Sandra Gudat hat durch ein Modellprojekt eine neue berufliche Heimat gefunden. Ihr Schützling, ein Viertklässler, kann dadurch endlich wieder regelmäßig zur Schule gehen. Die 53-Jährige ist seit einigen Monaten als Schulbegleiterin an seiner Seite. "Ich habe das Gefühl, dass ich angekommen bin", sagt die Nordbremerin über ihre neue Aufgabe. Sie gehört zu den zehn Frauen und Männern, die seit Mai eine Grundqualifizierung erworben haben, mit der sie nun als Schulbegleiter arbeiten. Sechs weitere Teilnehmerinnen werden aktuell noch qualifiziert. Alle arbeiten bereits in ihrem neuen Job, für alle ist es ein beruflicher Neustart.
Im Zuge des Modellprojekts wird in Bremen-Nord derzeit ein neuer Ansatz zur Personalgewinnung erprobt: Sogenannte sozial erfahrene Personen werden von der gemeinnützigen Friedehorst-Gesellschaft Teilhabe Leben als Schulbegleiter sozialversicherungspflichtig angestellt, vom Paritätischen Bildungswerk berufsbegleitend qualifiziert und in der Praxis angeleitet. Sie begleiten Kinder, die kurz davor stehen, eine seelische Behinderung zu bekommen, oder die bereits davon betroffen sind. Initiiert wurde das Projekt von der Senatskanzlei, dem Sozial- und dem Bildungsressort, dem Jobcenter und der Agentur für Arbeit. Seit Mai setzt die Gesellschaft Friedehorst Teilhabe Leben es gemeinsam mit dem Paritätischen Bildungswerk und mehreren Schulen um.
Gudat ist Hotelfachfrau, gelernt hat sie einst in der Strandlust. Zuletzt arbeitete sie in einer Leitungsfunktion im hauswirtschaftlichen Bereich in einer Suchthilfe-Einrichtung. Dort hatte sie bereits Kontakt zu Kindern und deren Müttern. Sie ist verheiratet, hat einen bereits erwachsenen Sohn. "Ich habe mir einen Berufswechsel gewünscht und war offen, alles Mögliche auszuprobieren", erzählt die Rönnebeckerin. Von einer Bekannten erfuhr sie von dem Projekt und nahm Kontakt auf. Sie ist glücklich, dass sie den Schritt gegangen ist. Die Arbeit in der Schule und mit dem Jungen macht ihr Spaß. "Die Umgebung, die Schule und das neue Kollegium sind genau richtig für mich. Ich wollte etwas machen, was mich ausfüllt und mir eine innere Zufriedenheit gibt. Genau das habe ich jetzt."
"Unsere Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben alle ganz unterschiedliche Hintergründe. Einer hat Maler und Lackierer gelernt, andere waren im Vertrieb oder im Einzelhandel tätig", sagt Sabrina Brinkmann, die das Projekt bei Friedehorst Teilhabe Leben leitet. "Ein Kollege hat bei Projekten im Ausland gearbeitet und dort Erfahrungen mit Kindern gesammelt." Brinkmann hat die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die zwischen 30und 60 Jahre alt sind, in intensiven Gesprächen kennengelernt, bevor sie in das Projekt aufgenommen wurden. Denn obwohl weder ein bestimmter Schulabschluss noch eine abgeschlossene Ausbildung Bedingung waren, mussten bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden.
"Es ist keinesfalls so, dass das jeder machen kann", betont die Leiterin. "Eine gründliche Vorauswahl war deshalb wichtig." Zu ihren bisherigen Erfahrungen kamen für die Teilnehmer dann weitere, die sie bei der praktischen Arbeit in der Schule machten, und die Grundqualifikation. Sandra Gudat betont: "Man braucht Geduld, Empathie, Ausdauer und Verständnis. Das ist kein Job, den man mal eben so macht." Bei schwierigen Situationen kann sie sich an die Klassenlehrerin oder den Sonderpädagogen der Schule wenden. Und auch Sabrina Brinkmann ist für sie und alle anderen Teilnehmer erreichbar. "Ich habe zu allen sehr regelmäßig Kontakt", sagt die Leiterin.
Sandra Gudat ist montags bis freitags von 8 bis 13 Uhr an der Seite ihres Schützlings. Er konnte zuvor monatelang nur wenige Stunden pro Woche zur Schule gehen, wenn entweder seine Mutter oder ein Sonderpädagoge ihn begleiten konnten. Jetzt sitzt seine Schulbegleiterin mit im Unterricht und ist auch in den Pausen in seiner Nähe. "Am Anfang war ich ständig an seiner Seite. Inzwischen hat er so viel Sicherheit gewonnen, dass er mit den anderen Kindern spielt. Es reicht ihm mittlerweile, zwischendurch zu mir zu kommen. "Er ist fröhlich und wirkt glücklich", sagt Sandra Gudat. Und das macht auch sie froh.