Fluss keine Schwierigkeiten. Florian Hintz Evora, Leiter der Gruppe, hat beim Aufbau des Teams darauf geachtet, dass alle Mitglieder körperlich besonders fit sind. „Ausdauer- und Krafttraining ist für uns ganz wichtig“, betont Jan Sommer. Außerdem haben sie alle bereits die Ausbildung zum „Strömungsretter Stufe 1“ gemacht, die praktische Übungen im Strömungsschwimmen beinhaltet.
„Wir haben beispielsweise gelernt, Hindernissen im Wasser auszuweichen“, erläutert Jan Sommer. Auch das passive Schwimmen in Rückenlage, bei denen die Strömungsretter sich mit den Füßen voran treiben lassen, und das Durchschwimmen eines reißenden Flusses als Team waren Teil der Ausbildung. Deshalb kraulen die Vier jetzt so entspannt durch die Lesum wie durch ein Schwimmbecken und halten dabei eine bestimmte Formation ein.
Acht Meter bis zum Wasser
Mit von der Kälte geröteten Wangen – es sind nur zwölf Grad und dazu weht ein frischer Wind – steigen die Rettungsschwimmer anschließend aus dem Wasser. Es geht die Treppe und die Uferböschung hinauf und zurück auf die Brücke, wo es nun an die Vorbereitungen für das Abseilen geht. Ausbilder Hendrik Cherubin gibt hier und da Tipps, kontrolliert, ob der Kantenschutz über dem Seil richtig sitzt, prüft Schlaufen und Karabiner. Sicherheit geht vor, denn von der Brücke bis zur Wasseroberfläche sind es, schätzt Jan Sommer, jetzt bei Hochwasser immerhin etwa acht Meter.
Kaatje Knüver ist hoch konzentriert, als sie sich mit ernster Miene über das Brückengeländer schwingt. Nachdem sie sich das erste Mal abgeseilt hat, zurück ans Ufer geschwommen und zurück auf die Brücke gekehrt ist, hat sich der Gesichtsausdruck der 17-Jährigen geändert. Sie grinst breit. „Das macht Spaß.“ Auf die Kälte angesprochen, schüttelt sie den Kopf. „Es ist ein bisschen kühl, aber das macht nichts.“ Offensichtlich kann sie es kaum erwarten, sich ein weiteres Mal abzuseilen.
Ihre Teamkollegen sind ebenfalls begeistert. Bevor Jonas Michalewski zum dritten Mal in der Tiefe verschwindet, schwärmt der 21-Jährige, der sich zusätzlich bei den Johannitern engagiert: „Wasser und Rettung – das ist schon immer genau mein Ding gewesen. Und bei welchem Hobby kann man sich sonst von einer Brücke abseilen?“ In der Zusatzausbildung als Strömungsretter sieht er einen großen Vorteil: „Im Katastrophenfall sind wir flexibler einsetzbar.“
Jonas Michalewski und Jan Sommer sind kurz davor, auch die nächste Ausbildungsstufe zum Truppführer zu beenden. Für einen Einsatz sind die Nordbremer Strömungsretter auf jeden Fall gut vorbereitet.