Lesum. Historische Schriften und Fotos, Bilder und Karten: Der Heimatverein Lesum bekommt immer wieder einmal Geschenke, häufig aus Nachlässen, die die Geschichte des Stadtteils auf unterschiedliche Weise dokumentieren. Jetzt wurde die Sammlung durch eine besonders schwere und ungewöhnliche Spende erweitert: Familie Grimm, die letzten Inhaber der Weinhandlung H. Schröder, die sich bis 1989 an der Stader Landstraße 6 befand, überließ dem Verein vier Lithografiedrucksteine. Sie stammen von der Lesumer Buch- und Steindruckerei Paul Oese, die von 1898 bis 1940 in der Hindenburgstraße 49 ansässig war.
Die Druckerei fertigte für zahlreiche Firmen in Lesum und Umgebung Etiketten, Aufkleber und Plakate an. So auch für die Wein- und Spirituosenhandlung H. Schröder. Auf den Drucksteinen befinden sich Etiketten-Vorlagen für Cognac Vieux, Bordeaux, Schweizer Alpenkräuter Magenbitter und Champagner Cognac. „Die Drucksteine bilden somit eine Geschäftsbeziehung zweier ehemals wohlbekannter, alteingesessener Betriebe in unserem Stadtteil ab“, sagt Edith Ostendorff, die dem Vorstand des Heimatvereins angehört.
Ostendorff hat sich mit Doris Wiechert, Tochter des letzten Inhabers der Weinhandlung, Heinz Grimm, und Spenderin der Steine, getroffen und dabei mehr über die Geschichte der Weinhandlung erfahren. Darüber hinaus recherchierte sie in den Büchern „Das alte Burgdamm – Stader Landstraße“ von Walter Schnier und „Geschichte der Börde Lesum“ von Heinrich Hoops. In einem Text, der in der Vereinszeitung „Lesumer Bote“ (Ausgabe Winter 2020) erschien, berichtete sie über die Schenkung und zeichnete die Historie des Unternehmens nach.
Schnaps aus den 60er-Jahren
„Mein Vater hatte die Steine gekauft, restauriert und aufbewahrt. Es war sein Wunsch, dass der Heimatverein sie bekommt“, erzählt Doris Wiechert. Zur Sammlung ihres Vaters, der im April 2020 verstorben ist, gehören noch zahlreiche andere Erinnerungen an die Firmengeschichte, darunter fertig gedruckte Etiketten aus den 1960er-Jahren, Schnaps, der ebenfalls aus dieser Zeit stammt, Weingläser, ein Firmenschild sowie alte Geschäftsunterlagen. „Für den Zeitraum 1936 bis 1944 habe ich das Inventar-Verzeichnis, es wurde alles handschriftlich in einem Kontobuch verzeichnet“, so Wiechert.
Auf den Drucksteinen sind Vorlagen für Etiketten, die ihren Angaben nach vor etwa 150 Jahren verwendet wurden. Gegründet wurde die Weinhandlung vor fast 200 Jahren. In dem Buch von Heinrich Hoops aus dem Jahr 1909 entdeckte Edith Ostendorff den Eintrag: "Weinhandlung von H. Schröder, gegr. 1824, Inh. Heinrich Schröder, Filiale der Weinhandlung von Reidemeister & Ulrichs in Bremen." Der 18-jährige Heinrich Schröder (1867-1945) habe 1885 seine Lehrzeit bei J. A. Carstens – Wein- und Spirituosenhandlung in Oldenburg begonnen, so Ostendorff.
Am 1. August 1936 kaufte ihm Ernst Karstens die Wein- und Spirituosenhandlung und Likörfabrik ab. Karstens wohnte mit seiner Ehefrau Annelise und seiner Tochter Gertrud erst in einem umgebauten Wirtschaftsgebäude an der Bremerhavener Heerstraße 2, ergaben Ostendorffs Recherchen. Die Familie habe das Wohnhaus 1938 mit dem Obst- und Gemüsehändler Christel Rippe getauscht und dann das Haus an der Stader Landstraße 6 bezogen. „Für den Unternehmer waren harte Anfangsjahre zu überstehen. Ernst Karstens wurde mit 38 Jahren im September 1939 zum Kriegsdienst einberufen. Bei seiner Entlassung aus der Gefangenschaft musste er seinen Geschäftsbetrieb ohne Warenbestände neu beginnen. Das einzige, was er seiner Kundschaft anbieten konnte, war das sogenannte Heißgetränk (Punsch)“, schreibt Ostendorff.
1949 trat Heinz Grimm (1927-2020), der Karstens Tochter Gertrud geheiratet hatte, nach seiner Ausbildung als Bankkaufmann in die Firma ein. "Er legte 1957 die Prüfung als erster ,Destillateurmeister' in Bremen ab." 1989 verkaufte das Ehepaar Grimm die Firma und das Haus. Inzwischen wurde es abgerissen, an der Stelle befindet sich heute eine Discounter-Filiale. Auch das Haus, in dem sich früher die Buch- und Steindruckerei Paul Oese befand, steht nicht mehr. Über die Firma hat Edith Ostendorff kaum Informationen gefunden. Im Archiv des Heimatvereins befinden sich lediglich die alten Melde-Karteikarten aus dem Ortsamt. Fest steht allerdings, dass die Druckerei für zahlreiche Unternehmen, darunter Zigarren- und Zigarettenmanufakturen, der Getränkehändler Vielstich sowie Eggers & Franke, tätig war.
Der Lithografiedruck
Das Litografiedruckverfahren mit Steinen wurde 1798 von Alois Senefelder erfunden. Dabei werden die Schriftzüge und Motive seitenverkehrt mit wachs- und fetthaltiger Farbe auf die flache Steinplatte gezeichnet, die dann mit Säure und Gummi arabicum präpariert wird. Der Stein wird befeuchtet und mit fetthaltiger Farbe eingewalzt. Da Fett und Wasser sich nicht verbinden, nimmt der Stein die Farbe nicht an – lediglich die zuvor aufgetragene Zeichnung und Schrift. Mit einer Steindruckpresse wird der Stein schließlich auf das Druckobjekt gedrückt. Um unter dem Druck der Presse nicht zu zerbrechen, müssen die Steine eine bestimmte Stärke haben. Meistens wurde Kalkschieferstein aus Solnhofen in Bayern verwendet. Der Solnhofener Plattenkalk gilt bis heute als das beste Lithografie-Gestein. Heute wird der Lithografiedruck nur noch im künstlerischen Bereich eingesetzt.