Moden Mehlgarten kleidet seit 50 Jahren Findorff ein. Es ist, korrekt gesagt, das runde Jubiläum von Waltraud Mehlgarten, die sich am 1. Januar 1973 selbstständig machte. Im Laufe des halben Jahrhunderts haben sich Name, Standort und Größe des Geschäfts geändert, Sortimente und Moden. Die Welt, der Stadtteil selbst und die Rolle der Frauen sind heute ganz andere. „Zum Glück!”, sagt die Gründerin.
Denn früher, da konnte man männlichen Chauvinismus in Reinkultur erleben: So wie bei den Herren der Schöpfung zum Beispiel, die grußlos auf einem Stuhl Platz nahmen, die Gattinnen bei der Anprobe defilieren ließen und ihr Urteil – und damit die Öffnung ihres Portemonnaies - mit einem Nicken oder Schütteln des Kopfs kundtaten. Oder diejenigen, die erst mit viel weiblichem Charme davon überzeugt werden mussten, der Ehefrau auch noch die zweite Bluse zu gestatten. Damit war es vorbei, als Frauen ihr eigenes Geld verdienten und damit selbstbewusst schalteten und walteten, wie sie wollten. „Als die Frauen anfingen, sich nichts mehr vorschreiben zu lassen, machte es richtig Spaß“, sagt Waltraud Mehlgarten. „Gottseidank entscheiden sie heute selbst, was ihnen gefällt.“
"Salat-" und "Genussgrößen"
Bei Mehlgartens hat man einen guten Riecher dafür entwickelt, was ihnen gefallen könnte – und vor allem denjenigen, die den Kleiderkauf oft als frustrierend und eine Zumutung empfinden. Die Breite an Konfektionsgrößen ist in dem Findorffer Geschäft außerordentlich, doch Begriffe wie Normal- und Übergrößen zählen hier nicht zum Vokabular. Man spricht liebevoll von „Salat-“ und „Genussgrößen" – ein Slogan, der ihrem Geschäft sogar Erwähnung in einer Branchenfachzeitschrift einbrachte, wie Waltraud Mehlgarten stolz berichtet. „Jede Frau hat ihre schönen Seiten", sagt sie. „Und uns ist es wichtig, dass sich alle bei uns wohlfühlen. Ich glaube, das ist unser Geschäftsgeheimnis.“
Als die 16-jährige Waltraud Hollander, 1945 geboren und aufgewachsen an der Regensburger Straße, nach ihrem Schulabschluss eine Lehrstelle suchte, lagen die Optionen ganz nahe. „Ich fragte bei Betten Hoyer, und die haben mich genommen”, erzählt sie. Das alteingesessene Textilkaufhaus an der Ecke Starnberger Straße – schon lange Adresse einer tierärztlichen Praxis – führte neben Betten und Bettwäsche und Kurzwaren auch Bekleidung für den Herrn und die Dame. Hier erlernte sie den Beruf der Textilkauffrau, blieb auch, nachdem sie geheiratet hatte und die kleine Andrea auf die Welt gekommen war, und übernahm immer mehr Aufgaben. Als die Hoyers eine Nachfolge suchten, war es Ehemann Udo, der sie ermutigte, den Laden zu übernehmen. „Er sagte: Du kannst das. Du machst doch sowieso schon alles.“
In einer Zeit wohlgemerkt, als ein Gatte noch das gesetzlich verbriefte Recht hatte, der Ehefrau die Berufstätigkeit zu verbieten, unterstützte sie ihr Ehemann nach Kräften: Baute eigenhändig die neue Ladeneinrichtung, und hatte keinerlei Problem damit, nach Feierabend in Haushalt und Küche mitzuarbeiten. „Ich hatte viel Glück", sagt Waltraud Mehlgarten über ihren im Jahr 2017 verstorbenen Mann. Im Geschäft hatten und haben aber immer nur die Frauen das Sagen. Die Neueröffnung nach der Übernahme im Januar 1973 „schlug sofort super ein“, erzählt sie. Die Kundschaft war entzückt über das schicke Ambiente aus weißem Resopal. Modisch blieb man eher gediegen - so wie die Kundschaft. „Ich erinnere mich an die Dame, die ein neues Oberhemd suchte. Als ich ihr ein Hemd mit Karomuster zeigte, rief sie empört: Frau Mehlgarten! Mein Sohn ist Beamter!", erzählt die 76-jährige lachend. „Faltenröcke, Kleider 'für gut' und Kittelschürzen verkauften wir rauf und runter“, erinnert sie sich. „Miniröcke hätte man mir nicht abgekauft."
Umzug an die Münchener Straße
An ihre Kindheit in den Nachkriegsjahren habe sie nur gute Erinnerungen. Die siebenköpfige Familie hatte nicht viel, ein Stück Kranzkuchen war ein Fest. Doch die Kinder hatten Platz, Freiheit und Geborgenheit. „Wir haben auf der Straße Völkerball gespielt.” Die Regensburger Straße war damals eine lebendige Einkaufsstraße. Es gab dort zum Beispiel mehrere Bäckereien, die Fleischerei Soller, zwei Lebensmittelgeschäfte, die Drogerie Schumacher, das Blumengeschäft von Frau Goschka, den Tabakladen, Farben und Tapeten bei Herrn Dickehut. „In fast jedem Haus war ein Geschäft”, erinnert sich Waltraud Mehlgarten. Am Straßenende an der Nürnberger Straße war der Fahrradladen, aus dem das erste eigene gebrauchte Fahrrad stammte.
Das änderte sich im Laufe der Zeit, und 1978 ergab sich die Chance, an den zentraleren, sichtbareren Standort an der Ecke Münchener Straße umzuziehen. Dort sah man erstmals den Namen „W. Mehlgarten" an den Schaufenstern und auf den Markisen. Von den benachbarten Geschäftsinhabern wurde die junge Kollegin misstrauisch beäugt, weiß sie: „Ich hörte, dass der eine zum anderen sagte: Wollen mal sehen, wie lange die Kleine das macht!“
Es wurde, wie man sieht, erheblich länger, als die Zweifler sich hätten vorstellen können. 37 Jahre lang führte Waltraud Mehlgarten das Geschäft, das im Laufe der Zeit mehrfach vergrößert und umgebaut wurde. Zwanzig Jahre lang hatte sie dort Hand in Hand mit Tochter Andrea gearbeitet, die im Jahr 1990, nach der Ausbildung im Bremer Traditionsunternehmen „Penning und Hertel“, ins mütterliche Unternehmen eingetreten war, und 2010 die Nachfolge antrat. Das Loslassen sei ihr überhaupt nicht schwer gefallen, sagt die Mutter, die nach wie vor in Findorff lebt: „Im Gegenteil. Ich bin sehr stolz darauf, wie toll sie das alles macht.“