An diese Juniwoche wird man sich im Bremer Westen wohl noch eine Weile erinnern. Manche sagen: hoffentlich. Wer von den Regengüssen und dem schweren Gewitter in der Nacht vom Dienstag, 20. Juni, noch verschont geblieben war, den traf es möglicherweise zwei Tage später. Experten warnen schon lange davor, dass sich Starkregenereignisse wie diese in Zeiten des Klimawandels häufen. Zeit, sich darauf einzustellen.
Arnold Schardt lebt seit 30 Jahren in seinem Findorffer Eckhaus und hat in dieser Zeit schon einige Male den Keller trockenlegen müssen. Doch in der Nacht vom 22. auf den 23. Juni waren die drei Tauchpumpen komplett überfordert. Schließlich stand das Wasser 40 Zentimeter hoch. „Ich hatte Glück“, sagt das Mitglied des Vereins Klimazone Findorff. Die Waschmaschine hatte die Überschwemmung auf ihrem Podest gut überstanden, die übrigen Kellerräume werden als solche genutzt. Für diejenigen Nachbarn, die sich in ihren Kellern Arbeits- oder Schlafräume eingerichtet, dort gute Möbel oder Geräte untergebracht hatten, war der Schaden erheblich höher.
Wadentiefe Seen
In manchen Hofgärten bildeten sich wadentiefe Seen, die nur sehr langsam versickerten, hatte Schardt beobachtet. Wie viele Keller mit privaten Pumpen und Feudeln trockengelegt wurden, ist nicht erfasst. Doch in vielen Fällen mussten die Profis von Feuerwehr und Technischem Hilfswerk ran. Insgesamt rund 800 Notrufe hatte die Zentrale ab kurz vor Mitternacht zu bewältigen, insgesamt 400 Einsätze fuhren die Feuerwehrleute in der Nacht und am Folgetag, berichtet Michael Richartz, Sprecher der Bremer Feuerwehr. „Mehr als 90 Prozent davon vollgelaufene Keller und Wohnungen“, so Richartz.
Besonders betroffen: Bremens Nordwesten, vor allem die Stadtteile Findorff, Gröpelingen und Walle, über denen sich die Regenwolken konzentriert und stundenlang entladen hatten. Es war ein Ereignis, wie es auch Hansewasser-Sprecher Oliver Ladeur noch nicht erlebt hatte: „Ein extremer Dauerregen über sechs Stunden – mit 70 Litern pro Quadratmetern! Der stärkste seit Beginn unserer Aufzeichnungen 1956.“
Jahrhundertereignis
Die Bremer Stadtentwässerungsexperten haben ihre Hausaufgaben gemacht, betont Ladeur. Beim Starkregenmanagement sei Hansewasser bundesweit Vorbild. Mittels moderner Computertechnologie würden vom Prozessleitcenter in Seehausen sämtliche Abwasseranlagen 365 Tage rund um die Uhr überwacht, kontrolliert und gesteuert. Um das Netz zu entlasten, werden mithilfe von Speicherkanälen und Regenrückhaltebecken riesige Mengen Wasser zwischengespeichert. Doch innerhalb weniger Stunden fiel so viel Niederschlag wie sonst in einem ganzen durchschnittlichen Monat. Dieses „Jahrhundertereignis“, so Ladeur, hätte „europaweit kein Kanalnetz problemlos ableiten können.“
Kein Entwässerungssystem könne so konzipiert werden, dass ein absoluter Schutz vor Überflutung möglich sei. Ein grundstücksbezogener Rückstau- und Überflutungsschutz sei daher „unbedingt erforderlich – und gesetzlich gefordert“, erklärt Ladeur. Wenn Wasser bis zur Höhe der Straßenoberkante – der Rückstauebene – ansteigt, kann es sich über ein simples physikalisches Gesetz in alle Abwasserleitungen, die unterhalb dieser Linie liegen, zurückdrücken. Mittel der Wahl sind bei reinen Kellerräumen fachmännisch installierte Rückstauklappen – die allerdings kontrolliert und gewartet werden müssen. „Kunststoff kann von Ratten angefressen werden“, weiß Arnold Schardt aus eigener Erfahrung. Eine Hebeanlage sei bei einer hochwertigeren Nutzung angezeigt. Das umfasse bereits die Waschmaschine und die Dusche im Keller.
Wasser könne auch über marode Rohrleitungen den Keller fluten und sich in die Kellerwände drücken. Über eine Kanal-TV-Inspektion könnten die Leitungen inspiziert und Schäden geortet werden. Nicht immer sei eine Komplettsanierung nötig. Kleinere Defekte könnten mittels Kurz- oder Schlauchliner repariert werden. Eine Alternative könne auch die Stilllegung des alten Kanals und die Führung der Rohre über die Kellerwand oder –decke sein, weiß der Experte.
Gut abdichten
„Bei mir und vielen Nachbarn lief das Wasser von Außen durch die Kellertür“, berichtet Schardt. Abhilfe können in solchen Fällen zum Beispiel professionelle Türabdichtungen schaffen. Je nachdem, von wo sich das Wasser seinen Weg sucht, können Grundstückseinfassungen, Bodenschwellen, Schottensysteme, Aufkantungen oder Abdeckungen von Lichtschächten oder Kellerfenstern die Lösung sein. „Selbst kleine Höhenunterschiede können eine große nachteilige Wirkung entfalten“, heißt es in einer Info-Broschüre von Hansewasser.
Sammeln und versickern lassen
„Jede entsiegelte Fläche entlastet das Kanalsystem“, sagt Ulf Jacob aus dem Vereinsvorstand der Klimazone Findorff. Gärten, Vorgärten und begrünte Dächer saugen Regenwasser wie ein Schwamm auf. „Auch viele kleine Regentonnen haben einen großen Effekt“, erklärt Jacob. Er plädiert auch dafür, Regenwasser aus Dachrinnen vom Kanalsystem zu entkoppeln und auf die Straße zu leiten beziehungsweise in Rigolen zur Bewässerung von Straßenbäumen zu sammeln. „Es muss mehr in der Fläche passieren“, mahnt das Mitglied des Bremer Deichamts.
Bremen hatte noch Glück
Was Betroffene wenig trösten wird: Laut kürzlich veröffentlichten Daten des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) wurden bundesweit im Jahr 2022 in Bremen die wenigsten Schäden durch Starkregen gemeldet – in statistisch 56 von 1000 Häusern. Am stärksten von Starkregen betroffen war die Bundeshauptstadt Berlin mit Schäden an 148 pro 1000 versicherten Gebäuden. Gerade erst wurde aus Berlin ein weiteres schweres Starkregenereignis gemeldet.
Für Hansewasser-Sprecher Ladeur gibt es eine simple Erklärung für die Tatsache, dass Bremen in den vergangenen Jahren so glimpflich davon gekommen ist. „Wir hatten schlichtweg Glück, dass die Unwetter an uns vorbeigezogen sind.“ Auch Arnold Schardt prophezeit: „Es wird mehr und heftiger werden. Das, was wir gerade erlebt haben, war nur zum Üben.“
Informationen zum Starkregenschutz gibt es unter anderem bei der Bremer Verbraucherzentrale, bei Hansewasser, der Bremer Umwelt Beratung, im Starkregen-Vorsorgeportal der Bausenatorin und bei der Klimazone Findorff.