Wenn Daniel Sokolis eine hübsche Stange Geld auf der hohen Kante hätte, dann hätte er eine Gründungsaktie der AG Weser von 1872 gekauft. Ein Auktionator habe ihm ein verlockendes Angebot unterbreitet, berichtet der 28-Jährige. Ein Angebot, das er dankend ablehnte. Denn: „Im Moment wird die Gründungsaktie mit 15 000 Euro gehandelt.“ So viel Geld kann man verlangen, weil es neben dem angebotenen Exemplar laut Auktionator nur noch ein weiteres im Bestand des Staatsarchivs Bremen gibt. Doch obwohl Sokolis sich als Sammler versteht, so weit geht die Leidenschaft nun doch nicht. Zusammengetragen hat der AG Weser-Kenner rund 16 000 Aufnahmen, mehrere Stunden Film und allerlei Devotionalien vom Helm bis zum Hammer. Gern hat die AG Weser auf ihre lange Geschichte verwiesen. Und die begann in der Eigenperspektive nicht erst 1872, als 18 Bremer Kaufleute die Aktiengesellschaft „Weser“ gründeten. Sondern schon 1843 mit der Gründung des Vorgängerunternehmens, der Eisengießerei und Maschinenbauanstalt Waltjen & Leonhardt. Einer Firma, die sich überhaupt erst ab 1847 auf den Schiffsbau verlegte. Ein wenig geschummelt ist es also schon, 1843 als Gründungsjahr der AG Weser auszugeben. So auch bei den Protesten von 1983, als ein Plakat die Wut über die vorgesehene Schließung mit den Worten formulierte: „Die Werft wird 140 Jahre alt, Killer machen sie jetzt kalt.“ Doch Sokolis will mit der schönen Tradition auch nach dem Untergang der Werft nicht brechen. Und spricht deshalb jetzt vom 175. Geburtstag der Werft.
Dass dieser Geburtstag kaum Beachtung findet, kann Sokolis nicht begreifen. Kein Museum befasse sich mit der Geschichte der AG Weser, auch das Einkaufszentrum Waterfront auf dem früheren Werftgelände habe nur anfangs Interesse an einer Dauerausstellung signalisiert. Die schnöde Ignoranz passt zu den wenigen Hinterlassenschaften am früheren Standort. Kaum etwas ist geblieben von der einstigen Herrlichkeit der AG Weser. „Ein Laufrad vom Bockkran kann man noch bewundern“, sagt Sokolis. Auf einem erhaltenen Stück Schiene steht der Radsatz als kümmerliches Überbleibsel alter Größe, eine Infotafel kündet von der Vergangenheit. Für Werftnostalgiker ein trauriger Anblick. Erst recht in diesen Tagen, da die AG Weser Jubiläum gefeiert hätte. Für Sokolis ein Grund mehr, im Rahmen seiner Möglichkeiten an die AG Weser zu erinnern. Nicht nur auf seiner Facebook-Seite AG „Weser“ Werftarchiv, sondern noch umfassender auf seiner angeschlossenen Website. Zweimal wöchentlich präsentiert er Bilder und kurze Infotexte zur Werftgeschichte. Als besonderes Sahnehäubchen hat Sokolis zum 175. Geburtstag der AG Weser einen zehnminütigen Kurzfilm erstellt. Zwar ohne bewegte Bilder, aber mit eindrucksvollen Aufnahmen aus der langen Werftgeschichte, die am 31. Dezember 1983 mit der Schließung abrupt endete.
Doch woher überhaupt sein Interesse an der Werftgeschichte? Als die AG Weser ihre Pforten schloss, war der 28-Jährige noch nicht geboren. Und doch sog er die Werftgeschichte praktisch mit der Muttermilch auf. Wie in so vielen Familien in Gröpelingen, hinterließ die Werft auch in seiner Familie Spuren. Sein Vater arbeitete noch über die Schließung hinaus bis 1984 als Lehrling auf der Werft, auch sein Großvater malochte selbstverständlich auf „Use Akschen“, wie die AG Weser liebevoll genannt wurde. „Meine Großeltern haben sich auf der Werft kennengelernt“, sagt Sokolis, dessen Nachname nur scheinbar auf griechische Wurzeln hindeutet. Seit dem frühen 19. Jahrhundert seien Träger dieses Namens in Bremen zuhause gewesen, aus dem Osten sollen sie stammen. „Wir kommen alle aus Bremen, nur der Name nicht.“
Er selbst bekam noch als Grundschüler etwas mit von der immensen Bedeutung, die die AG Weser als größter Arbeitgeber und sozialer Treffpunkt im Stadtteil hatte. Gerade auch der Zusammenhalt im Kampf gegen ihre Schließung wirkte nach. „Meine Grundschule Pastorenweg hat sich damals bei der Besetzung des Werftgeländes sehr eingesetzt.“ In der Aula habe eine ganze Wand das Drama thematisiert. „Schon damals bin ich hellhörig geworden.“
Was Sokolis von der AG Weser in die Finger bekam, hat er gesammelt, vor allem Bild- und Textdokumente. Inzwischen ist alles digital aufbereitet, zu jedem einzelnen Schiff, das je bei der AG Weser vom Stapel gelaufen ist, kann Sokolis die wichtigsten Informationen liefern. Von früheren Werftarbeitern erhielt er zahlreiche Erinnerungsstücke, von seinem eigenen Großvater den Lehrvertrag von 1961. „Im ersten Lehrjahr hat er 90 Mark bekommen – brutto“, sagt Sokolis.
Womöglich erweitert sich der Bestand ja noch. Auch wenn die legendäre Gründungsaktie von 1872 wohl kaum einen Platz im Werftarchiv finden wird.