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Armut in Gröpelingen Wenn das Geld nicht für Pausenbrote reicht

Mehr als jedes dritte Kind wächst in Bremen in Armut auf. Wir haben in einem der ärmsten Stadtteile der Hansestadt nachgefragt, das mit den Kindern macht.
10.05.2023, 04:56 Uhr
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Von Sophia Allenstein

Wie Armut bei den Kindern sichtbar wird? Kunstpädagogin Kerstin Holst überlegt einen Moment. Viele Kinder kämen hungrig in ihre Atelierkurse, sagt sie. Für lange Schultage hätten sie nicht genügend Essen dabei. In Gröpelingen leitet Holst ein Kinder- und Jugendatelier. Die jüngsten Teilnehmer gehen noch zur Grundschule.

Mehr als die Hälfte aller Minderjährigen unter 15 Jahren haben in Gröpelingen laut dem Bremer Ortsteilatlas Anspruch auf Sozialgeld. Im Ortsteil Ohlenhof sind es fast 54 Prozent, der höchste Wert überhaupt in Bremen (Stand 2021). Der letzte Lebenslagenbericht weist Gröpelingen klar als sozioökonomisch benachteiligten Stadtteil aus. Nirgendwo in Bremen sind mehr Menschen arbeitslos, nirgendwo ist der Sozialhilfebezug so hoch.

Wie ein Aufwachsen in finanziell schwierigen Verhältnissen sich auf das Verhalten von Kindern auswirkt, hat Kunstpädagogin Holst beobachtet. "Die Angespanntheit, die Zuhause herrscht, macht sich im Körper bemerkbar," sagt sie. "Es gibt Kinder, die immer lauter und überdrehter werden. Andere werden immer leiser." Dass durch Armut verursachter chronischer Stress sich negativ auf Psyche und Körper auswirkt, ist mittlerweile wissenschaftlich belegt. So steigt das Risiko für psychische Erkrankungen bei einkommensschwachen Menschen an.

Armut und Krankheit hängen zusammen. Darauf weisen auch Bremer Daten hin. Männer aus Oberneuland lebten im Durchschnitt mehr als sieben Jahre länger als Männer aus Ohlendorf. Das zeigen die aktuellsten Erhebungen des Statistischen Landesamtes. Und Armut verkürzt nicht nur die Lebenszeit im Alter, sondern hat schon in jungen Jahren drastische Konsequenzen. In Bremen litten Schulanfänger aus benachteiligten Stadtteilen mehr als doppelt so häufig an Vorerkrankungen wie Asthma und Allergien (32 Prozent), als Kinder aus gut situierten Stadtteilen (15 Prozent). Auch Therapieempfehlungen häufen sich bei Kindern aus benachteiligten Stadtteilen.

Wir sind oft auch selber hilflos, weil wir nicht wissen, wie wir noch unterstützen können.
Rita Sänze, Quartiersmanagerin in Gröpelingen

Rita Sänze ist seit gut 20 Jahren Quartiersmanagerin in Gröpelingen. In ihrem Job koordiniert Sänze Projekte und Förderungen für den Stadtteil – und hat die Bedürfnisse der Bewohner im Blick. "Schon wenn ich mir die Regelsätze beim Bürgergeld angucke, was Kindern am Tag zusteht und was da mit drin sein soll. Das ist einfach nicht zu machen", sagt sie. Sänze berichtet, dass der Bedarf an Sozialberatungen in den vergangenen Jahren enorm gewachsen sei. "Das zeigt immer, dass Leute in Bedrängnis sind. Dass sie nicht mehr weiter wissen." Zwar freue sich das Team des Quartiersmanagements, wenn sich Bewohner in Not Hilfe suchen. "Aber wir sind oft auch selber hilflos", berichtet Sänze, "weil wir nicht wissen, wie wir noch unterstützen können."

Mit den Quartierstreffs "Rostocker Straße" und "Mosaik" am Liegnitzplatz fördert das Quartiersmanagement zwar Orte für Begegnung, Austausch und Beratung. Es ermöglicht Sprachcafés, Sportangebote und Ferienbetreuung. Wenn es um große, strukturelle Änderungen bei der Armutsbekämpfung geht, könne Bremen als Land aber wenig unternehmen, sagt Sänze. Bei der Stärkung niedriger Einkommen und der Erhöhung von Sozialleistungen müsse der Bund aktiv werden.

Wohlfahrtsverband fordert bessere Zusammenarbeit der Senatsressorts

"Die Armutspolitik im Land Bremen kann überwiegend nur Armutsfolgen bekämpfen", bestätigt Wolfgang Luz, Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Bremen. Auch er sieht den Bund in der Verantwortung, mehr Geld bereitzustellen. Mit den Programmen zur Stärkung der Quartiere, also dem Projekt "Lebendige Quartiere" und der WIN-Förderung, könne in benachteiligten Bremer Quartieren bereits einiges an Armutsfolgen abgefangen werden. Luft nach oben sieht Luz dagegen bei der Zusammenarbeit zwischen den Bremer Ressorts. "In der Vergangenheit wurde gern auf die Zuständigkeit des Sozialressorts verwiesen. Armut spiegelt sich in ganz vielen Lebensbereichen: Wohnen, Gesundheit, Arbeit, Soziales." Wenn jedes Ressort alleine vor sich hinarbeitete, sagt Luz, scheitere die Armutsbekämpfung. Armut könne in Bremen nur gemeinsam angegangen werden.

Im Gröpelinger Kinderatelier geht es an diesem Nachmittag munter zu, durch den Raum tönt Vogelgezwitscher. Die Zweitklässler zeichnen Frühlingsvögel, es entstehen Vorlagen für Drucktechniken. Omar hat einen Adler gemalt, Hamin eine Blaumeise, Zeynep ein Rotkehlchen. Die betreuenden Kunstpädagoginnen und Künstler versuchen den Kindern mit ihren Atelierstunden Selbstvertrauen in das eigene Handeln auf den Weg zu geben, den Mut für Experimente – und zum Scheitern. Auf die fehlenden Pausenbrote haben sie derweil nur begrenzt Einfluss.

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Wie arm ist Bremen?

Im Online-Dossier "Wie arm ist Bremen" gehen wir den Fragen nach, woher die hohe Armutsquote in der Hansestadt kommt, was dagegen getan wird und wie sie sich in armutsbetroffenen Stadtteilen äußert. Alle Teile des Dossiers finden Sie hier auf unserer Themenseite.

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