Burgdamm. Ein Nachmittag im Hause Richtering, irgendwann gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Man sitzt an hübsch eingedeckten Tischen, freundliche Dienstmädchen schenken Kaffee ein, servieren heiße Waffeln und plaudern mit den Gästen. Forschen Schrittes betritt ein Mann im dunklen Gehrock den Salon und begrüßt die Besucher. „Wenn ich kurz um Ihre Aufmerksamkeit bitten darf… .“
Das Hauswirtschaftsmuseum Köksch un Qualm hatte zu dem Vortrag „Die Geschichte der Zigarrenfabrik“ eingeladen. Und wer das Köksch un Qualm kennt, weiß, dass ein „Vortrag“ hier keine trockene Aneinanderreihung von Namen, Daten und Fakten, sondern eine ebenso kurzweilige wie informative Reise in die Vergangenheit ist. Zusammen mit den Besuchern aus dem Hier und Jetzt hat ein bisschen moderne Technik Einzug gehalten: Bilder der früheren Tabakfabrikanten und Gebäude werden per Beamer an die Wand der guten Stube geworfen – ansonsten ist alles stilecht 19. Jahrhundert.
Geschichte des Gebäudes
Heute geht es um die Geschichte des Museumsgebäudes – der „Zigarren- und Tabakfabrik Martin Wilckens Nachfolger“. Gustav Petersen (Jürgen Jopp) weiß bestens, wovon er spricht, ist er doch selbst Sekretär und Bürovorsteher bei einem Tabakfabrikanten. Aber der Reihe nach.
Die Zuhörer erfahren, wie die einzelnen Stockwerke der alten Zigarrenfabrik genutzt wurden. Hinter vorgehaltener Hand verrät Gustav auch einige „Vorkommnisse“: Kaffee und Tabak waren im 19. Jahrhundert begehrt und hatten ihren Preis – und wurden deshalb schon mal in einem Sarg an den Zöllnern vorbeigeschmuggelt.
1816 gründete Martin Wilckens sein Tabak- und Zigarrengeschäft. Schon bald wurde daraus ein Unternehmen, das bis weit über Bremens Grenzen hinaus bekannt war. Nach Martin Wilckens Tod übernahm Heinrich Bernhard Heyenga 1853 das Unternehmen, das er unter der Firmenbezeichnung „M. Wilckens Nachfolger“ weiterführte. Als Heyenga 1872 verstarb, folgten für die Firma bewegte Jahre – bis Heinrich Wilhelm Richtering 1879 in die Firma eintrat. „Hier ist er übrigens“, verkündet Sekretär Gustav den erstaunten Zuhörern. Und schon betritt der Hausherr persönlich den Salon. „Mein Name ist Wilhelm Richtering, ich bin 1844 geboren…“ „Haben sich aber gut gehalten“, bemerkt eine Zuhörerin. Wilhelm Richtering (Torsten Szillat) deutet lächelnd eine Verbeugung an und berichtet aus seinem – Richterings – Leben. Nach dessen Eintritt begann für das Unternehmen ein neuer Aufstieg. 1898 wurde er Alleininhaber. Zur Jahrhundertwende zählte die Firma „M. Wilckens Nachfolger“ zu den führendsten Fabriken der Tabakbranche Deutschlands. Die Burgdammer Zigarren waren berühmt und wurden in alle Welt exportiert. Hergestellt wurden sie in filigraner Handarbeit.

Das Hauswirtschaftsmuseum Köksch un Qualm in Burgdamm.
Einer dieser Zigarrenmacher ist Jan (Lars Schachtebeck). Jan ist auf Herrn Richtering – „dieser Pfeffersack!“ – nicht gut zu sprechen. Ausgebeutet fühlt er sich. Als selbstständiger Zigarrenmacher arbeitet er auf eigenes Risiko; ohne Vertrag, ohne Absicherung im Krankheitsfall. Aber vielleicht ja nicht mehr lange? Das Publikum erfährt eine weitere Besonderheit: Zigarrenmacher beschäftigten oft Vorleser, die ihnen während der Arbeit aus Zeitungen und sozialistischen Schriften vorlasen. Auf diese Weise über das Zeitgeschehen informiert und gebildet, konnten sie sich schon früh für die Rechte der Arbeiter einsetzen. Einen sehr guten Lohn erhielt hingegen der Zigarrensortierer. Er musste allerdings auch 68 Farbnuancen unterscheiden können. Zigarren in „Fehlfarben“ wurden günstiger angeboten – obwohl sie oftmals aromatischer waren.1939 musste die Firma M. Wilckens Nachfolger die Produktion wegen Rohstoffmangel einstellen.
Das Konzept, Geschichte lebendig werden zu lassen, funktioniert sehr gut. Die Besucher sind im wahrsten Sinne des Wortes „mittendrin“ im Geschehen, stellen Fragen und teilen Erinnerungen – die eigenen oder die der Eltern und Großeltern.
„Wir haben uns gedacht, dass es mal wieder Zeit ist, die Geschichte dieses Hauses zu thematisieren“, erläutert Jürgen Jopp die Konzeption des Vortrags, der auch eine kleine Exkursion beinhaltet: Sekretär Gustav und Zigarrenmacher Jan führen die Zuhörer ins obere Stockwerk des Museums. Eine kleine Ausstellung erinnert dort an die Herstellung von Zigarren. Jan erklärt die einzelnen Arbeitsschritte. Die verschiedenen Produktionsstadien – vom Tabakblatt, über den Wickel bis hin zur fertigen Zigarre mit edler „Bauchbinde“ – können betrachtet werden, ebenso wie viele weitere Exponate, zum Beispiel Meerschaumpfeifen, alte Firmenschilder, Tabakpresse und ein Kautabak-Topf aus Steingut. „So einen habe ich auch noch“, sagt eine Besucherin. „Ich leg‘ da Gurken drin ein.“