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Anfang vom Ender der AG Weser Als Hans Koschnick die Wut der Werftarbeiter traf

Mehr als 25.000 Menschen kommen vor 40 Jahren, am 10. September 1983, zum Tag der offenen Tür der AG Weser. Doch der Rettungsversuch der Belegschaft der Bremer Traditionswerft ist vergebens.
10.09.2023, 05:00 Uhr
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Von Frauke Wilhelm

Als Mitarbeiter und Betriebsrat der AG Weser die Öffentlichkeit am 10. September 1983 zu einem Tag der Offenen Tür auf das Werksgelände in Gröpelingen einladen, ist das Aus von "Use Akschen" und damit das Ende von 140 Jahren Schiffbautradition in Gröpelingen hinter den Kulissen längst beschlossene Sache. 

Für den Krupp-Konzern ist es eine nötige Portfolio-Bereinigung, für die etwa 2000 verbliebenen Beschäftigten die größtmögliche Katastrophe. Die Werft ist nicht insolvent, angeblich gibt es zwei bis drei Optionen für Schiffsaufträge, und in einem geplanten Werftenverbund von Bremer Vulkan, Seebeck-Werft, Hapag Lloyd und AG Weser stünde Letztere glänzend da.

Doch die Bremer Nachrichten meldeten am 30. August, „die Vorstände (der vier Werften) hätten einvernehmlich erklärt, daß sie die Aufgabe der A.G. ‚Weser’ für die ‚wirtschaftlichste Lösung’ hielten“. Die Mitarbeiter des Unternehmens können es nicht fassen: Eine der modernsten Werften Europas, deren gesamte Fertigung darauf ausgelegt ist, mit einer "Olympiamannschaft" von Spezialisten in zwei bis drei Monaten die größten Schiffe der Welt zu bauen, soll abgewickelt werden?

Schiffbau auf der AG Weser war ständiges Auf und Ab

Wer auf einer Werft arbeitet, weiß, dass der Schiffbau ein ständiges Auf und Ab ist. Rasant wachsende oder wechselnde Schiffstypen und Anforderungen an Spezialschiffe machen fast jeden Auftrag zu einer Sonderanfertigung. Nicht selten müssen nach einem glorreichen Schiffsneubau, wie etwa der "Bremen" 1928, Tausende entlassen werden, da es keine Anschlussaufträge gibt.

Die Angestellten der AG Weser haben teilweise schon in den Kriegsjahren für das Unternehmen gearbeitet. Während des Schiffbauverbotes stellten sie zwischen 1948 und 1952 schiffsfremde Eisenwaren her. In den 1950er-Jahren mussten sie die eigenen Sonntagsschuhen für ihre Tätigkeit nutzen. Und im Laufe des Wirtschaftswunders wuchsen sie schließlich zu einer gut verdienenden und stolzen Arbeiterschaft heran. Jetzt soll also endgültig Schluss sein? Vorstandsmitglied Peter Hansen-Wester sagte auf einer Betriebsversammlung Ende der 1970er-Jahre noch: „Das ist nur jetzt so 'ne kleine Delle, und dann geht das wieder aufwärts. Wir federn nur mal eben durch.“

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Kann die große Sympathie der Bremerinnen und Bremer, von denen viele mindestens einen Verwandten unter den Mitarbeitern in "Use Akschen" haben, noch einmal einen Unterschied machen? In zwei Wochen ist Bürgerschaftswahl. Da sollte die Bremer Politik maximal empfindlich gegenüber Druck von außen sein. Mehr als 25.000 Menschen kommen zum Tag der Offenen Tür und solidarisieren sich mit der Belegschaft, es gibt Filme, Lesungen, Ausstellungen und Konzerte. Doch die schwarzen Wolken sind durch die Solidaritätsbekundungen nicht zu vertreiben.

Krupp will aussteigen. Am 15. September wird bekannt, dass der Vorstand der AG Weser den Bremer Senat in seiner Not um eine Bürgschaft in Höhe von 30 Millionen D-Mark für die Sicherung der Liquidität gebeten hat. Das lehnt der Senat ab, woraufhin die Vorstände der Werften den Antrag auf Förderung der Verschmelzung der Werften endgültig unterschreiben. Das bedeutet das Aus für den Standort Gröpelingen.

