Die öffentliche Diskussion in der jüngsten Sitzung des Beirats Burglesum über den geplanten Neubau auf dem Grundstück an der Straße An der Lesumer Kirche 6 hat bei etlichen Bürgern und Kommunalpolitikern zu Irritationen geführt. Sie fragen sich, wie verlässlich eigentlich ein gültiger Bebauungsplan ist. Der Leiter des Bauamtes Bremen-Nord, René Kotte, beziehungsweise die Pressestelle von Bausenatorin Özlem Ünsal sowie der frühere Bauamtschef Christof Steuer, in dessen Verantwortung vor rund drei Jahrzehnten der aktuell gültige Bebauungsplan mit der Nummer 399 und seiner integrierten Erhaltungssatzung erarbeitet worden ist, haben auf Anfrage der Redaktion Stellung bezogen.
Dass der geltende Bebauungsplan Nr. 399 mit der integrierten Erhaltungssatzung grundsätzlich zu beachten sei, ist für Kotte laut Pressestelle eindeutig zu bejahen. Und ob der Bebauungsplan hinsichtlich bestimmter Straßenzüge und Ortsteile unterschiedlich interpretiert werden könne, beantwortet er mit einem klaren Nein. Kotte weiter: „Die Festsetzungen des Bebauungsplans 399 sind eindeutig bestimmt, betreffen allerdings unterschiedliche Grundstücke und Gebiete." Mit dem Wunsch auf Genehmigung des Bauvorhabens „An der Lesumer Kirche 6“ seien jedoch Befreiungen von diesen Festsetzungen beantragt worden. Sie beträfen die Bauweise und das zulässige Maß der baulichen Nutzung.
Baulicher Zustand des Gebäudes ist schlecht
Das Bauamt Bremen-Nord, so Kotte, habe 1991 eine „Voruntersuchung" zur Festsetzung von Erhaltungsbereichen im Bebauungsplan 399 erarbeitet. Demnach dokumentiere das Gebäude An der Lesumer Kirche 6, auf dem der umstrittene Neubau entstehen soll, die frühere Begrenzung des Lesumer Brinks (Markt) und präge das Ortsbild mit. Der bauliche Zustand des noch vorhandenen Gebäudes sei jedoch so schlecht, dass es dem Eigentümer wirtschaftlich kaum zuzumuten sei, es zu erhalten und zu nutzen. Wenn der Neubau allerdings das städtebauliche Umfeld beeinträchtige, so Kotte, könne er auch abgelehnt werden. Ob allerdings im aktuellen Fall eine Beeinträchtigung drohe, sei nicht so eindeutig bestimmbar. Das Beeinträchtigungsverbot bedeute nämlich nicht, dass ein Neubau die umgebenden Bestandsbauten oder gar ihre Vorgängerbauten imitieren müsse.
Das Baugenehmigungsverfahren „An der Lesumer Kirche 6“ dauert nach Mitteilung von Bauressort-Pressesprecher Aygün Kilincsoy weiterhin an. „Verfahrensbedingte Prüfungen stünden noch aus. Nach derzeitigem Kenntnisstand könne eine Baugenehmigung voraussichtlich im Laufe dieses Jahres erteilt werden. Das Bauamt Bremen-Nord entscheide über die beantragten Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans nach Beteiligung verschiedener Stellen, unterstreicht der Pressesprecher. Der Beirat Burglesum hat sich mehrheitlich für den geplanten Neubau ausgesprochen.
Der frühere Chef des Bauamtes Bremen-Nord, Christof Steuer, bezeichnet in seinem Statement die Stellungnahme der Baubehörde in mehreren Punkten als richtig. Das gelte aber keinesfalls für die vom Bauamtsleiter genannte Festsetzung des ehemaligen Renken- Grundstücks als Erhaltungsbereich. Und auch nicht für seine Verneinung einer präjudizierenden Wirkung dieses Vorgangs für den allgemeinen Umgang mit Bebauungsplänen in Bremen. Steuer wörtlich: „Allein diese umständlichen Erklärungen über das Abweichen von der Erhaltung der städtebaulichen Gestaltung am Rande des Marktplatzes und der Behauptung, sie gelte nicht für diesen Bereich und schon gar nicht für das neue Bauvorhaben, zeigen, wie unwohl der genehmigenden Behörde dabei ist und wie weit hergeholt die Argumente sind.“
Christof Steuer verweist in diesem Zusammenhang auf die jüngste Beiratssitzung. Dort hätten der Bauamtsleiter und der Vertreter des beauftragten Bauunternehmens erklärt, der neue Bau solle durchaus ein “Fremdkörper” in der Häuserreihe sein. Damit, so Steuer, sei zwar die Katze aus dem Sack, aber so könne man nicht mit dem Baurecht umgehen, auch wenn die Baubehörde das anscheinend billige. Genauso fraglich sei es, mit einem Bauvorhaben die Entwicklung eines Gebietes vorherbestimmen zu wollen. Mit diesem Argument jedenfalls sei das Bauvorhaben in der Beiratssitzung begründet worden. Damit aber werde der geltende Bebauungsplan missachtet.
Zwei Befreiungen seien notwendig
Das Bauvorhaben am Lesumer Marktplatz erfordert nach Steuers Ansicht die Genehmigung von zwei Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans 399. Sie betreffen die Anzahl der Geschosse – zwei seien erlaubt, vier sollten es werden – sowie die geschlossene Bauweise. Steuer: „Man muss von Grundstücksgrenze zu Grundstücksgrenze bauen. Das jedenfalls sind die üblichen Festsetzungen, die man in jedem Bebauungsplan im Sinne der „städtebaulichen Ordnung” trifft.
Die offensichtliche Abweichung von diesem Gebot erfordert nach Steuers Worten ebenfalls eine Genehmigung, die im Bauordnungsverfahren begründet werden muss. Geschehe das nicht, habe das eine präjudizierende Wirkung auch auf andere Bebauungspläne in Bremen. Was dazu führe, dass jeder machen könne, was er wolle. Steuer: „Nach dem Motto: Es werde schon irgendwie genehmigt. Im Lesumer Fall sogar mit dem Segen der Aufsichtsbehörde."