Männer seien eitler als Frauen. Behauptet jedenfalls Gesine Marwedel. Die Herren der Schöpfung glauben nämlich oft, sie müssten sich erst noch ein paar Muskeln antrainieren. Frauen würden dagegen wesentlich entspannter mit ihrer Körperlichkeit umgehen, sich so, wie sie eben sind, kolorieren lassen und sich am Ergebnis erfreuen. Marwedel muss es wissen: Sie hat schon hunderte Leiber bemalt, in den weitaus meisten Fällen halt solche von Frauen: von großen, kleinen, dicken und dünnen nahezu jeden Alters.
Eigentlich hat sie ursprünglich ganz konventionell auf Leinwand gemalt. Bis ihr ein Freund die menschliche Haut zur Bemalung vorschlug. Die anfängliche Skepsis wich zunehmender Begeisterung, erzählt die Künstlerin. So sehr, dass sie seit nunmehr vierzehn Jahren das „Fine-Art Bodypainting und Tierbodypainting“ zu ihrer Profession gemacht hat. Und zwar sehr erfolgreich. Sie ist präsent auf internationalen Ausstellungen und hat bereits etliche Kunstpreise eingeheimst. So auch anno 2021, als sie von einer Fachjury unter vierzig Bewerberinnen und Bewerbern als Gewinnerin des Kunstpreises der Atelierkate Lesum gekürt wurde. Die damit verbundene Möglichkeit einer Einzelausstellung konnte sie jetzt wahrnehmen: „HAUTnah“ wurde am Sonntag unter regem Publikumsinteresse eröffnet.

Modell Julia Janßen in einer Installation von Bodypainting-Künstlerin Gesine Marwedel bei der Eröffnung ihrer Ausstellung in der Atelierkate Lesum. Bremen Lesum, 24.04.2022.
Im schönen Ambiente des alten Fachwerkhauses gleich hinter der Lesumer Kirche, in dem auf Initiative der Künstlerin Claudia Wimmer im Jahr 2009 ein kleines, aber feines Kunstzentrum entstanden ist, konnte zugleich auch der 13. Katen-Geburtstag begangen werden. Für die passend stilvolle Musikuntermalung sorgte dabei das Gitarrenduo „Saitenblicke“ (Jasmyn Cordes-Blohm und Frank Ahrens).
„HAUTnah“ zeigt etliche großformatige Fotos und ein Video, was einen guten Einblick in Marwedels Schaffen vermittelt. Zu sehen ist etwa das Bild eines vielfarbig leuchtenden, naturalistisch wirkenden Eisvogels. Nichts Besonderes eigentlich – bis man bei genauerem Hinsehen im dunklen Hintergrund das Gesicht der Künstlerin zu erkennen meint. Und es dauert noch einige Blicke mehr, bis sich dieses Gesicht schließlich ihrem bemalten Körper zuordnen lässt. Entstanden ist dieses raffinierte Kunstwerk in der Anfangszeit der Pandemie, als Bodypainting von Amts wegen nicht als künstlerische Tätigkeit bewertet wurde, sondern als „körpernahe Dienstleistung“ verboten war.
Was die zu jener Zeit schwangere Marwedel einfach mal dazu nutzte, den eigenen Körper unter Inkaufnahme manch unangenehmer Verrenkungen kunstvoll zu bemalen und das Ergebnis fotografisch zu dokumentieren. Diese fotografische Inszenierung sei übrigens, wie sie anmerkt, einstmals ihre eigene Idee gewesen, die inzwischen auch von anderen Bodypaintern übernommen wurde. Denn anders als etwa bei einem Tattoo oder einem Kunstwerk auf Leinwand ist ein Körperbild, dessen Entstehung sich über viele Stunden hinzieht und innerhalb eines einzigen Tages abgeschlossen sein muss, leider nicht von Dauer: Die hautfreundlichen Spezialfarben halten nur bis zum nächsten Duschbad.

Bodypainting-Künstlerin Gesine Marwedel (rechts) mit Claudia Wimmer, Inhaberin der Atelierkate Lesum (links) bei der Eröffnung der Ausstellung in der Atelierkate Lesum.
An Models fehlt es übrigens längst nicht mehr. Auch nicht an Ideen für immer neue Motive. Zumeist geht es dabei um Tier- oder Pflanzendarstellungen, die die Künstlerin teils schon vorab passend vorgesehen hat, bisweilen aber auch erst dann entwickelt, wenn sie mehr weiß über die Wünsche und Körperverhältnisse der zu bemalenden Person. Oder auch gleich einer ganzen Gruppe. So zeigt ein ausgestelltes Bild etwa eine wunderschöne einzelne Blüte mit radial angeordneten Blättern, bei denen es sich in Wahrheit um zwanzig kolorierte Menschen handelt. Von dem Anblick der Blüte ist das Auge indes derart in Anspruch genommen, dass es einiges an Konzentration erfordert, die kunstvoll eingefärbten Personen dahinter als solche überhaupt wahrzunehmen. Ein verblüffender Effekt, der sich so oder ähnlich bei vielen Bildern erleben lässt. Abzüge der Fotos, die in begrenzter Auflage vorliegen, können übrigens käuflich erworben werden. Aber wie Marwedel anmerkte, gibt es ein fast noch größeres Interesse von Kunstliebhabern, sich doch gleich selbst als menschliche Leinwand zur Verfügung zu stellen.
Neugierig geworden? Die interessante Ausstellung kann voraussichtlich vier Wochen lang besucht werden, und zwar immer dann, wenn ein „Geöffnet“-Schild an der Tür hängt. Gerne aber auch, indem man vorab telefonisch mit Hausherrin Wimmer einen Wunschtermin vereinbart.