Höchstens zehn Minuten braucht man normalerweise zu Fuß vom Oslebshauser Bahnhof durch den Grünzug bis zum Freizi an der Oslebshauser Heerstraße 225. Normalerweise. Die Gruppe von Jugendlichen um Freizi-Mitarbeiterin Sabine Toben-Bergmann, die sich am Dienstag, 20. Juli, vom Freizi aus in Richtung Bahnhof durch den Grünzug bewegte, brauchte für die gut 500 Meter lange Strecke wesentlich länger. Meter um Meter – ja: Zentimeter um Zentimeter – arbeiteten sich die Jugendlichen voran und klaubten dabei aus den Rasenflächen um den Weg herum Unmengen weißer und brauner Zigarettenfilter heraus.
Denn das Freizi hat sich wie berichtet als Sammelstelle für die Zigarettenstummel-Sammelaktion „Kippen-Marathon“ angemeldet, die von der Bremer Stadtreinigung, vom BUND-Meeresschutzbüro und der Initiative "Clean up your City" organisiert worden ist. Eine Woche lang schwärmen deshalb aktuell jeden Tag Jugendliche aus, um ihren Stadtteil von weggeworfenen Zigarettenstummeln zu befreien. An diesem Nachmittag war nun also der Grünzug dran. Der 24-jährige Hamed Azimi ist dort regelmäßig unterwegs. „Wenn ich hier langlaufe, sehe ich überall Kippen“, erzählt er – unter anderem deshalb mache er auch gerne bei der Aktion mit, bei der ihm noch jede Menge anderer Müll – Masken, T-Shirts, Windeln – aufgefallen sei: „Das hätten wir gerne gleich mit entsorgt, wir hatten aber kein geeignetes Gefäß dabei.“
Das Oslebshauser Team setzt beim Kippen-Aufsammeln auf Gummihandschuhe statt Greifzange – eine zwar unkomplizierte Sammelmethode, die aber ganz schön auf den Rücken geht. Noch gehe es aber, sagt der 15-jährige Leon, während er sich immer wieder bückt, um nach weggeworfenen Zigarettenstummeln zu greifen. Warum er mitmacht? „Ich hasse Rauchen! Es dauert ja ganz viele Jahre, bis Kippen sich zersetzen.“ Leon war auch am Tag davor mit dabei und hat mitgeholfen, die Oslebshauser Heerstraße zwischen Dohlenstraße und Von-Ossietzky-Straße abzusammeln. Eineinhalb Stunden hat die Gruppe für den gut 600 Meter langen Abschnitt gebraucht – und bekam dabei von einigen Anwohnern Sprüche zu hören, wieso sie denn wohl den Müll von anderen wegräumten und dass man stattdessen Raucher stärker zur Kasse bitten sollte. Mitgeholfen habe aber leider niemand, bedauert Sabine Toben-Bergmann. Immerhin: Am Dienstag war der frisch gewählte Chef der CDU-Bürgerschaftsfraktion Heiko Strohmann mit einer Mitarbeiterin vorbeigekommen, um das Freizi-Team zu verstärken.
Im Haus sei die Kippen-Entsorgung durchaus ein Thema, erzählt Toben-Bergmann, die sich seit langem in der Arbeitsgruppe ‚“Müllvermeidung“ im Präventionsrat Bremen-West engagiert: „Viele rauchen schon mit zwölf das erste Mal und schnippen dann ihre Kippen irgendwo hin. Einige von unseren Jugendlichen waren schon schockiert, als sie hörten, wie viel Grundwasser schon alleine eine Kippe verunreinigt und dass Kippen auch im Magen von Fischen gefunden werden. Das hat schon Diskussionen bei uns ausgelöst.“ Einrichtungen wie wir haben ja auch einen pädagogischen Auftrag, deshalb hätte ich mir schon gewünscht, dass auch mehr Schulen mitmachen.“
Bislang sei aber leider noch niemand vorbeigekommen, um eingesammelte Zigarettenstummel für die Sammeltonne beim Freizi abzugeben, so Toben-Bergmann: „Wir warten noch auf gefüllte Tüten. Vielleicht kommen die ja alle am Freitag.“
„Machen Sie das freiwillig?”, fragt die ältere Dame, die sich über die Person wundert, die mit behandschuhten Händen, halb auf Knien, zwischen den Pflastersteinen an der Haltestelle Lohmannstraße herumpult. Wohlwollendes Nicken bei der Erklärung: Ja, ganz ohne Zwang, und gemeinsam mit rund dreißig anderen Findorfferinnen und Findorffern, die sich am späten Nachmittag vor der Jan-Reiners-Lok zum gemeinsamen Großreinemachen getroffen hatten: Ausgerüstet mit Gläsern, Bechern und Beuteln, reellen Müll-Greifern oder auch Grillzangen waren Findorffer Geschäftsleute und diverse Stadtteilpolitiker und Mitglieder des Vereins Klimazone Findorff zu sehen. Die Aktiven der Initiative „Clean Up Your City” waren leicht an ihren neuen schwarzen T-Shirts zu identifizieren. Angesprochen fühlten sich aber auch Bürgerinnen wie Annette Seggermann, die nicht mit leeren Händen ankam: Eine pralle Tüte mit Zigarettenkippen hatte sie bereits rund um den Bürgerwohlsweg eingesammelt. Oder auch der neunjährige Moritz, der mit Argusaugen die Grünanlage inspizierte - nicht nur, weil Mama Anne das gut findet. „Ich habe Lust dazu“, betont Moritz. „Ich will nicht, dass unsere Welt überschwemmt wird.“