Besetzung der AG Weser verhindert Stapellauf der "Ubena"

Die Belegschaft beschließt auf einer Betriebsversammlung am 19. September daraufhin einstimmig, die Werft zu besetzen. Mit Decken und Liegen ziehen 800 Besetzer auf ihre „Akschen“. Der geplante Stapellauf des letzten Motorschiffes "Ubena" kann nicht stattfinden. An Solidarität mangelt es nicht. Aus der ganzen Republik kommt Unterstützung. 7000 Menschen werden auf einem Solidaritätskonzert mit Hannes Wader und anderen gezählt. Auch der SPD-Vorsitzende Willy Brandt ist Gast auf einer der Betriebsversammlungen.

Die Besetzer versuchen, die Bürgerschaftswahl am Sonntag, 25. September, zu nutzen und haben die Wähler per Flugblatt aufgefordert, nur diejenigen Parteien zu wählen, die sich für den Erhalt aller Werftstandorte ausgesprochen haben. Es gibt eine weitere Betriebsversammlung  am 23. September, auf der Bürgermeister Hans Koschnick (SPD) und andere Senatsmitglieder sich nochmals den Besetzern stellen. "Wir haben geglaubt, Hans Koschnick könnte sich hinstellen und sagen: ‚Die Werft bleibt’,“ sagt damals der mittlerweile verstorbene ehemalige Rohrschlossermeister Heinz Rolappe, "aber das konnte er nicht."

Und so richtet sich alle Wut und Verzweiflung der Besetzer auf Koschnick, der den aufgebrachten Arbeiterinnen und Arbeitern erklären muss, dass die Bremer Möglichkeiten nicht reichen, um die Werft zu retten. Er habe selbst bis zuletzt für den Erhalt aller vier Standorte gekämpft, nun sehe er aber keine Möglichkeit, eine geforderte Zehn-Millionen-Bürgschaft für das Überleben der Werft bis auf Weiteres bereitzustellen. Koschnick hat sich gegenüber dem Krupp-Konzern festgelegt, ein Aus der Werft ist aus seiner Sicht unabwendbar. Jeder Zeitgewinn wäre nur ein Schrecken ohne Ende. Für Koschnick muss das ein schwerer Gang gewesen sein. Als Gröpelinger Junge aufgewachsen, haben ihn die Hämmer- und Nietgeräusche der "Akschen" von Geburt an begleitet. Und in Gröpelingen schlägt zu dieser Zeit das Herz der Bremer SPD.

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Die Wellen schlagen hoch. Auf dem Höhepunkt der Betriebsversammlung knallt Gewerkschaftsführer Hans Ziegenfuß sein Parteibuch vor Koschnick auf den Tisch. Er tritt aus der SPD aus mit den Worten: „Ich hab, damit es vollständig ist, noch die letzten Marken eingeklebt, aber ich gebe das Buch zurück und lege meine Mandate nieder.“ Die Belegschaft der AG Weser gewinnt die Sympathie und Unterstützung der Stadt, aber Koschnick und die SPD gewinnen die Wahlen. Die SPD geht am 25. September 1983 mit 51,3 Prozent der Wählerstimmen sogar gestärkt aus der Krise hervor. Und die Besetzer müssen angesichts der Androhung von fristloser Kündigung, Räumungs- und Schadensersatzklagen aufgeben und die Werft räumen.

Der Stapellauf der "Ubena" kann am 6. Oktober 1983 stattfinden. Mit dem Schiff wird ein symbolischer Sarg zu Wasser gelassen. Die AG Weser wird von der Belegschaft beerdigt und am 31. Dezember 1983 geschlossen.

Vorübergehende Vulkan-Rettung war teurer Irrtum der Bremer Politik

Die Hoffnung darauf, dass die Politik ein großes Wirtschaftsunternehmen wie die AG Weser mitten in der größten Schiffbaukrise der Nachkriegszeit hätte retten können, scheint heute, 40 Jahre nach der Schließung, schwer verständlich. Doch 1983 sind die mit den Schlagworten "Strukturwandel" und "Globalisierung" bezeichneten gesellschaftlichen Umwälzungen noch ganz neue Erfahrungen. Dass im Laufe der nächsten 20 Jahre so gut wie alle norddeutschen Werftstandorte trotz massiver staatlicher Hilfsprogramme geschlossen werden müssen und die globalen Seeverkehre sich grundlegend wandeln werden, ahnen nur die wenigsten. Die Bremer Politik tröstet sich für den Moment damit, durch das Aus der AG Weser wenigstens den Vulkan gerettet zu haben. Ein teurer Irrtum. Der Apotheker und Ökonom Friedrich Hennemann wird Chef des Vulkan und bekommt für die Sanierung der Bremen-Norder Werft 1995 einen 300-Millionen-D-Mark-Kredit, der den Betrieb auch nicht retten kann.

