Burgdamm. Wer von der Stader Landstraße in die Einfahrt des Grundstücks Nummer 64 einbiegt, wähnt sich in einer anderen Welt. Obwohl die vielbefahrene Straße erst wenige Schritte hinter einem liegt, scheint hier alles ruhiger, grüner und ein bisschen verwunschen zu sein. Vor dem Besucher liegt die Galerie Lichthof Kunstfabrik. Das Gebäude wurde im 19. Jahrhundert gebaut und beherbergte zunächst eine Brauerei, später eine Fabrik für Hammerstiele, dann die Breho (Bremer Holzindustrie). Seit einigen Jahren hat die Kunst Einzug gehalten.
Im Inneren begegnet man zahlreichen Holzfiguren unterschiedlicher Größe. Jede Figur erzählt ihre eigene Geschichte, viele von ihnen sind verblüffend filigran. Geschaffen hat sie Edeltraud Hennemann – mit der Kettensäge. „Die Arbeit mit der Kettensäge macht mir einfach unheimlich viel Spaß“, sagt die Künsterlin auf dem Weg vorbei an der Werkstatt, in der zurzeit ein Huhn und ein Hahn aus Holz entstehen – ein Auftragswerk, das nach Frankreich gehen wird.
Der Weg zur Kunst und zur Kettensäge war jedoch nicht geradlinig. Obwohl die Kunst eigentlich schon immer da war: „Kunst ist in einem, sonst kann man Kunst nicht machen“, ist Hennemann überzeugt. Die in Karlsruhe geborene Künstlerin war nach abgeschlossener Ausbildung zunächst als Erzieherin tätig und hat dann „nach Bremen geheiratet“. Dort machte sie sich als Kauffrau selbständig und hatte von 1996 bis 2008 ein eigenes Geschäft in Schwachhausen. Schon während dieser Zeit gab sie Keramikkurse. 2003 begann sie - neben ihrer Berufstätigkeit – ein Studium an der Hochschule für Künste Bremen, das sie 2007 mit einem Diplom abgeschlossen hat. Es folgten Weiterbildungen an der Europäischen Kunstakademie Trier.
Inspiration auf der Expo 2000
Die Initialzündung in Sachen Kettensäge geschah auf der Expo in Hannover. Der österreichische Künstler Roman Strobl fertigte dort ein Porträt des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder – mit der Kettensäge. „Eines Tages habe ich mir dann eine Kettensäge gewünscht und es einfach ausprobiert“, erzählt Hennemann. Schnell folgte die Erkenntnis: „Das ist mein Werkzeug!“ Besonders gut gefalle ihr, dass sie ihre Ideen mit der Kettensäge schnell und konsequent umsetzen kann und auch, dass diese Arbeit ihre gesamte Konzentration erfordert. „Man muss voll da sein, denn was weg ist, ist weg - man kann nichts wieder dran setzen. Die Kettensäge ist mein innerer Bleistift. Ich habe das fertige Bild im Kopf. Wenn ich kein Bild im Kopf hab, brauche ich gar nicht erst anfangen.“
Mit dem ungewöhnlichen Bildhauerwerkzeug entstehen verblüffend filigrane Formen. Die Figuren und Situationen wirken lebendig, sie geben mit einem Augenzwinkern Denkanstöße oder nehmen Stellung zu gesellschaftlichen Themen. Manche Skulpturen bekommen unversehens wieder Aktualität oder das ursprüngliche Thema wandelt sich angesichts aktueller Geschehnisse. Da sitzt zum Beispiel ein Mann ganz allein auf einer Bank im Stadion; er ist niedergeschlagen, weil seine Mannschaft verloren hat. Momentan rührt seine Niedergeschlagenheit wohl eher daher, dass keine Spiele vor Publikum ausgetragen werden. Gleich daneben sind drei Karrieremänner zu sehen, die in schicken Businessanzügen vorwärts streben – und leider nicht sehen, dass die Treppenstufen vor ihnen abwärts führen. „Die Skulptur ist schon vor ein paar Jahren entstanden“, so Hennemann, „aber zurzeit nenne ich sie ,Wirecard‘.“
Auch die Ästhetik kommt nie zu kurz. „Man muss sich erfreuen können an einer Skulptur“, so Edeltraud Hennemann, die ihre Werke mehrfach landesweit sowie im Ausland ausgestellt und auch Preise gewonnen hat.
Einen Kontrapunkt zu ihrer Arbeit mit der Kettensäge bildet die Malerei. Hat sie bei Holz-Skulpturen bereits das fertige Bild im Kopf, bevor sie die Säge ansetzt, entwickelt sie ihre gemalten Bilder Schicht um Schicht. Dabei lässt sie sich von Form und Farbe leiten, „bis ich sage: Jetzt ist es mein Bild.“
Die Malerei bildet den Schwerpunkt in der aktuellen Ausstellung, die seit dem 11. August in der Lichthof Kunstfabrik zu sehen ist. Elf Künstlerinnen und Künstler, die eigentlich in diesem Jahr in der Galerie ausstellen wollten, zeigen ihre Werke. Edeltraud Hennemann stellt die Räume der Kunstfabrik traditionell Gastkünstlern zur Verfügung; für Ausstellungen, Lesungen, Konzerte, Vorträge und mehr. Die Lichthof Kunstfabrik ist ein Ort der kulturellen Begegnung – und soll es auch bleiben. Auch wenn in den letzten Monaten alle Veranstaltungen abgesagt werden mussten, laufen die Planungen für die kommenden Monate und das nächste Jahr. „Es ist schwierig“, beschreibt sie die derzeitige Situation. „Ich hoffe, wir kommen da irgendwie durch.“
Die Ausstellung: Künstlerische Vielfalt – Corona zum Trotz
Es sind bewegte Zeiten – der Veranstaltungskalender war voll; Konzerte waren geplant, außerdem wollten zahlreiche Künstlerinnen und Künstler ihre Werke in Einzel- oder Gruppenausstellungen in der Lichthof Kunstfabrik zeigen. Und dann kam Corona und alles musste abgesagt werden. Seit dem 31. Juli ist die Galerie in der Stader Landstraße 64 jeden Freitag von 16 von 18 Uhr wieder „zum Schauen und Plaudern“ geöffnet. Seit dem 11. August ist die Ausstellung „Künstlerische Vielfalt – Corona zum Trotz“ zu sehen.
Gezeigt werden Werke von elf Künstlerinnen und Künstlern, die 2020 eigentlich Ausstellungen in der Lichthof Kunstfabrik präsentiert hätten. Zu sehen sind Werke aus dem Bereich Malerei von Katrin Schütte, Conny Wischhusen, Barbara Meyer, Sabine Ganter, Brunhilde Mangels, Dörte Schmidt und Ilse Späht sowie Skulpturen von Detlef Ambrassat, Uwe Hansmann und Edeltraud Hennemann. Die Goldschmiedin Dagmar Jacobsen präsentiert eine „tragbare Skulptur“.
Die Ausstellung wird bis Mitte September gezeigt, danach ist eine zweite „Corona zum Trotz“-Ausstellung geplant, mit Werken von 14 Künstlerinnen und Künstlern. Ebenfalls in der Planung ist ein Konzert, das am Sonntag, 6. September, zwar nicht in, sondern neben der Galerie stattfinden soll. Bei diesem Open-Air-Konzert werden – gutes Wetter vorausgesetzt – Werke für Klarinette und Akkordeon erklingen.