Es war einmal vor langer, langer Zeit: „Ich machte die Tür auf – und da sah ich mein Mäuschen“, erzählt Horst Eckner. „Ich war sofort verliebt!“. Diese Liebe währt nun schon mehr als 65 Jahre. An diesem Wochenende feiern Horst und Erika Eckner ihre eiserne Hochzeit. Mit der ganzen Familie, die mittlerweile schon vier Generationen umspannt. Wie sie sich gefunden haben, das war Zufall – oder Schicksal, sagen die beiden. Denn eigentlich trennten den Oslebshauser Jung und die Bauerntochter für damalige Verhältnisse Welten.
Der eine war zwischen Kriegsruinen aufgewachsen, die andere in einem reetgedeckten Bauernhaus im Dörfchen Heißenbüttel, einem Ortsteil von Hambergen. Allerdings hatte das zarte Persönchen, das dem 19-jährigen Kaufmannsgesellen sofort ins Auge fiel, seit gut einem Jahr eine Anstellung im Haushalt der Oslebshauser Schlachterfamilie Bollmann. „Das war damals ‘ne Sensation, als ich mit einer ankam, die 30 Kilometer entfernt wohnte“, erzählt Horst Eckner. „Die haben alle geguckt.“
Mit großen Augen geguckt hatten die Gäste aus der Stadt dann auch bei der Hochzeit, die ein knappes Jahr nach dem ersten Rendezvous im Elternhaus der Braut gefeiert wurde. „Der Pastor kam ins Haus, in der Diele wurde der Altar aufgebaut“, erklärt Erika Eckner. „Vorher wurde ein Schwein geschlachtet. Der Braten garte in einem riesigen Ofen, den mein Vater selbst gemauert hatte. So etwas hatten die auch noch nie gesehen!“
Dass es soweit gekommen war, verdankte der Bräutigam einem Freund, der ihn an einem Junisonntag zum Tanzabend beim Kleingartenverein Blüh Auf überredet hatte. „Da war was los!“, erzählt Horst Eckner. „Ich musste gleich am nächsten Tag wieder hin!“ Denn auch am Montag, 17. Juni 1958, durfte im Vereinshaus getanzt werden – es war Tag der Deutschen Einheit. „Mäuschen stand da mit ihren Freundinnen und zwei Soldaten aus der Tirpitz-Kaserne“, erinnert er sich zurück.
„Ich kratzte mein ganzes Geld zusammen und bestellte für die Damen einen Likör. Ich war ja kein Draufgänger, aber ich ging ganz mutig zu ihr, machte eine Verbeugung, und forderte sie zum Tanz auf.“ Welches Lied die Musikbox gerade spielte, darauf haben beide in ihrer Aufregung gar nicht geachtet. „Elvis könnte es gewesen sein“, vermutet Horst Eckner. „Es war ja die Rock-‘n’-Roll-Zeit“. Seine Frau erinnert sich nur daran: „Der hat so schnell getanzt!“
Es waren unruhige Zeiten, in die beide im Jahr 1937 hineingeboren worden waren. „Die ersten Jahre haben wir vom Krieg nicht viel mitbekommen“, erzählt Horst Eckner. „Aber später, 1943/44, wurde es schlimm.“ Er erinnert sich noch an die Nächte, in denen er komplett angezogen – mit Schuhen und Mütze – im Bett lag. Den Handwagen mit dem Nötigsten hatte die Mutter für den Fall der Fälle gepackt. Bei Bombenalarm floh man in den Bunker an der Oslebshauser Heerstraße. „Wir Kinder haben vor Angst geschrien und geweint. Sobald es Entwarnung gab, liefen die Erwachsenen hinaus, um zu schauen, ob ihre Häuser noch standen.“
An einem Nachmittag nach Kriegsende spielte Horst Eckner mit einem Freund aus der Nachbarschaft auf der Straße. „Plötzlich kam da einer an, im grauen Soldatenmantel und ohne Haare auf dem Kopf“, erzählt er. „Ich wusste nicht, dass es mein Vater ist. Ich hatte ihn ja sechs Jahre nicht gesehen.“ Auch Erika Eckners Vater hatte den Krieg überlebt – doch sie weiß: Mit den Erlebnissen kämpfte er ganz alleine weiter. „Die Erziehung übernahm meine Mutter. Wenn wir den Vater um etwas baten, sagte er immer nur: Mientwegen.“
Die Söhne – Lutz, der 1959 auf die Welt kam, und Andreas, der 1964 folgte – konnten in einem friedlichen Gröpelingen aufwachsen. Aus beiden wurden Handwerksmeister, die eigene Familien gründeten. Die drei Enkeljungs sind längst erwachsen, das dritte Urenkelkind ist gerade unterwegs. „Wir können stolz sein“, sagt Erika Eckner.
Nachdem die Söhne das Elternhaus verlassen hatten, zog das Paar vor 20 Jahren aus der Meyenburger Straße aus und ein paar Hundert Meter weiter in die Elbinger Straße. In dem Acht-Parteien-Haus „sind wir jetzt Oma und Opa“, sagt Horst Eckner. Und was für welche: Eckners halten nicht nur ohne fremde Hilfe die eigene Wohnung picobello aufgeräumt, sauber und gemütlich, sondern pflegen auch den großen Gemeinschaftsgarten. „Mein Mann mäht den Rasen, ich bin für die Pflanzen zuständig. Ich will das schön haben“, erklärt sie. „Alles, was meine Frau anfasst, blüht“, lobt der Gatte. Auch der Gehsteig vor dem Haus wird regelmäßig gefegt – ob sich Besuch ankündigt oder nicht. „Wir beide können keinen Dreck sehen. So sind wir das von früher gewohnt“, sagt Horst Eckner. „Unsere Vermieter sagen: Wir dürfen nicht ausziehen.“
Hilfe leisten, wo sie gebraucht wird – für die beiden seit jeher selbstverständlich. Das galt für die eigenen Eltern, als sie pflegebedürftig wurden, und auch für die älteren Damen aus der Nachbarschaft, die Erika Eckner jahrelang betreute. Jetzt, im Alter von 85 Jahren, müsse sie etwas kürzer treten. Doch wenn sie vom Fenster aus wieder neue Bewohner im Stiftungsdorf sehe, die ganz traurig vom Balkon umherblickten, „dann winke ich ihnen immer zu.“
Mindestens einmal am Tag vor die Tür, zum Einkaufen oder für den Spaziergang, das müsse schon sein, um so jung, fit und gut gelaunt zu bleiben, glaubt Erika Eckner. Dazu beitragen könnte aber auch noch ein anderes tägliches Ritual, das im Hause Eckner eisern eingehalten wird. Jeden Nachmittag um Punkt 17 Uhr ist Zeit für den „Dämmerschoppen“: für ihn ein Bier und ein „Körnchen“ – und ein Likörchen für das Mäuschen.