Schiffbau ist von jeher ein Hochrisiko-Geschäft. Das Konzept von Vulkan und AG Weser ist gescheitert. Überlebt haben am Ende Hochtechnologie und Spezialschiffbau, Jachten und Fregatten. Auch der Konverterbau für die neuen Windparks bei Rönner in Bremerhaven hat heute eine neue Chance.

Eine genauere Untersuchung der ökonomischen Lage der AG Weser nach dem Zweiten Weltkrieg fördert noch ein weiteres Bild zutage. Nach drei Jahren Schiffbauboom von 1952 bis 1955 ist auch die im Krieg zerstörte oder als Reparation beschlagnahmte deutsche Handelsflotte wiederhergestellt. Reeder Aristoteles Onassis bestellt in jener Zeit die ersten fünf Öltanker und bringt die Anzahlung eines Drittels der Kaufsumme bar in einer Aktentasche mit nach Breme. Doch die AG Weser steht bereits vor einem massiven wirtschaftlichen Problem.

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Insbesondere die Japaner drängen mit einfachen, günstig gebauten Schiffen auf den Weltmarkt und stellen 1968 bereits 50 Prozent der abgelieferten Neubauten. Diesen Anteil erreichen sie unter anderem durch eine konsequente staatliche Subventionspolitik. Es hilft den deutschen Werften nicht, dass sie auf Qualitätsstandards "made in Germany" setzen. Die Vergünstigung der Schiffsproduktion durch eben jene Subventionen, durch niedrige Löhne und rationelle Serienfertigung ist unschlagbar.

Für eine vergleichsweise kurze Zeit scheint Großtankerbau die Antwort zu sein. Ein "Billion-Dollar-Game", wie Insider sagen. Als Reaktion auf die erste Suezkrise 1956, als das gesamte Öl aus dem Persischen Golf statt durch den Suezkanal rund um Afrika transportiert werden muss, entscheidet der Vorstand der AG Weser, die Produktion kleinerer Schiffe und schiffsfremden Materials ganz zur Partnerwerft Seebeck nach Bremerhaven zu verlegen und das Betriebsgelände in Gröpelingen für den Bau immer größerer Tankschiffe von bis zu 400 Metern Länge und 380.000 Tonnen Ladeleistung umzubauen.

Ölkrise leitet das Aus der AG Weser ein 

Im laufenden Betrieb werden bis 1964 der Helgen "Wilhelm" und bis 1968 der Helgen "Alfried" mit ihren markanten Bockkränen errichtet, die ganze Schiffsteile von bis zu 750 Tonnen inklusive Rohren und Innenausbau bewegen können. Parallel dazu wird die Fertigung ganz auf eine sogenannte Sektionsbauweise umgestellt. Mit den Großtankern scheint sich diese Strategie zu bestätigen. Zeitweise gibt es viele Aufträge und die Werft ist bis zu vier Jahre voll ausgelastet. Die Höchstleistungen besonders der Stapellauf-Mitarbeiter sind auf der ganzen Welt bekannt.

Doch dann kommt die Ölkrise. Drei der bestellten neun Europatanker werden storniert. Und es gibt keine neuen Aufträge. Weltweit liegt 1975 Tonnage in Höhe von 50 Millionen Tonnen auf. Und die AG Weser hat nach dem Tankergeschäft die schlechtesten Aussichten, sich mit ihren spezialisierten Anlagen auf kleinere oder Spezialschiffe zu bewerben. So wird der Ruhm zum Fallstrick und das Aus der Werft und die Freisetzung von 2000 Beschäftigten für den Krupp-Konzern zur "wirtschaftlich sinnvollsten" Lösung. Daran kann auch Bürgermeister Koschnick nichts ändern.

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Verein "Use Akschen" feiert 40-jähriges Bestehen

Der Use Akschen e.V. wurde im Zuge der Besetzung 1983 gegründet und half den Ehemaligen über die Jahre insbesondere dabei, ihre Asbestose-Erkrankung durch die Berufsgenossenschaft anerkennen zu lassen. Er feiert sein 40-jähriges Bestehen am Sonnabend, 16. September, um 14.30 Uhr im Innside Hotel. Im September 1983 gehörten zur Belegschaft der AG WESER 2239 Mitarbeiter, davon waren 1720 Arbeiter und 519 Angestellte. 1895 Mitarbeiter kamen aus Deutschland, 277 aus der Türkei, 24 aus Griechenland, 23 aus Jugoslawien, 16 aus Italien und vier aus Polen. Während ihres 140-jähriges Bestehens hatte die Werft etwa 1400 Schiffe gebaut. Von 1952 bis 1983 waren es 140 Schiffe.

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