Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Gröpelinger Neujahr Plädoyer für mehr Stadtentwicklung

Wie war das alte Jahr? Was bringt das neue? Darüber konnten sich beim traditionellen Neujahrsempfang im Nachbarschaftshaus Helene Kaisen nach zwei Jahren Pandemiepause nun wieder zahlreiche Gäste austauschen.
08.01.2023, 18:45 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Plädoyer für mehr Stadtentwicklung
Von Anne Gerling

Immer am zweiten Sonntag im Januar ist "Gröpelinger Neujahr" im Nachbarschaftshaus Helene Kaisen (Na‘). Dass nach zwei Jahren pandemiebedingter Pause nun am Sonntag zu dieser fast 30 Jahre alten Tradition zurückgekehrt und ohne Masken auf die kommenden zwölf Monate angestoßen werden konnte, sorgte unter den etwa 100 Gästen spürbar für gute Stimmung und hatte für manche vielleicht auch etwas Tröstliches: zurück zur Normalität.

Ortsamtsleiterin Ulrike Pala und fast der komplette Gröpelinger Beirat waren gekommen, etliche Bürgerschaftsabgeordnete von SPD, Linken und CDU und die Polizei waren da, und auch viele bekannte Gesichter aus dem Gröpelinger Vereinsleben vom Arbeiterverein Use Akschen über Kultur vor Ort und Gröpelingen Marketing, den Gesundheitstreffpunkt West (GTP), die Geschichtswerkstatt Gröpelingen bis zum Turn- und Rasensportverein (Tura) und dem Sportverein Grambke Oslebshausen (SVGO) waren im Nachbarschaftshaus zu entdecken. Dazu Vertreter von Schulen und Kindergärten im Stadtteil, Arbeiterwohlfahrt, Quartiersmanagement, Wabeq, Gewoba und Vonovia. Auch der neue Dia­ko-Geschäftsführer Thomas Kruse und Nele Klein, seit 1. Dezember Gröpelingen-Beauftragte in der Senatskanzlei, nutzten die Gelegenheit zum Austausch.

Etliche Male schon war Linken-Politikerin Kristina Vogt in der Vergangenheit unter den Besuchern beim traditionellen Gröpelinger Neujahrsempfang gewesen – als Gröpelingerin, Schulelternsprecherin und schließlich als Bürgerschaftsabgeordnete. Seit 2019 ist sie Bremens Wirtschaftssenatorin und trat in dieser Rolle nun als diesjähriger Ehrengast erstmals bei der Veranstaltung ans Rednerpult.

Spontan griff sie dabei die Steilvorlage auf, die ihr Vorredner Peter Sakuth, SPD-Innensenator a.D. und Vorsitzender des Na‘-Trägervereins, geliefert hatte, indem er in seiner Begrüßungsrede mehr soziale Gerechtigkeit anmahnte. Sie werde oft gefragt, wie sie es mit ihrer Vita –  sie ist ausgebildete Rechtsanwaltsfachangestellte  – und als jemand, der aus Gröpelingen stammt, zur Senatorin gebracht habe, unterstrich dazu Vogt: „Das ist nicht nur despektierlich und diskriminierend. Wir werden tatsächlich noch von großen Klassenunterschieden geprägt, wenn auch nicht mehr so schablonenhaft wie vor 100 Jahren.“

Ganz bewusst sei sie seinerzeit als alleinerziehende Mutter von Gröpelingen nach Walle zurückgezogen, so Vogt: „Wegen der Grundschule, die die beste Schule in ganz Bremen war. Und mein Sohn hat definitiv kein Bildungsdefizit!“ Hartz IV, Ungerechtigkeiten bei der Rente und mangelnde Berufsperspektiven für Gröpelinger Kinder: Dies seien die Gründe dafür gewesen, dass sie seinerzeit in die Politik gegangen sei, betonte Vogt außerdem.

Um die Situation in Gröpelingen zu verbessern, könne die Politik ihrer Ansicht nach vor allem ein strukturelles Problem beeinflussen, so Vogt: „Wenn sich an den stadtentwicklungspolitischen Prämissen nichts ändert, dann wird es hier immer schwer bleiben.“ Sprich: Wenn weiterhin vor allem in Gröpelingen, Lüssum, Kattenturm oder Huchting Integration geleistet werde, dann werde sich an den Grundproblemen dort auch nichts ändern: „Wir brauchen eine andere Städtebaupolitik. Die Arbeit von Kultur vor Ort, Gröpelingen Marketing, Quartiersbildungszentrum, Gesundheitstreffpunkt oder dem ‚Lokalen integrierten Gesundheitszentrum für alle‘ finde ich wichtig, und das sind Projekte, die es so in anderen Stadtteilen nicht gibt. Aber das ist auch nur ein Ausbessern der Symptome.“

„Was für ein Jahr. Die Pandemie ist noch nicht durch, da passiert mit dem russischen Angriff auf die Ukraine etwas, was sich niemand vorstellen konnte. Hunger, Migration, Inflation, Energiekrise, Handelskonflikte –  all das haben wir 2022 kennengelernt“, hatte zuvor Peter Sakuth das vergangene Jahr Revue passieren lassen. Deutlich positiver bewertete er 2022 allerdings in seiner Funktion als Vorsitzender des Vereins Nachbarschaftshaus Bremen. Denn die Unterstützung für das Na‘ sei groß gewesen: „Wir haben erhebliche Spenden bekommen, 30.000  Euro. Es war ein gutes Jahr für uns.“

Ausdrücklich kritisierte Sakuth, dass sich Deutschland in vielen Wirtschaftsbereichen zu abhängig von anderen Ländern gemacht habe: „Bei der Energie von Russland und in sehr vielen Bereichen von China.“ Darüber hinaus sei es ein Unding, das Gesundheitssystem eines Landes primär unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten zu führen, sagte Sakuth unter Applaus: „Denn die Gesundheit der Bevölkerung gehört zu den Kernaufgaben eines Staates.“

Was ihn außerdem empört: Dass die Armut in Deutschland immer noch zu- statt abnimmt: „Deshalb spielen die Tafeln eine immer größere Rolle. Doch die Zahl derer, die sie in Anspruch nehmen, explodiert vielerorts geradezu. Deshalb haben viele Tafeln die Reißleine gezogen und nehmen keine neuen Kunden an.“ Das Na‘ sei als Einrichtung für alle offen, unabhängig vom Geldbeutel, betonte Sakuth in diesem Zusammenhang: „Das Programm, das wir in den nächsten zehn Jahren brauchen, muss weiterentwickelt werden.“ Hierzu seien bei einer Fachtagung im Zuge der Feierlichkeiten zum 70. Geburtstag des Nachbarschaftshauses voriges Jahr schon die ersten Schritte gemacht worden. Schließlich sprach Sakuth noch dem engagierten Team von Haupt- und Ehrenamtlichen seinen Dank aus: „Das sind die Juwelen, die wir hier haben. Der Dielendienst und die Kurs- und Gruppenleiter, das sind die, die dieses Haus ausmachen.“

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)