Als das junge Paar von Hannover nach Bremen kam, hätte es auch in irgendeinem anderen Stadtteil landen können. Zufällig wurde es Findorff. Findorff ist seit fast 50 Jahren ihr Zuhause, und es gibt keinen Grund, das jemals zu ändern. „Wir haben hier alles, was wir brauchen“, sagt Lilli Heuing. „Es ist einfach schön hier.“ Das heißt nicht, dass es an der einen oder anderen Stelle nicht noch schöner werden könnte. Und manchmal wäre das eigentlich gar nicht so schwer.
Wenn man erstmal darüber nachdenke, nehme man wahr, wie positiv sich Findorff in den vergangenen Jahrzehnten verändert habe, sagt die 71-Jährige. Der Torfhafen, wo wir uns zum Gespräch treffen, war bis ins neue Jahrtausend ein vergessener, unwirtlicher Ort. Erst nach der umfassenden Sanierung konnte er sich zu einer Attraktion entwickeln und ist „natürlich“ einer ihrer Lieblingsplätze – sofern man denn an einem sonnigen Sommernachmittag noch ein Plätzchen im Biergarten oder auf einer der Bänke um das Hafenbecken erwischt.
Werkhallen und düstere Tunnel
Als Lilli und Reinhard Heuing 1975 ihre Mietwohnung an der Hemmstraße bezogen, gab es das Jan-Reiners-Einkaufszentrum noch lange nicht. An seiner Stelle befanden sich bis Mitte der 1980er-Jahre Werkhallen von Mercedes Benz, erinnert sie sich. Wer früher entlang der Admiralstraße vom alten Krankenhaus in Richtung Hauptbahnhof lief, kam an den Fabrikgebäuden von Bremerland vorbei. „An der Ecke zur Findorffstraße, wo heute das Hotel steht, war früher ein Gebrauchtwagenhandel. Zum Hauptbahnhof führte ein unbefestigter Kiesweg. Die Theodor-Heuss-Allee war noch nicht bebaut. Und bevor der Nordausgang geschaffen wurde, musste man durch einen unheimlich düsteren Tunnel zu den Gleisen laufen.“
Die Heuings, damals Anfang 20 und Eltern ihres ersten von drei Jungs, fühlten sich dennoch sofort wohl. „Uns gefiel der dörfliche Charakter. Gleichzeitig ist man nah am Stadtzentrum, schnell im Grünen, und im Nu auf der Autobahn. Für uns stand schnell fest: Wenn wir uns irgendwann ein eigenes Haus leisten können, dann nur in Findorff.“ Das Gebiet am Rande des Bürgerparks mit den schmucken Häusern und großen Gärten – heute der „alte“ Weidedamm genannt, weil ab den 1980er-Jahren nach und nach die neuen Wohngebiete erschlossen wurden – sei seit jeher sehr begehrt und fast unerschwinglich gewesen.
Bezahlbar war für die junge Familie dagegen der sanierungsbedürftige Altbau an der Geibelstraße – damals „eigentlich eine Ruine“, sagt Lilli Heuing. „Aber dafür konnten wir nach und nach alles so gestalten, wie es uns gefiel. Und für uns hieß das: Das Haus wieder so schön herrichten, wie es ursprünglich einmal war.“ Ältere Nachbarn erzählten, dass man das Gebiet etwas abschätzig als „Nachtjackenviertel“ bezeichnete, erinnert sie sich. „Es war damals bestimmt nicht angesagt. Doch mit uns zogen nach und nach auch andere junge Paare und Familien zu, die ihre Häuser liebevoll sanierten. Das Viertel hat sich schnell gemausert.“
Zum Einkaufen müsse man den Stadtteil selten verlassen. Der Findorffmarkt und die Supermärkte decken den täglichen Gebrauch, dazu kommen die inhabergeführten Fachgeschäfte für das nicht so Alltägliche wie Bekleidung, Käse, Wein, Bücher, Tee, Schreib- und Spielwaren oder Elektrogeräte. „Ich finde es immer besonders schön, wenn sich die Geschäftsleute viel Mühe geben, ihre Läden ansprechend zu gestalten. Was wir hier bekommen, würden wir nie woanders einkaufen.“ Bedarf gibt es ihrer Ansicht nach höchstens für mehr gastronomische Vielfalt. „Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, dann wären es noch ein paar mehr schöne kleine Cafés und Restaurants. Ich bin mir sicher, dass es in Findorff dafür genug Gäste gibt.“ Wohnraum ist im Stadtteil Mangelware. „Ich könnte mir vorstellen, die Plantage in ein Wohngebiet umzuwandeln. So, wie es jetzt ist, ist es doch eine verschenkte Chance.“
Müll ist ein Ärgernis
Nicht so schön: „Der Müll auf den Straßen und an vielen Ecken, und die Bürgersteige vor manchen Geschäften, die nicht gefegt werden und auf denen sich die Kippen häufen“, erzählt sie. „Das ist im Laufe der Zeit wirklich schlimmer geworden.“ Seit einigen Jahren kümmert sie sich um die vier Bauminseln an ihrer Straßenkreuzung. Ihr mache das Spaß, und die Wirkung sei sichtbar. „Seit die Beete bepflanzt und gepflegt sind, wird dort deutlich weniger Abfall hinterlassen.“
Für Findorff sprach und spricht vor allem auch, „dass sich die Kinder hier selbstständig bewegen können“, erklärt die gebürtige Dänin, die in einer ländlichen Gemeinde nahe Roskilde aufgewachsen ist. „Auf dem Land hat man zwar die idyllische Natur, aber auch die weiten Wege. Ständig Chauffeurin der Kinder sein: Das wollte ich auf keinen Fall“, sagt die gelernte Ergotherapeutin, die bis zu ihrem Ruhestand eine private Einrichtung im Umland leitete. In Findorff gebe es fast keinen Ort, von wo aus Kindergarten und Schule nicht zu Fuß erreichbar seien. „Und unsere Jungs haben früher mit den Nachbarskindern auf der Straße gespielt.“
Spielende Kinder auf den Straßen: Man sieht sie heutzutage in Findorff deutlich seltener. Die Politik will Platz schaffen, und die Ankündigung, dass das aufgesetzte Parken künftig untersagt werden soll, erhitzt im Stadtteil seit Monaten die Gemüter. „Die Fronten sind zurzeit sehr verhärtet. Aber wir wissen doch alle: So wie es ist, kann es nicht bleiben.“