Auf den ersten Blick scheint es skurril: Jedes Frühjahr rennen in Deutschland ganze Gruppen von Menschen Vögeln hinterher: Birdrace, zu deutsch Vogelrennen, ist Vogelbeobachtung als sportlicher Wettkampf. Stetig steigende Teilnehmerzahlen zeigen dem Bremer Biologen Bastian Bunke eins: Vogelbeobachtung liegt im Trend. Bunke sagt, an welchen Plätzen Raritätenjäger in der Region fündig werden – mitten im Winter ganz ohne Gerenne.
Bastian Bunke ist 29 Jahre alt und arbeitet als Ornithologe für den BUND. Gebürtig stammt er aus Bremen-Nord, weshalb er weiß, wo nördlich der Lesum seltene Vögel gut zu beobachten sind. "Hier habe ich meine ersten ornithologischen Schritte gemacht.“ An erster Stelle steht für ihn eine einsame Hütte am idyllischen Dunger See mit seinen kleinen Inseln und Flachwasserzonen in Burglesum.
Der Beobachtungsstand liegt am Radwanderweg, der von der Lesumbroker Landstraße am Dunger See vorbeiführt. Allerdings müssen Ausflügler schon genau hingucken: Der See befindet sich wie die beiden Beobachtungshütten am Nord- und Südufer versteckt hinter Bäumen. „Viele wissen gar nicht, dass es hier einen See gibt“, sagt Birgit Olbrich, die für den BUND Schutzgebiete betreut und Bunke an diesem Tag begleitet. Einsicht auf die Wasserfläche hat nur, wer sich in die Hütte begibt: Ein Sehschlitz in den Holzwänden gibt den Blick frei auf eine für Bunke und Olbrich faszinierende Welt.
Es ist absolut still an diesem Morgen. Auf dem spiegelglatten See drehen zwei Höckerschwäne ihre Runden. Am grauen Horizont fliegt ein Vogel vorbei. „Das ist ein Silberreiher“, sagt Bunke. Er hat ein Fernglas dabei. Dabei muss der Ornithologe die Tiere nicht einmal sehen, um sie zu erkennen: Bunke erkennt sie auch an ihren Rufen.
Auf dem gegenüberliegenden Ufer ragen abgestorbene Bäume in den Himmel. „Das sind Kormoranschlafplätze, einige, der wenigen in Bremen“, berichtet Bunke. Rund 200 Wasservögel nächtigen hier. Beobachter können tagsüber sehen, wie sie ihre Flügel spreizen, um sie nach einem Tauchgang zu trocknen: „Wenn Kormorane nass werden, können sie nicht fliegen“, sagt Bunke. Ihr Gefieder sei nicht so gut gewachst wie das von Enten.
Hunderte von Pfeifenten sind im Winter am Dunger See zu sehen. Mit etwas Glück lassen sich auch Eisvögel bei der Nahrungssuche beobachten. „Das Werderland ist ganzjährig interessant“, findet Bunke. „Hier können die Vögel in Ruhe rasten.“ Der Ornithologe zeigt Pfeifenten im Wasser: „Die haben mehrere Tausend Kilometer hinter sich. Einige bleiben hier, andere ziehen weiter, zum Beispiel in die Niederlande. Je nach Witterungslage.“
Immer wieder entdeckt Bunke auch seltenere Arten wie die Löffelente: „Das ist ein gefährdeter Brutvogel in Deutschland und ein regelmäßiger Rastvogel im Werderland.“ Die Löffelente durchsiebt das Wasser mit dem Schnabel nach Plankton und Kleinstlebewesen. Das Männchen ist prächtiger gefärbt als das Weibchen. Für ihn auch ein Vorteil der Beobachtungshütte: „Von hier aus kann ich das Federkleid genau studieren.“
Auch, wenn die Beobachtungshütten vielen Nordbremern unbekannt sind, 1900 Vogelsichtungen wurden hier über das Online-Portal ornitho.de bereits gemeldet. Immer mehr Menschen interessieren sich laut Bastian Bunke für Vögel. Der Dachverband Deutscher Avifaunisten (DDA), ein Zusammenschluss der landesweiten und regionalen ornithologischen Verbände in Deutschland, vertritt nach eigenen Angaben inzwischen etwa 11.000 Feldornithologen und Vogelbeobachter.
Die Vorliebe für die gefiederten Tiere zeigt sich laut Bunke auch in der seit Jahren steigenden Teilnehmerzahl bei Exkursionen und nicht zuletzt beim Birdrace (siehe unten). Bunke: „Vogelbeobachtung ist absolut nicht langweilig, wenn man genau hinguckt und das Verhalten studiert.“ Enten zum Beispiel seien äußerst gesellige Tiere.
Der Dunger See ist einer von Bunkes Lieblingsplätzen, wenn es um Vogelbeobachtung geht. Ein Ranking der besten Plätze in Bremen aufzustellen, fällt ihm schwer. „Dennoch kann ich empfehlen, auf jeden Fall die Borgfelder Wümmewiesen zu besuchen, da diese im Winter großflächig überschwemmt sind und daher regelmäßig tausende Enten und Gänse rasten. Die seltene Spießente kann hier regelmäßig erspäht werden. Auf dem Weg Weg vor den Wischen kann man das Schutzgebiet durchqueren und ist mittendrin im Geschehen.“
In der Stadt lohnt sich Bastian Bunke zufolge auch immer ein Besuch des Naturschutzgebietes Neue Weser, das südlich vom Weserwehr gelegen ist. "Hier kann man sehr gut Zwergtaucher oder Tauchenten wie Reiher- oder Tafelenten beobachten." Ein Tipp seiner Kollegin Birgit Olbrich lautet, sich auch mal in den alten Parkanlagen in Bremen-Nord umzuschauen. Und wer einen Uhu sehen möchte, der macht sich auf den Weg zum Bunker Valentin. Birgit Olbrich hat auch schon eine Empfehlung fürs nächste Frühjahr parat: „Vom Aussichtsturm an der Brokhuchtinger Landstraße lassen sich Enten- und Wiesenvögel beobachten.“