Bereits im Vorfeld hatten sich fast ein Dutzend Eltern mit ihren Kindern im Klimacafé an der Münchener Straße getroffen, um „Kippen-Engel” zu basteln: Aschenbecher aus gebrauchten Tetrapacks und Marmeladengläschen, die bereits hier und da vor Geschäften und an privaten Gartenzäunen angebracht wurden. Die klassischen Hotspots waren auf den Einkaufsstraßen rasch ausgemacht: Besonders viel hatte sich vor bestimmten Hauseingängen, rund um Sitzbänke, Ampeln und Haltestellen sowie vor den Bordsteinen angesammelt – überall dort, wo Menschen kurz warten oder sich länger aufhalten. Selbst vor dem Eingang des Klimacafés müsse man täglich Kippen wegfegen, berichtete Hans Schüler aus dem Vereinsvorstand der Klimazone. Die Aktion solle dazu beitragen, das Bewusstsein für das Thema zu schärfen, das nicht nur die Stadtsauberkeit, sondern vor allem die Umwelt schwer belastet. Wer Zigarettenkippen einfach wegschnippt, riskiere zwar ein Bußgeld – im Alltag sei das Risiko indes gering, geschnappt zu werden, wusste Schüler. „Andere Städte sind da viel rigoroser”, sagt der Findorffer.
Die Initiatoren hatten in den vergangenen Tagen über ihre diversen Kanäle ordentlich für die Aktion geworden. Dennoch sei er von der Resonanz positiv überrascht, sagte Oliver Nullmeyer vom Verein der Findorffer Geschäftsleute. „Das zeigt, dass es im Stadtteil ein funktionierendes Netz an engagierten Menschen gibt”, lobte der Stadtteilmanager. Dazu gehört auch die Findorffer Gruppe von Clean Up Your City (CUYC), die sich seit fast einem Jahr alle zwei Wochen zum gemeinsamen Müllsammeln trifft, und auch im Rahmen des Kippen-Marathons kiloweise Beifang in Form von Plastikverpackungen, verlorenen Haargummis, gebrauchten Zahnbürsten und sogar Tampons eintüteten. Viele Menschen könnten gar nicht glauben, dass sich manche freiwillig bereit erklären, um anderer Leute Dreck aufzusammeln, erklärte Stadtteilpatin Gesche. „Wir werden oft gefragt, ob wir verrückt sind, oder ob wir Sozialstunden ableisten müssen”, berichtete die junge Findorfferin. Die Hotspots sind den Aktiven wohl bekannt. Regelmäßig spitzenmäßig vermüllt seien manche Supermarktparkplätze oder der Platz vor der Jan-Reiners-Lok. „Besonders schlimm ist es beim Grünstreifen am Parallelweg. Da haben wir schon innerhalb von zwei Stunden 16 große Müllsäcke vollbekommen.” Als „wahre Goldgrube” im unschönsten Sinne habe sich beim Kippenmarathon der Netto-Parkplatz an der Admiralstraße erwiesen, wusste Teilnehmer Jens Radke, der daraufhin die Geschäftsführung zum ernsthaften Gespräch hinausbat.
„Es würde in Findorff noch schlimmer aussehen, wenn wir nicht regelmäßig unterwegs wären”, sagt CUYC-Gründerin Kathrin Zeise. Die Initiative, die kurz vor der Vereinsgründung steht, möchte mit Info-Veranstaltungen, aber auch praktischen Aktionen wie der Verteilung von Taschen-Aschenbechern für Besserung sorgen. Sie sagt: „Wir machen das freiwillig, weil uns das Problem unter den Nägeln brennt, und wir auch andere gerne zu mehr Aufmerksamkeit anstiften möchten.”
Am Ende des Tages erwies sich: Mit dem dafür vorgesehenen 60-Liter-Container wird man in Findorff wohl nicht zurande kommen. Bis Sonnabend darf noch weitergesammelt werden. Das Team des Kiosk Flaschenpost an der Ecke Eickedorfer/Hemmstraße hat sich bereit erklärt, die stinkende Kollektion anzunehmen. Zu den Ladenöffnungszeiten steht ein kleiner Sammeleimer vor der Tür. Beim großen Wiegen wird sich am kommenden Montag erweisen, ob sich das Findorffer Engagement ausgezahlt hat. Die Bremer Stadtreinigung hat für den fleißigsten Stadtteil eine Belohnung in Höhe von 3000 Euro ausgelobt. Die Findorffer Kippen-Marathonläuferinnen und –läufer würden das Preisgeld gerne an die Sportgemeinschaft Findorff überweisen. Wer sich nachhaltig angestiftet fühlt: Die Findorffer CUYC-Gruppe ist erreichbar über das soziale Netzwerk Instagram (cleanupyourcity_findorff) und per Email an cuyc-findorff@web.de.