Wie alt ist die Eisenbahnbrücke, die in Burg über die Lesum führt? Das Regionalbüro Hamburg der Deutschen Bahn AG nannte 2019 auf Nachfrage das Baujahr 1872. Seither gilt sie als eine der ältesten Brücken Deutschlands und wurde auch mehrfach in Artikeln der NORDDEUTSCHEN so bezeichnet. Eine Sprecherin bekräftigte kürzlich noch einmal: "Die Eisenbahnbrücke wurde 1872 gebaut und im Zweiten Weltkrieg beschädigt. 1950 wurde sie wieder in Betrieb genommen." Gerhard Grote aus Lesum ist sich jedoch sicher: Das stimmt nicht. Er sagt: "Die Brücke wurde im April 1945 vollständig gesprengt, inklusive der Mittelpfeiler."
Nicht nur für Bremen-Nord ist die Eisenbahnbrücke ein Bauwerk von großer Bedeutung. Auch für Bremerhaven hat sie einen hohen Stellenwert, denn ein Großteil der Container- und Pkw-Transporte läuft darüber. Immer wieder steht sie deshalb im Fokus. Eine Zeit lang gab es Zweifel an ihrer Standfestigkeit. In diesem Jahr wurde der mittlere Brückenpfeiler saniert. Derzeit ist die Erneuerung der Brücke Thema, weil das die Voraussetzung dafür ist, dass die Strecke um ein drittes Gleis erweitert werden kann. Das Alter der Brücke ist bei allen Diskussionen immer wieder Thema.
Gerhard Grote hat von der Sprengung der Brücken in Burg in den Tagebüchern seines Vaters Karl Grote gelesen. Der 82-Jährige hat selbst ebenfalls noch einige Erinnerungen an die letzten Kriegs- und die Nachkriegsjahre. Karl Grote (1892 bis 1973) hat in seinen Tagebüchern Alltagserlebnisse der Familie, das Arbeitsleben und den ständigen Kampf gegen Hunger und Kälte festgehalten.
Am 26. April 1945, einem Donnerstag, schrieb er: "Gegen Mittag heißt es: Die Brücken sollen gesprengt werden! Fenster öffnen. Nach einer Weile irgendwo ein starker Stoß, aber doch nicht so schlimm, aber dann bald darauf richtig, daß das ganze Haus schwankt und der letzte Kitt von den Scheiben springt. Das war die Autobahnbrücke. Vom Dachfenster sehen wir die Sprengwolke, da [jetzt] geht die zweite Brücke hoch, daß die Steinbrocken weit in die Luft wirbeln. Nach der dritten ist dann erst mal Ruhe. Nun können wir also nicht mehr nach Bremen."
Behelfsbrücke für Kohlenzüge
Gerhard Grote erzählt: "Nach dem Krieg wurde schnell eine Behelfsbrücke gebaut. Das war wichtig für den Transport von Kohle nach Farge, denn die Weser war noch vermint. In die Lesum wurden Holzpfeiler gerammt. Das war noch 1945. Darüber wurden Peiner Träger gelegt. Zwei Gleise, die von der Bremer Seite kamen, wurden zu einem zusammengelegt und über die Brücke geführt. Die Brücke war nur ganz langsam befahrbar."
Das Staatsarchiv verweist unter anderem auf die Chronik von Fritz Peters: „Zwölf Jahre Bremen 1945-1956“, die 1976 erschienen ist. Darin steht unter dem Datum 26. April 1945 der Eintrag: „Um 13.30 Uhr werden die Lesumbrücke, die Eisenbahnbrücke bei Burg, die Reichsautobahnbrücke und die Brücke an der Ritterhuder Heerstraße gesprengt.“
Die Geschichtswerkstatt des Heimatvereins Lesum hat sich ebenfalls mit dem Alter der Brücke beschäftigt. Klaus-Martin Hesse, der in der Gruppe aktiv ist, sagt: "Die Einschätzung in der Gruppe war, dass die Brücken zwar gesprengt worden sind, aber die Träger anschließend wieder genutzt werden konnten." Demnach stammten die Träger aus der ursprünglichen Bauzeit. Schienen und Gleisbett seien zerstört und neu errichtet worden.
Fliegerbomben an Pfeiler und Bögen
In Herbert Schwarzwälders Buch "Bremen und Nordwestdeutschland am Kriegsende 1945 – Vom Kampf um Bremen bis zur Kapitulation" wird allerdings beschrieben: "Die Lesumbrücken wurden am 26. April 1945 zwischen 14 Uhr und 14.35 Uhr gesprengt. In der zweiten Aprilwoche waren deutsche Fliegerbomben an Pfeilern und Bögen befestigt worden. Als Brückenwachen und Sprengtrupps waren vor allem Volkssturmmänner eingesetzt; die eigentliche Leitung lag freilich in der Hand von Wehrmachtsoffizieren und Pionieren." Nach dieser Beschreibung, so Klaus-Martin Hesse, sieht es so aus, als habe man auf jeden Fall versucht, die Gesamtkonstruktionen zu zerstören.
Am 3. Januar 1946 wurden alte Brückenteile aus der Lesum gefischt, schreibt Karl Grote: "Von den Lesumer Brücken ist die Eisenbahnbrücke ja provisorisch bald wieder hergestellt worden und anstelle der früheren Chausseebrücke eine neue aus Holz gebaut. Seit einiger Zeit sind nun große Kräne aus Holz eingesetzt, um die herumgeworfenen alten Brückenteile wieder aus dem Wasser zu heben. Der Eisgang würde sie wohl sonst verschleppt haben."
Welche Teile der heutigen Brücke von 1872 stammen, ist unklar. Fest steht allerdings, dass die Bahnstrecke zwischen Bremen und Vegesack bereits zehn Jahre früher in Betrieb genommen wurde. Die Züge müssen ab 1862 bereits zehn Jahre lang über einen Vorläufer der späteren Eisenbahnbrücke gerollt sein.