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Konztentrationslager in Bremen Wie aus den Auswandererhallen in Findorff das KZ Missler wurde

Friedrich Missler betrieb Anfang des 20. Jahrhunderts die Auswandererhallen in Findorff. 1933 griffen die Nazis auf die bereits leerstehenden Gebäude zu und machten daraus ein KZ.
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Von Anke Velten

Mit den Reichstagswahlen am 5. März 1933 übernahm die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) das Regiment. Wenige Wochen später wurde das erste Konzentrationslager auf stadtbremischem Gebiet errichtet – mitten in Findorff, vor aller Augen. Damit begann vor fast genau 90 Jahren die kurze Geschichte des KZ Missler, und sie nahm kein gutes Ende.

Wer von der Admiralstraße aus in Findorff ankommt, blickt direkt auf ein zentrales Stück bewegter Findorffer Historie. Ab dem Jahr 1906 führte der Bremer Kaufmann Friedrich Missler an der Walsroder Straße seine „Bremer Auswandererhallen“ als letzte Unterkunft für europäische Auswanderer vor der Schiffspassage von Bremerhaven nach Übersee. Im ersten Weltkrieg wurden die Gebäude vorübergehend als Lazarett genutzt, in den 1920er und 30er-Jahren für Sicherheitspolizei und Reichsarbeitsdienst. Ältere Findorffer werden noch wissen, dass hier bis in die 1980er-Jahre das Findorffer Krankenhaus stand.

Doch zur Geschichte des Stadtteils gehört auch die Episode, von der eine kleine Bronzetafel am Rand der Walsroder Straße in wenigen Worten erzählt: „Hinter diesen Mauern wurde in den ehemaligen Auswandererhallen Missler am 1. April 1933 das erste Bremer KZ errichtet“, erklärt das Mahnmal. „Hier begann in dieser Stadt die das Menschenrecht verletzende und die Menschen vernichtende Verfolgung politisch Andersdenkender durch die Nationalsozialisten. Um deren Untaten zu verschleiern, wurde das „KZ Missler“ Ende August 1933 verlegt.“
Neben die plastische Darstellung dreier leidender Gesichter stellte Bildhauer Friedrich (Fritz) Stein (1920-2003) ein Textzitat von Kurt Tucholsky: „Nichts ist schwerer und nichts erfordert mehr Charakter als sich im offenen Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen NEIN!“ Friedrich Missler konnte sich nicht mehr dagegen wehren, dass sein Name mit dem Nazi-Regime verknüpft wurde: Er war bereits 1922 gestorben.

Gebäude stehen teilweise noch

Einige der Misslerhallen stehen noch auf dem heutigen Betriebsgelände des Findorffer Unternehmens Gestra. Dass die Gebäude zum Konzentrationslager wurden, hatte zwei simple Gründe: Sie standen leer und boten viel Platz, um Gegner des Regimes aus dem Verkehr zu ziehen. Im Visier der Nationalsozialisten waren zunächst vor allem die Vertreter der Arbeiterbewegung: Kommunisten und Sozialdemokraten, Gewerkschaftler, unbequeme Journalisten, darunter prominente Bremer Bürger, deren Namen auch heute noch in der Stadt präsent sind: Zum Beispiel der Dirigent und Musiklehrer Hermann Böse, der ehemalige SPD-Reichstagsabgeordnete Alfred Faust oder der KPD-Abgeordnete Hermann Prüser, der im März 1933 vor der Bürgerschaft eine Rede gegen den „faschistischen Staatsstreich“ gehalten hatte.

Kein Geheimnis

In Bremen wurde um das neue KZ kein großes Geheimnis gemacht. Die „Bremer Nachrichten“ veröffentlichten am 2. April 1933 folgende Mitteilung der Polizeidirektion: „Von den in Bremen aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in polizeilicher Schutzhaft befindlichen Marxisten und Kommunisten wurden am Freitag und Sonnabend zunächst etwa hundert Gefangene in ein Konzentrationslager geführt.“

Die Widerständler zu Nationalsozialisten umzuerziehen: Das war zunächst die Aufgabe der frühen Konzentrationslager. Die Haftbedingungen waren nahezu paradiesisch – jedenfalls, wenn man der Exklusivreportage glaubt, für die sich der Journalist Kurt Teege im Juli 1933 inkognito ins KZ Missler einschleusen ließ. Im Auftrag der „Bremer Nationalsozialistischen Zeitung“ berichtete Teege über Häftlinge, die sich auf den Sitzbänken sonnten und sich anerkennend über die gute Unterbringung in den „blitzblanken“ Schlaf- und Tagesräumen äußerten: „Im Konzentrationslager können sich die Häftlinge miteinander unterhalten, soviel sie wollen, sie können Bücher und Zeitungen lesen, Skat spielen usw.“, schrieb Teege in seinem ganzseitigen Bericht.

Misshandelt und gefoltert

Tatsächlich wurden die Häftlinge gedemütigt, misshandelt, gefoltert. In einem Bericht der Bremer Staatsanwaltschaft vom 31. Januar 1949 ist Folgendes zu lesen: Bei den zumeist nächtlichen Transporten seien die Häftlinge „unter Fußtritten, Gewehrkolben- und Gummiknüppelhieben“ vom Wagen heruntergestoßen worden. Bei Vernehmungen im dunklen Keller schlug man die Gefangenen „grün und blau.“

Die Findorffer Nachbarschaft hatte von ihren Fenstern und Balkonen direkten Einblick in das Geschehen. „Die Bevölkerung der anliegenden Walsroder Straße wie auch der Hemmstraße, die gewollt oder ungewollt Zeuge mehrfacher Mißhandlungen wurde, erhob immer stärkeren Protest“, schrieb der Bremer Historiker Jörg Wollenberg, der seit Jahrzehnten zur Geschichte der Konzentrationslager forscht, in einer wissenschaftlichen Abhandlung. Bei einem Besuch vor Ort vor rund zehn Jahren erzählte er: „Sie sahen zum Beispiel, wie die Mütter und Ehefrauen der Häftlinge das Gelände mit blutiger Wäsche verließen.“ Im September 1933 wurden die letzten Inhaftierten aus Findorff an andere, weniger offensichtliche Orte verlagert. Das Grauen nahm in den folgenden Jahren seinen Lauf.

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