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Bremer Werft Warum beim Vulkan ein Frachtschiff namens „Lumumba“ vom Stapel lief

Das Frachtschiff "Lumumba" und seine Verbindung zum Kongo: Wie ein Neubau beim Bremer Vulkan vor 50 Jahren politische und wirtschaftliche Verflechtungen offenbarte.
01.06.2024, 05:00 Uhr
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Von Asmut Brückmann

Illustre Gäste hatten sich vor fünfzig Jahren zum Stapellauf beim Bremer Vulkan eingefunden: für die Auftraggeber eine Delegation aus Zaire (heute Republik Kongo); Josée Kayiba Mutombo, Ehefrau des zairischen Außenministers, sollte die Taufe vornehmen. Deutsche Taufgäste waren der Aufsichtsratsvorsitzende des Vulkan, Hans Heinrich von Thyssen-Bornemisza, Bremens Bürgermeister Hans Koschnick (SPD) mit seiner Frau Christine und Johann Gottfried Schütte, Chef des beteiligten Außenhandelshauses.

Insgesamt sechs Mehrzweckfrachter für Massengut und Container hatte Zaire bestellt, zwei davon wurden bei Rickmers in Bremerhaven gebaut. 1974 sollte nun das erste Frachtschiff zu Wasser gelassen und auf den Namen „Lumumba“ getauft werden. Die „Lumumba“, schrieb „Die Norddeutsche“, soll „vornehmlich im Afrika-Europa-Dienst eingesetzt werden. Sie ist für Kupfer, Erz, Palmöl- und Holzfracht vorgesehen und wird Bremen regelmäßig anlaufen.“

Die Schiffe gehörten zur vom Vulkan selbst entwickelten Modellreihe „German Liberty“. Sie sollten die in die Jahre gekommenen amerikanischen Liberty-Frachter aus dem Zweiten Weltkrieg ersetzen. Für den Großauftrag aus Zaire hatte sich besonders Schüttes Teilhaber Ansgar Werner engagiert, ein Kenner des Afrikageschäfts mit besten Kontakten zu den dortigen Machthabern.

Goldenes Armband für die Taufpatin

Der Bau der sechs Schiffe, für den sich auch die Bundesregierung eingesetzt hatte, hatte große Bedeutung für die von der Ölkrise von 1973 gebeutelte Werft. So rührte Thyssen-Bornemisza beim anschließenden Essen in der „Strandlust“ die Werbetrommel für den flexibel einsetzbaren neuen Schiffstyp. Der Taufpatin überreichte er ein goldenes Armband als Taufgeschenk. Johann Gottfried Schütte lobte die Schiffe. Sie würden sich rasch bezahlt machen und den wirtschaftlichen Aufschwung Zaires befördern. Er habe an Joseph Mobutu, den Machthaber Zaires, ein Telegramm geschickt und ihm zu dem Neubau gratuliert, der den „Namen des Nationalhelden Lumumba“ trage.

Was er nicht erwähnte: Der „Nationalheld Lumumba“ war wenige Jahre zuvor unter Mitwirkung Mobutus ermordet worden. Das erste Schiff der zairischen Handelsflotte auf den Namen des beim Volk beliebten Lumumba zu taufen, zeugte von zynischem Populismus, davor die Augen zu verschließen, vom Vorrang geschäftlicher Interessen vor moralische Prinzipien.

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Der charismatische Patrice Lumumba (1925-1961), führender Kopf der Unabhängigkeitsbewegung im Kongo, und Joseph Mobutu (1930-1997) waren einst Weggefährten. Ihre Stunde schlug 1960. Die belgischen Kolonialherren konnten sich dem „wind of change“ (so der britische Premier MacMillan) nicht länger entziehen und sorgten für die Unabhängigkeit des Landes.

Lumumba wurde zum ersten Ministerpräsidenten der Demokratischen Republik Kongo gewählt, die später zwischen 1971 und 1997 Republik Zaire hieß. Bei der feierlichen Machtübergabe konnte es sich der belgische König allerdings nicht verkneifen, die „Errungenschaften“ und „zivilisatorischen Verdienste“ der Belgier zu preisen.

Lumumbas Antwort ging in die Geschichte ein und machte ihn zum Idol nicht nur in Afrika: „Wir haben zermürbende Arbeit kennengelernt. […] Wir haben Spott, Beleidigungen und Schläge kennengelernt, die wir morgens, mittags und abends ertragen mussten, weil wir Schwarze sind. […] Wir haben gesehen, wie unser Land im Namen von angeblich rechtmäßigen Gesetzen aufgeteilt wurde, die tatsächlich nur das Recht des Stärkeren anerkannten. Wir haben gesehen, dass das Gesetz für Schwarze und Weiße nicht gleich ist, bequem für Erstere, grausam und unmenschlich für Letztere, […] dass Schwarze weder in die Kinos gelassen wurden, noch in die Restaurants, noch in die Geschäfte der Europäerinnen und Europäer; dass Schwarze im Rumpf der Schiffe reisten, zu Füßen der Weißen in ihren Luxuskabinen. Wer wird je die Massaker vergessen, in denen so viele unserer Geschwister umgekommen sind, die Zellen, in die jene geworfen wurden, die sich weigerten, sich einem Regime der Unterdrückung und Ausbeutung zu unterwerfen?“

Streit um Bodenschätze spitzt sich zu

Das Unheil braute sich über Lumumba zusammen, als er den Worten Taten folgen ließ. Sein Vorhaben, die Minen des an wertvollen Bodenschätzen reichen Kongo zu verstaatlichen, gefährdete belgische und amerikanische Geschäftsinteressen sowie den Zugriff auf strategisch wichtige Ressourcen wie Uran, Kupfer, Kobalt, Zinn, Mangan, Zinn, Gold und Diamanten.

