Für die meisten Menschen endet die Schulzeit nach spätestens dreizehn Jahren. Hannelore Spatz ist freiwillig sitzengeblieben. Sie ging weitere 50 Jahre lang Tag für Tag in Findorff zur Schule, mit wenigen Ausnahmen und einer kurzen Unterbrechung, um sich um ihre eigenen Kinder zu kümmern. Nun nimmt die wohl dienstälteste Findorffer Lehrerin ihren Abschied von der Grundschule an der Augsburger Straße. Doch ein kleines Schultürchen lässt sie sich immer noch offen.
Sie hätte sich schon längst zur Ruhe setzen können, arbeitete allerdings auch nach Erreichen des Pensionsalters noch jahrelang weiter. Der Stundenlohn von 17,50 Euro, mit dem die Bildungsbehörde ihre erfahrenen Lehrkräfte zum Weitermachen motivieren möchte, war allerdings nicht der Grund, erzählt sie. Nun sei der richtige Zeitpunkt gekommen, da die Viertklässler der letzten Klasse, die sie gemeinsam mit einer Kollegin leitete, in die weiterführenden Schulen entlassen wurden. Sie wolle „aufhören, so lange es noch jemand bedauert“, sagt die 71-Jährige. Außerdem gebe es noch zwei kleine Spatzen, zwei und vier Jahre alt, die nun mehr Zeit mit ihrer Oma verbringen sollen.
Berufsweg war früh klar
Ihre eigene Schulzeit begann im Jahr 1958 an der Nürnberger Straße, die damals auch noch eine Grundschule war, nur einen kurzen Schulweg vom Elternhaus an der Kulmbacher Straße entfernt. Der Berufsweg zeichnete sich schon sehr früh ab. „Ich habe schon als Kind mit meinen Puppen und den Freundinnen gerne Schule gespielt“, erzählt sie, „Kinder lagen mir immer sehr“. Den „guten Draht zu Kindern“ habe sie sicherlich vom Vater geerbt, den es nach dem Krieg aus Ostpreußen nach Findorff verschlagen hatte. „In anderen Zeiten wäre auch er sicherlich Lehrer geworden“, glaubt sie.
Nach dem Abitur am Alten Gymnasium und dem Studium der Mathematik und Grundschulpädagogik kam sie als Referendarin im Februar 1974 genau dorthin zurück und durfte gleich eine Klasse mit fast 30 Kindern leiten. Nach zwei Kurzschuljahren und fleißig durchgezogenen sieben Semestern war das „Fräulein Rippert“, wie sie damals noch hieß, gerade einmal 21 Jahre alt. „Fast alle meine Kolleginnen waren damals unverheiratete Fräuleins“, erklärt sie. Was auch noch anders war: „Jedes Kind hatte ein ordentliches Frühstück dabei“, erinnert sie sich. „Und wie sauber und ordentlich die damals schreiben konnten! Sogar mit Füller!“
Augsburger Straße war erste Wahl
Schon seinerzeit sei die Augsburger Straße eigentlich ihre erste Wahl gewesen, erzählt sie: Während des Studiums hatte sie dort ein Praktikum in der Klasse von Regina Schaper absolviert, die später ihre Rektorin werden solle. Freie Wahl gab es nicht: Es war die Zeit, als es viel mehr Lehrer als freie Stellen gab, erklärt sie. Die Gelegenheit zum Wechsel ergab sich indes recht bald, weil 1977 die Schulen umstrukturiert und die Grundschulklassen an der Augsburger Straße zusammengeführt wurden. Aus Fräulein Rippert war damals bereits Frau Spatz geworden – den Medizinstudenten, der später in Findorff mit einer eigenen Praxis sesshaft wurde, hatte sie in den Studienjahren kennen gelernt.

Ein Stück Erinnerung: Hannelore Spatz zu Beginn ihrer Zeit als Lehrerin in der Augsburger Straße.
Die Zeiten änderten sich, und mit ihnen die Schulen. Früher waren die Kinder zum Mittagessen zu Hause. Die meisten Mütter waren nicht berufstätig, hatten dafür aber die Zeit, sich in der Schule zu engagieren. Die klassische Schultafel wird nach und nach ausrangiert, an ihre Stelle rücken „Whiteboards“, und schon die Kleinsten lernen den Umgang mit dem Touchscreen. Nicht alles am frühen Einsatz der digitalen Medien müsse man gut finden, sagt sie. Die Kinder selbst hätten sich nicht so sehr geändert. Manche seien vorwitzig, andere schüchtern, manche haben Lust aufs Lernen, andere nicht so sehr: So sei das aber schon immer gewesen, sagt sie. „Kinder sind Kinder.“
Gutes Abschneiden in Tests
Anfang der 1980er-Jahre bezog das Ehepaar Spatz ein Einfamilienhaus im Neubaugebiet am Weidedamm, in dem ihre drei Kinder aufwuchsen. Nach der Elternzeit zog es Hannelore Spatz wieder an die Augsburger Straße. „Ich bin immer gerne in die Schule gegangen“, sagt sie. Ihr Anspruch sei es stets gewesen, den Kindern in ihren vier Grundschuljahren eine gute Grundlage für die spätere Schulzeit mitzugeben. „In Tests haben meine Klassen immer gut abgeschnitten“, erinnert sie sich sie.
Besonders geliebt“ habe sie allerdings die Klassenfahrten und die Ausflüge in die Bremer Parks, in die Museen oder zum Bremer Flughafen. Denn das habe sich in all den Jahrzehnten nicht geändert: „Dafür kann man Kinder noch immer begeistern.“ Eine besondere Attraktion: Die regelmäßigen Besuche auf der Findorffer Parzelle, die schon der Vater bestellt hatte, und auf der Sohn Christopher mehr als ein Dutzend Apfelbäume alter Sorten gepflanzt hat. Für die „Apfeljahr-Projekte“ von der Blüte bis zur Ernte würde sie auch wieder in die Schule kommen, sagt Hannelore Spatz: „Wenn das gewünscht ist, mache ich das gerne.“
Natürliche Autorität
„Sie haben eine natürliche Autorität, Fräulein Rippert.“ Das hatte ihr erster Schulleiter an der Nürnberger Straße ihr einmal gesagt, erzählt sie. Er meinte damit nicht die Sorte Autorität, die Kindern Furcht einflößt und ihnen die Schule verleidet. „Ich musste nie viel schimpfen“, sagt Hannelore Spatz. Sie war eine, die man wohl gerne als Klassenlehrerin hat und hatte. Sie erzählt davon, wie oft sie auf ihren Findorffer Wegen mit einem fröhlichen „Hallo, Frau Spatz!“ gegrüßt wird. „Ich freue mich immer“, sagt sie. Viele Ehemalige haben auch lange nach ihrer Schulzeit mit ihr Kontakt gehalten. In manchen Fällen hält die Bindung bereits seit 50 Jahren, erzählt sie: Zur Abschiedsfeier in der Schulmensa an der Augsburger Straße kommen auch einige ihrer Erstklässler des Jahrgangs 1974/75.