Fast auf den Tag genau vor einem Jahr habe ich bereits den Garten hinter meiner Wohnung eine Stunde lang beobachtet und alle Vögel gezählt – und war über die unerwartete Fülle an Vögeln erstaunt, obwohl es weder Meisenringe noch -knödel als Futterangebot im Garten gibt.
Seitdem hat sich mein Beobachtungsraum kaum verändert: Eingefasst von drei hohen Hecken bilden ein großer, weit ausladender Apfelbaum und ein Schmetterlingsstrauch die wichtigsten strukturbildenden Elemente auf einer großen Rasenfläche. Ringsum wuchern Brombeeren, und in den Ecken ist das Herbstlaub liegen geblieben, in dem Vögel auch im Winter nach Asseln oder Schnecken suchen können.
Es ist sonnig, und etwas Schnee ist in der Nacht gefallen, der gegen 13 Uhr trotz fünf Grad plus noch nicht weggetaut ist. Die ersten Vögel stellen sich auf dem Dach des Nachbarn ein: Zwei Dohlen sind gelandet und begutachten die Umgebung. Wenig später taucht der erste Vogel in meinem Garten auf: Eine Ringeltaube landet im Apfelbaum, hält es dort aber nicht lange aus und fliegt nach wenigen Sekunden weiter. Zwar notiere ich wenig später weitere Dohlen, die sich im Baum des Nachbarn niederlassen – doch in meinem Garten ist weder am Schmetterlingsstrauch noch am Apfelbaum auch nur eine Meise zu beobachten. Ich lese nochmals die Notizen vom vergangenen Jahr: Kohl- und Blaumeisen kamen damals fast im Minutentakt an die Gehölze, um an Zweigen und den vielen Gelbflechten nach Nahrung zu suchen. Doch in diesem Jahr fehlt von Meisen jede Spur.
Das Warten entschleunigt
Und weiterhin sah ich im vergangenen Jahr Buchfink, Amsel und Singdrossel. In diesem Jahr? Nichts! Wenn man so sitzt und wartet und guckt und nichts passiert, außer dass sich leicht die Zweige im lauen Wind bewegen, vergeht die Zeit extrem langsam. Eine solche Entschleunigung wirkt sehr entspannend.
Bald jedoch stellt der Wissenschaftler in mir mehrere Hypothesen auf, warum in diesem Jahr keine Meisen da sein könnten: Gibt es vielleicht eine gute Futterquelle in der Nachbarschaft, mit reichlichem Angebot an Sonnenblumenkernen und Nüssen? Oder liegt es an der Uhrzeit? Denn im Jahr zuvor habe ich morgens um zehn Uhr beobachtet, heute ist es bereits 14 Uhr, und ich weiß, dass die Hauptaktivitätszeit vieler Vogelarten eher in den Morgenstunden liegt. Aber vielleicht ist auch ein Bakterium Schuld, das im vergangenen Jahr unter den Blaumeisen grassierte und eine Art Pandemie unter ihnen ausgelöst hat? Florian Scheiba vom Nabu hat mir jedoch auch erzählt, dass bei gutem Nahrungsangebot im Wald weit weniger Vögel in die Gärten fliegen. Und ein Waldstück in Knoops Park ist nur etwa hundert Meter von meinem Garten entfernt.
Kurz bevor meine Beobachtungsstunde vorbei ist, landen plötzlich doch noch zwei Blaumeisen im Apfelbaum. Ich freue mich über sie, als hätte ich eine große Seltenheit entdeckt. Und als Schmankerl springt sogar noch ein Eichhörnchen auf den Rasen und sucht nach Futter. Doch das gehört in die Rubrik Säugetiere – passt also nicht zum Thema.