Die niedrigste Lebenserwartung, der höchste Anteil an Sozialleistungsempfängern, immer mehr Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf und gleichzeitig die niedrigste Wahlbeteiligung der Stadt: Es sind alarmierende Fakten, die René Böhme zu Gröpelingen berichten kann. Und, so der Sozialwissenschaftler vom Institut Arbeit und Wirtschaft (IAW) der Universität Bremen: „Die Corona-Pandemie und die Inflation haben bestehende Ungleichheiten bei Einkommen, Vermögen, Bildung, Gesundheit und zwischen den Geschlechtern noch verschärft.“ Trotzdem stecke man in Gröpelingen nicht den Kopf in den Sand, sagt David Brazier vom Vorstand des Gesundheitstreffpunkt West (GTP), bei dem unter anderem der Präventionsrat West angesiedelt ist: „Wir haben viele Akteure und Institutionen, die viel dafür tun, dass hier was passiert. Man muss mit schlechten Sozialindikatoren nicht zum Ghetto werden.“
Sich der Situation geschlagen geben – das ist keine Option für rund 15 Engagierte vom Präventionsrat, die in den vergangenen Wochen eine Diskussionsveranstaltung mit Sozialsenatorin Claudia Schilling und Bausenatorin Özlem Ünsal vorbereitet haben. Am Mittwochabend stellten sich die beiden SPD-Politikerinnen im Nachbarschaftshaus Helene Kaisen (Na‘) ihren Fragen und denen der etwa 60 Zuhörerinnen und Zuhörer.
Erster offizieller Besuch
Schwerpunktmäßig ging es beim nunmehr fünften Bürgerdialog „Zukunft Gröpelingen“ um das Thema Wohnen und Wohnumfeldgestaltung. „Uns ist wichtig, dass Sie einen Eindruck davon bekommen, was das hier für ein Stadtteil ist und wer die Menschen sind, die hier leben“, begrüßte David Brazier die beiden Senatorinnen bei ihrem ersten offiziellen Besuch im Stadtteil.
Von den etwas weniger als 1000 Sozialwohnungen in Gröpelingen werden in diesem Jahr 140, 2025 doppelt so viele und 2026 „wieder etwas weniger“ Wohnungen aus der Mietpreisbindung herausfallen, teilte Ünsal auf Nachfrage von Beiratsmitglied Kristin Blank (SPD) mit. Und dann? Darüber sei ihr Ressort aktuell mit der Wohnungswirtschaft im Austausch, womöglich könnten Förderprogramme helfen. Das sogenannte Koschnick-Haus – Gröpelingens bekannteste Schrottimmobilie, die viele im Stadtteil nervt – wolle sie sich alsbald ansehen, und Hinweise auf sogenannte Monteurswohnungen nehme sie „sehr, sehr gerne“ mit, sagte die Senatorin außerdem Karl Heinz Gans vom Präventionsrat zu: „Wenn es dort eine Zweckentfremdung gibt und das in unseren Bereich fällt, kümmern wir uns darum.“
Keine konkreten Flächen im Blick
CDU-Beiratspolitikerin Ute Pesara fragte nach Neubauplänen für Gröpelingen. Konkrete Flächen hat das Ressort demnach aktuell nicht im Blick und setzt hier unter anderem auf die geplante neue Stadtentwicklungsgesellschaft. „Ich glaube, wir brauchen nicht mehr Wohnraum. Stattdessen muss der vorhandene Wohnraum verbessert werden. Denn die Infrastruktur vor Ort reicht nicht, sodass wir uns mit mehr Wohnungen nur Probleme schaffen“, meldete sich hierzu aus dem Publikum die ehemalige SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Petra Krümpfer zu Wort, die außerdem unter Applaus aus dem Publikum eine Bitte formulierte: „Dass der Senat eine Gesamtstrategie für Gröpelingen ausarbeitet.“
Zur Wohnumfeldverbesserung werden nach Ansicht von Dieter Winge insbesondere sehr gute Angebote für Kinder und Jugendliche gebraucht. Der Beiratspolitiker und Sprecher der Bürgerinitiative Oslebshausen und umzu sprach die Sozialsenatorin deshalb auf die Oslebshauser Multisports Area (Oma) an – ein seit sieben Jahren geplantes Projekt, das bislang am Sozialressort scheitert: „Kann das irgendwann noch mal realisiert werden?“ „Ich weiß im Moment nicht, wie ich die Kosten dafür in meinem Haushalt darstellen kann. Ich bin lieber ehrlich, als dass ich etwas verspreche, was ich nicht halten kann“, sagte dazu die Sozialsenatorin, der zufolge der Mittelbedarf deutlich höher wäre als von Oma-Projektleiter Erhan Yilmaz veranschlagt. „Das können wir gerne noch mal gemeinsam angucken“, schlug Schilling ihm deshalb vor.
Ressortübergreifendes Denken eingefordert
Nach zwei Stunden zog Helmut Zachau vom GTP ein abschließendes Fazit: „Dass wir ressortübergreifend denken, ist noch nicht so ganz gelungen. Und ich hätte mir auch ein bisschen mehr Konkreteres gewünscht.“ Wohnungs- und Schulbau etwa werde bisher noch zu wenig zusammengedacht. Unglücklich auch, dass das Sozialressort das vom Bauressort über das integrierte Entwicklungskonzept (IEK) angeschobene Projekt Oma wieder ausbremse. Schon lange stehe in Bremen ein Elefant im Raum, findet Zachau: „Nämlich die Jugend, für die es im Bildungsbereich an vielem fehlt. Da wurden gerade 150 geplante Stellen für Schulen vor allem in Problemgebieten gestrichen – und in der gleichen Zeitung stand, dass es 40 Millionen Euro für die Sanierung der Glocke gibt. Ich finde, man muss jetzt mal anfangen, über Prioritäten zu diskutieren.“ Den Senatorinnen dankte Zachau für ihr Kommen: „Es ist sicher nicht einfach, sich bei der Haushaltslage einem solchen Forum zu stellen.“