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Armut im Bremer Westen Bei vielen reicht das Geld nicht mehr

In Gröpelingen leben vergleichsweise viele Meinschen und Familien mit einem besonders niedrigen Einkommen. Die jüngste Teuerungswelle und die seit Monaten fortschreitende Inflation treffen sie besonders hart.
24.07.2023, 05:00 Uhr
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Bei vielen reicht das Geld nicht mehr
Von Anne Gerling
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Schon Mitte des Monats ist mittlerweile bei vielen Familien in Gröpelingen das Geld alle: Das berichten seit einiger Zeit Vertreter verschiedener sozialer Einrichtungen im Stadtteil. Unter anderem verzeichnen demnach die Bremer Suppenengel und die Suppenküche Wilder Westen einen immer stärkeren Zulauf zu ihren Angeboten auf dem Gröpelinger Bibliotheksplatz und beim Gemeinschaftshaus an der Stuhmer Straße, den sie kaum noch auffangen können. Der beim Gesundheitstreffpunkt West (GTP) angesiedelte Präventionsrat Bremen-West fordert deshalb die Politik auf, den Stadtteil stärker zu unterstützen und der steigenden Armut etwas entgegenzusetzen.

Die Berichte aus den Einrichtungen decken sich mit wissenschaftlichen Untersuchungen, in den Armuts- und Reichtumsberichte von 2009, 2015 und 2021 ist auf die problematischen Lebensbedingungen insbesondere in den Ortsteile Ohlenhof, Gröpelingen und Lindenhof hingewiesen worden. Anfang Juni hat sich der Bremer Sozialwissenschaftler René Böhme vom Institut Arbeit und Wirtschaft (IAW) der Universität Bremen mit dem Präventionsrat über die Situation in Gröpelingen ausgetauscht.

Was ist die Datengrundlage?

Böhme hat verschiedene Daten des Statistischen Landesamtes zur Bevölkerungsentwicklung, Einkommen und Bildung für den Zeitraum von 2011 bis 2021 zusammengetragen und ausgewertet. Demnach ist die Zahl der Einwohner um drei Prozent auf circa 36.000 gestiegen, der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund lag 2011 bei 40,5 Prozent und 2021 bei 58 Prozent. Das durchschnittliche steuerpflichtige Einkommen in Gröpelingen ist Böhme zufolge seit 2001 praktisch nicht angestiegen, der Mittelwert für den gesamten Stadtteil liegt bei 22.264 Euro – das ist bremenweit mit Abstand der geringste Wert.

Gibt es Unterschiede im Stadtteil?

Gleichzeitig leben im Stadtteilvergleich die meisten Empfänger von Grundsicherung (ehemals „Hartz IV“, seit 1. Januar „Bürgergeld“) in Gröpelingen und der Anteil älterer Menschen, die Leistungen wie Grundsicherung im Alter oder Unterstützung für Pflegebedürftige erhalten, ist bremenweit nach der Vahr der zweithöchste. Bei näherer Betrachtung der Ortsteile zeigen sich Unterschiede: Die Werte für Oslebshausen sind deutlich weniger alarmierend als in den Quartieren Ohlenhof, Lindenhof und Gröpelingen.

Warum spitzt sich die Lage zu?

Schlussfolgern lässt sich jedoch unterm Strich, dass im Stadtteil besonders viele Menschen mit einem Einkommen leben, das so gering ist, dass es gerade so für die Grundversorgung mit Lebensmitteln, Miete und Energie ausreicht. „Die jüngste Teuerungswelle nach der Corona-Pandemie und die seit Monaten fortschreitende Inflation treffen diese Haushalte besonders hart, das Geld reicht einfach nicht mehr“, sagt Kim Rathjen, die den Präventionsrat beim GTP koordiniert und unterstreicht: „Da muss dringend etwas passieren.“ Mit dem Aufruf „Gröpelingen solidarisch“ wolle der Präventionsrat deshalb eine möglichst breite Öffentlichkeit auf die Situation aufmerksam machen und die politischen Entscheidungsträger auffordern, dieser dramatischen Entwicklung mit gezielten Maßnahmen entgegenzusteuern.

Was ist der Anlass für die Initiative?

Der Anstoß zu dem Aufruf kam Rathjen zufolge aus einer Arbeitsgruppe, die sich unter dem Dach des Präventionsrates mit dem Thema „Zukunft Gröpelingen“ beschäftigt: „Dort häufen sich in letzter Zeit entsprechende Berichte aus Einrichtungen.“ Unter anderem sei zum Beispiel aus Jugendeinrichtungen zu hören, dass seit einiger Zeit immer häufiger Kinder hungrig dorthin kämen. Auch fragten immer mehr Erwachsene in sozialen Einrichtungen nach Zuverdienstmöglichkeiten an, da ihr monatliches Einkommen nicht mehr ausreiche. Bereits Anfang des Jahres berichtete die Verbraucherzentrale, die in der Stadtbibliothek West regelmäßig Beratungen anbietet, von einer steigenden Zahl von Menschen, die ihre Energierechnungen nicht mehr bezahlen könnten, so Rathjen. Außerdem: „Wir finden, dass dieses Thema – auch von politischer Seite – zu wenig Aufmerksamkeit bekommt.“

Was ist das Ziel des Aufrufs?

Diese Aufmerksamkeit möchte der Präventionsrat – ein Zusammenschluss verschiedener Akteure, der 2008 aus dem „Forum Gewaltprävention“ hervorgegangen ist und sich für die Verbesserung der Lebensqualität und ein friedvolles Zusammenleben im Bremer Westen einsetzt – nun mit seinem Aufruf herstellen. Außerdem sammelt das Forum aktuell selbst Ideen für weitere kleinere und größere Aktionen und Maßnahmen, mit denen dieser sozialen Notlage begegnet werden soll. Wünschenswert wäre nach Ansicht des Präventionsrates wieder eine Ausgabestelle der Bremer Tafel in Gröpelingen; Anfang 2017 hatte die Einrichtung ihre Dependance am Schwarzen Weg nach Burg-Grambke verlegt.

Wer steht hinter dem Aufruf?

18 Einrichtungen und 74 Einzelpersonen, die in Gröpelingen leben oder arbeiten, tragen den Aufruf als Erstunterzeichner mit. Der neue Gröpelinger Beirat hat sich in seiner konstituierenden Sitzung Anfang Juli einstimmig dafür ausgesprochen, den Aufruf zu unterstützen. „Wir wünschen uns aber natürlich noch mehr Unterstützer, die ihren Namen unter den Aufruf setzen“, so Rathjen.

Wer den Aufruf unterstützen möchte, kann sich per E-Mail an info@praeventionsrat-west.org an den Präventionsrat wenden.

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