Die Lage spitzte sich zu, als ein Rivale Lumumbas mit westlicher Hilfe in der rohstoffreichen Provinz Katanga im Süden die Macht übernahm und einen eigenen Staat gründete. Auch weiße Siedler und die immer noch von belgischen Offizieren geführte Armee stellten sich Lumumba entgegen. Ein Bürgerkrieg drohte den jungen Staat zu zerreißen.

Weil Lumumba weder bei der UNO noch bei den Westmächten Unterstützung fand, wandte er sich an die Sowjetunion. Das rief die USA auf den Plan. „Wir müssen den loswerden“, soll Präsident Eisenhower laut Protokoll gefordert haben – eine Direktive, die die CIA als Mordauftrag verstand.

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Der US-Geheimdienst fand in dem ehrgeizigen und skrupellosen Joseph Mobutu, inzwischen Stabschef der Armee, ein williges Werkzeug und köderte ihn mit Geld. Anfang September 1960, Lumumba war noch kein Vierteljahr im Amt, putschte sich Mobutu an die Macht und ließ ihn verhaften. Sein Tod war beschlossene Sache. Die genauen Umstände seiner Ermordung sind nicht restlos geklärt. Weitgehend sicher ist, dass die belgische Regierung und die CIA von dem Mordplan wussten und ihn wohl auch aktiv unterstützten.

Lumumba konnte zwar noch einmal fliehen, doch Mobutus Häscher fassten ihn erneut, flogen ihn nach Katanga aus, folterten und beschimpften ihn. Am 17. Januar 1961 fielen Lumumba und zwei seiner Gefolgsleute dem Kugelhagel eines unter belgischem Befehl stehenden einheimischen Mordkommandos zum Opfer. Um alle Spuren zu beseitigen, wurden die Leichen zerhackt und in Säure aufgelöst.

Der neue Machthaber Mobutu entpuppte sich als brutaler Gewaltherrscher. Folter und Mord gegen Widersacher waren an der Tagesordnung. Doch die USA sahen großzügig über Mobutus Terrorherrschaft hinweg. Mehr als drei Jahrzehnte hielt er sich an der Macht und plünderte sein Land aus. Sein Privatvermögen soll mehrere Milliarden Dollar betragen haben. Wohl, um sich ein antikoloniales Image zu verschaffen, ersetzte er koloniale durch afrikanische Namen: Aus der Republik Kongo wurde Zaire, aus Léopoldville Kinshasa, er selbst hieß jetzt Sese Soko Mobutu.

Heißgetränk in kalten Tagen?

"Lumumba" hat heute noch eine andere, umstrittene Bedeutung. „Normalerweise ist ,Lumumba' ja ein Klassiker nach einem langen Tag auf der Ski-Piste“, schrieb etwa die "Bild der Frau". Auch auf Weihnachtsmärkten erfreute sich das Heißgetränk großer Beliebtheit. Über die Bezeichnung „Lumumba“ machte sich jahrelang kaum jemand Gedanken, bis im Dezember 2023 ein Beitrag auf X (ehemals Twitter) für Aufmerksamkeit sorgte. „Die Bezeichnung des Getränks ist rassistisch", schrieb Annalena Schmidt, Historikerin und Grünen-Politikerin aus Bautzen. „Patrice Lumumba steht für die Unabhängigkeitsbewegung in Afrika! Er wurde erschossen! Und ihr benennt 'Kakao mit Schuss' nach ihm!",empörte sie sich.

In Afrika dagegen und auch im sozialistischen Lager war der 1961 ermordete Lumumba ein Symbol des antiimperialistischen Freiheitskampfs. Die Sowjets benannten die Moskauer „Universität der Völkerfreundschaft“ nach ihm. Denkmäler und Briefmarken würdigten ihn, sein Schicksal inspirierte Komponisten und Schriftsteller.

Was bedeutet das alles für das Kakaogetränk „Lumumba“? Der Namensgeber hatte sicherlich anderes im Sinn als Après-Ski oder ein Couchgetränk. Auch über das „Geschenkset Lumumba“ einer Bremer Firma für Werbeartikel hätte er sich gewundert. Inhalt: Gläser mit Untersetzern, Trinkhalmlöffel, Trinkschokolade, Schokotäfelchen und ein Fläschchen Rum – „an kalten Abenden ein heißer Genuss“. Manche wollen es bei der Benennung „Lumumba“ belassen und versprechen sich davon eine aufklärerische Wirkung. Ob der gewünschte Effekt eintritt, ist fraglich. Dass das dem Schicksal Lumumbas und den Empfindungen schwarzer Menschen gerecht wird, darf bezweifelt werden.

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