Vor eineinhalb Jahren startete in Gröpelingen ein Experiment namens „Study Friends“. Fünf junge Leute wohnen seither mietfrei in zwei Wohnungen. Kostenlos, aber nicht umsonst: Die beiden Wohngemeinschaften haben sich im Gegenzug zum aktiven Engagement für Gröpelinger Kinder und Jugendliche verpflichtet. Fünf Stunden pro Woche leisten sie Unterstützung im Unterricht und bei der Pausengestaltung der Neuen Oberschule Gröpelingen (NOG). Ein guter Deal, wie alle Beteiligten nun bestätigen. Und: Schön wäre es, wenn dieses Vorbild noch viel mehr Schule machte.
Montagvormittag in der Klasse 6D. „Andrés hat mir schon oft geholfen“, sagt Rikardo, elf Jahre. „Ich hatte immer Schwierigkeiten mit Mathe. Aber er hat es mir so oft erklärt, bis ich alles verstanden habe.“ Unterm Strich: „Jetzt läuft es gut“, beteuert der Sechstklässler. Auch von den anderen Kindern gibt es nur Lob für Andrés Sotomayor Lopez. „Wenn man etwas im Unterricht nicht versteht, kann man ihn immer fragen“, erzählt die zwölfjährige Mercy.
Schnell eingelebt
Der 26-jährige Student der Kultur-, Erziehungs- und Bildungswissenschaften gehörte zu den ersten fünf Studenten, die im September 2021 die beiden frisch renovierten Wohnungen in den schnuckeligen Gewoba-Backsteinreihenhäusern an der Bromberger und Posener Straße bezogen. „Ich habe nicht lange gebraucht, um mich hier einzuleben“, sagt er. Er fühle sich hier sehr wohl, die Grünanlagen direkt vor der Haustür, die Einkaufsmöglichkeiten, die nette Nachbarschaft. „Im Haus habe ich mich bei allen vorgestellt – hallo, ich bin Andrés, und wer bist du?“, sagt der angehende Therapeut, der aus Ecuador stammt und nach der Schule ein freiwilliges soziales Jahr in einer Kita absolviert hat. „Das ist hier vielleicht nicht unbedingt üblich, aber das fanden alle gut.“
Drei der ersten „Study Friends“ sind zum neuen Semester ausgezogen, für Nida Bakirci wurde dafür vor drei Monaten ein Platz frei. „Ich war auf der Suche nach einem Projekt, mit dem ich mich besser integrieren kann“, erklärt die 19-jährige Studentin, die vor acht Monaten aus der Türkei nach Bremen kam. „Ich freue mich jedes Mal, wenn ich sie sehe“, sagt die elfjährige Mislina. „Sie kann richtig gut mit Kindern umgehen und ist immer nett“, erklärt die Fünftklässlerin. „Das mit dem Teilen und Malnehmen habe ich anfangs nicht so richtig verstanden. Dabei hat sie mir viel geholfen“, erzählt Mitschülerin Larisa. „Jetzt geht es leichter. Wir können gut zusammenarbeiten.“ „Wenn sie sehe, dass die Schülerinnen und Schüler sich weiterentwickeln: „Das macht mich total glücklich“, sagt Nida.
Gekommen, um zu lernen
Nach Bremen sei sie gekommen, um hier Deutsch, Englisch und Mathematik für das Lehramt zu studieren, erzählt sie. Dass sie sich in dieser kurzen Zeit ganz alleine zurechtgefunden hat und die Sprache mittlerweile fast akzentfrei spricht, „das ermutigt vielleicht die Kinder hier, die noch nicht so gut Deutsch sprechen“, so die junge Frau. „Ich sage ihnen: Wenn ich das geschafft habe, dann schafft ihr das auch.“
Wietje Pawelek-Golonski aus dem Stiftungsrat der Deutschen Kindergeld-Stiftung Bremen hörte das besonders gerne. „Es beglückt mich, dass die jungen Leute eine Vorbildfunktion für die Kinder einnehmen“, so die Bremer Medizinerin. Die gemeinnützige Stiftung, die von Bremer Bürgerinnen und Bürgern getragen wird, übernimmt die Wohnungsmieten für die Dauer von drei Jahren. „Dieses Projekt unterstützen wir gerne, weil es genau unseren Zielen entspricht, die Chancengleichheit der Kinder und Jugendlichen zu verbessern“, sagt die Vorständin.

Wietje Pawelek-Golonski aus dem Stiftungsrat der Deutschen Kindergeld-Stiftung Bremen sagt: „Dieses Projekt unterstützen wir gerne, weil es genau unseren Zielen entspricht, die Chancengleichheit der Kinder und Jugendlichen zu verbessern.“
Glücklich sind auch die Lehrkräfte an der Schule, sagt Jahrgangsleiterin Christina Geiger. „Die Studierenden erklären den Unterrichtsstoff auf eine andere Weise, als wir es tun. Außerdem merkt man, dass sie durch ihr junges Alter noch näher dran sind an der Lebenswelt der Kinder“, berichtet die Pädagogin. Vorteil auch: Ihre Rolle sei es nicht zu tadeln, zu bewerten oder zu reglementieren. „Freunde tun das nicht. Sie sind die Guten.“
Duisburg und Gelsenkirchen als Vorreiter
Initiiert wurde das „Study Friends“-Projekt von Martin Karsten, der im Auftrag der Senatorin für Klimaschutz, Umwelt, Mobilität und Wohnungsbau Förderprojekte im Bremer Westen anschiebt und begleitet und die Idee erstmals im Sommer 2019 in Gröpelingen ins Spiel gebracht hatte. Als Vorbild diente das Projekt „Tausche Bildung für Wohnen“, das bereits erfolgreich in Duisburg und Gelsenkirchen eingeführt wurde. Der Gröpelinger Verein Kultur vor Ort hat die beiden Mietverträge mit der Gewoba unterschrieben, koordiniert das Projekt, übernimmt das Auswahl- und Bewerberverfahren und begleitet die „Study Friends“ mit regelmäßigen Treffen. In unterrichtsfreien Zeiten bieten die Studierenden außerschulische Projekte im Quartiersbildungszentrum (QBZ) an, erklärt Frauke Kötter, die die Einrichtung in Trägerschaft des Vereins leitet.
Nicht nur in Gröpelingen, sondern auch im Rest der Stadt gibt es viele Kinder und Jugendliche, die von einem „Study Friend“ viel für die Schule und fürs Leben lernen könnten. „Es wäre total wertvoll, wenn sich die Erfahrungen verselbstständigen und das Projekt ausgebaut werden könnte“, sagt Wietje Pawelek-Golinski. Ihr Wunsch: „Wir brauchen noch viel mehr Wohnungen und neue Förderer.“