Pöbeleien, Ausraster und körperliche Auseinandersetzungen: Bremens Schulen haben im vergangenen Schuljahr 109 „außergewöhnliche Vorfälle“ wie zum Beispiel Bedrohung, Nötigung, sexuelle Belästigung und Körperverletzung gemeldet. Laut Karsten Thiele, Referatsleiter der Schulaufsicht, ereigneten sich 40 dieser Vorfälle an Grundschulen und davon 16 an Grundschulen in Gröpelingen. Sein Haus erkenne beim Blick auf die Zahlen im Vergleich zu den Vorjahren zwar „keine exorbitante Steigerung“, hat Thiele kurz vor den Sommerferien im Bildungsausschuss des Gröpelinger Beirats mitgeteilt. Gleichwohl sei man sich dort bewusst, dass die Situation in den Schulen insgesamt instabil sei und diese auf entsprechende Vorfälle nicht gut eingehen könnten, da Assistenzen und Sozialarbeiter fehlten: „Da muss man gucken, wo wir die Schulen noch mehr unterstützen können und wie man entsprechenden Vorfällen systematischer begegnen kann.“
Als dramatisch stufen wiederum Pädagogen und Ortspolitiker die Lage in Gröpelingen ein. SPD-Beiratspolitiker Pierre Hansen und Larissa Krümpfer, die sich für die SPD als Sachkundige Bürgerin im Bildungsausschuss engagiert, bewerten die Situation in ihrem Stadtteil angesichts der eklatant hohen Zahlen als besonders besorgniserregend. „Die Umgangsformen werden schlimmer. Lehrpersonal wird beleidigt, und es gibt schon morgens Gewaltsituationen, wenn die Elterntaxis die Schulen ansteuern“, beschreibt Bildungsausschusssprecher Martin Reinekehr (SPD) den Alltag in vielen Einrichtungen. „Wir haben auch schon erlebt, dass Eltern drohen und sich vor Lehrern aufbauen oder sich in die Autos von Lehrkräften gesetzt und diese weggefahren haben. Oder dass Müll und Scherben als Waffe benutzt wurden. 16 von 40 Fällen – das ist unglaublich viel für Menschen, die gerade einmal zehn Jahre alt sind“, ergänzt Larissa Krümpfer, die selbst Mutter eines Grundschulkindes ist.
Kontaktpolizist als Dauergast
Auch Thomas Murken, der die Grundschule Pastorenweg leitet und sich unter anderem mit der Leitung der Grundschule am Halmerweg regelmäßig über das Thema austauscht, zeigt sich besorgt. An den Schulen sei insgesamt eine allgemeine Verrohung zu beobachten, sagt er: „Die Aggression untereinander und gegenüber Lehrern nimmt aus unserer Sicht stark zu, und dieses Verhalten wird von Eltern auch nicht hinterfragt.“ Mindestens einmal im Monat habe sein Kollegium es mit aggressiven Eltern zu tun, so Murken weiter: „Eltern greifen auch bei von uns bereits geklärten Konflikten ein, jeder denkt nur noch an sich.“ Auch Lehrkräfte würden von aufgebrachten Eltern angeschrien, so Murken: „Unser Kontaktpolizist geht bei uns ein und aus.“
Der Gröpelinger Schulleiter unterstreicht gleichzeitig aber auch: „Trotzdem haben wir ganz tolle Kinder, die lernen wollen, es aber nicht können, weil wir viel zu viel Zeit für diese Dinge benötigen.“ Die Kinder sollten doch aber Teil unserer Gesellschaft werden, sorgt sich Murken um die Zukunft seiner Schützlinge: „Deshalb müssen wir da hingucken und ganz dringend etwas tun.“ „Wir erwarten eigentlich, dass die Behörde da mehr Ressourcen reinsteckt“, ergänzt SPD-Ortspolitiker Hansen. Dies sei allein schon aufgrund der besonders hohen Anzahl von Gröpelinger Erstklässlern mit geringen Deutschkenntnissen dringend notwendig.
Gute Erfahrung mit "Coolness-Trainern"
Gewalt ist auch an den Gröpelinger Oberschulen ein Thema. Nachdem es etwa an der Gesamtschule West (GSW) immer mehr Gewaltvorfälle gab, habe man dort mit dem Projekt „Coolness-Trainer“ gute Erfahrungen gemacht, sagt Schulleiter Matthias Schmuhl: „Zwei Kolleginnen haben sich zu Coolness-Trainerinnen ausbilden lassen. Das hat aus meiner Sicht viele positive Effekte. Was uns allerdings beunruhigt: Dass dieses Programm offenbar wieder ausläuft.“
Auch an der Oberschule im Park, die beim Coolness-Training mit der GSW kooperiert, habe es Trainings für das gesamte Kollegium gegeben, und es seien innerhalb von zwei Durchgängen sechs Trainer ausgebildet worden, sagt Schulleiterin Monika Steinhauer: „Das hat aber auch ordentlich viel Geld und Zeit gekostet.“ Vertreter der Neuen Oberschule Gröpelingen (NOG) und der Oberschule Ohlenhof plädieren dafür, die Schulsozialarbeit insbesondere an den Gröpelinger Grundschulen zu stärken.
Mehr Bezugspersonen gefordert
„Es ist wichtig, Konflikte auch aufzuarbeiten“, unterstreicht Christian Radke von der Schulleitung der NOG. Silke Reinders, Leiterin der Oberschule Ohlenhof, sagt: „Schulsozialarbeiter sehen, was bei den Schülerinnen und Schülern zu Hause los ist und können sie auffangen.“ Auch nach Ansicht von Larissa Krümpfer muss es mehr Bezugspersonen geben, die auf sinnvolle Art und Weise Zeit mit Grundschülern verbringen: „Denn wenn wir diejenigen Kinder jetzt nicht auffangen, die am Nachmittag niemanden haben, der sinnvoll Zeit mit ihnen verbringt, dann sind die 16 Fälle in Gröpelingen nur der Anfang dessen, was kommt.“