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Offene Jugendarbeit Auch in Bremer Einrichtungen bleiben die Türen am Freitag zu

Offene Jugendarbeit ist wichtig – aber chronisch unterfinanziert: Mit einem bundesweiten Aktionstag wollen Einrichtungen und Jugendliche nun auch in Bremen auf dieses Missverhältnis hinweisen.
16.11.2023, 05:00 Uhr
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Von Karin Mörtel Anne Gerling

Im Jugendfreizeitheim Oslebshausen wird seit einiger Zeit schon fleißig für Weihnachten gebastelt. Aber nicht an diesem Freitag, 17. November – denn da wollen die Jugendlichen gemeinsam mit dem Team für die Zukunft ihres Freizi kämpfen: Ab 14.15 Uhr treffen sie sich mit anderen jungen Leuten und Erwachsenen vom Freizi Gröpelingen, vom Mädchenzentrum, Gesundheitstreffpunkt West (GTP) und dem Verein für akzeptierende Jugendarbeit (Vaja) am Straßenbahndepot, von wo aus es dann mit Plakaten, Warnwesten und Trillerpfeifen zum Bürgermeister-Koschnick-Platz geht. Dort werden von 15.30 bis 18 Uhr Fußballtore, kleine Tischtennisplatten und Spiele aufgebaut und es gibt Musik.

Wir sind am Limit.
Ruken Aytas, Mädchentreff Gewitterziegen

Auch in anderen Stadtteilen wie zum Beispiel Huchting, Neustadt, Horn-Lehe oder Burglesum wollen Jugendliche und Mitarbeiter von Jugendeinrichtungen am Freitag auf die Straße gehen. „Wir sind am Limit“, sagt beispielsweise Ruken Aytas vom Mädchentreff Gewitterziegen aus der Neustadt. „Wenn sich die Politik jetzt nicht bewegt, werden die Einschnitte in unserem Angebot im nächsten Jahr richtig drastisch“, so Aytas. Auch das Freizi Buntentor beteiligt sich an dem Aktionstag, das Team lässt die Tür der Einrichtung am Freitag ebenfalls zu und plant einen Informationsstand am Buntentorsteinweg. Beim Freizi Huchting bleiben die Türen ebenfalls geschlossen. Das Team wird stattdessen eine Informationsveranstaltung auf dem Platz vor der ehemaligen Gaststätte Dorfkrug veranstalten.

Aktion soll auf Misstand aufmerksam machen

Mit der Bremer Aktion unter dem Motto „Tag der geschlossenen Tür“, die Teil der bundesweiten Kampagne „Tag der offenen Kinder- und Jugendarbeit“ ist, wollen die Organisatoren vom „Bündnis 30 Prozent mehr Zukunft“ und ihre Mitstreiter zeigen, wie wichtig die offene Kinder- und Jugendarbeit ist. Und wie schlecht es ihr geht.

Denn die Einrichtungen und Projekte sind seit Jahren chronisch unterfinanziert: In Bremen haben sich vor zehn Jahren rund 40 freie Träger der Kinder- und Jugendarbeit zu dem 30-Prozent-mehr-Bündnis zusammengeschlossen, um die Bedingungen zu verbessern, unter denen Jugendarbeit in Bremen stattfindet. Eine zufriedenstellende Lösung lässt, nachdem die Situation kurzfristig etwas besser wurde, weiterhin auf sich warten.

Experten: Bedarf an Jugendarbeit steigt

Dabei seien die Angebote der offenen Jugendarbeit für junge Menschen weiterhin ausgesprochen wichtig, unterstreicht Bündnis-Sprecherin Sabine Toben-Bergmann vom Freizi Oslebshausen. Schließlich bieten sie Heranwachsenden Räume, Zeit und Gelegenheit, sich unabhängig von Schule und Elternhaus auszuprobieren und in ihrer Persönlichkeit weiterzuentwickeln. Die Kinder- und Jugendarbeit sei somit ein wichtiges Sozialisationsfeld und verfolge außerdem auch das Ziel, demokratische Werte zu vermitteln.

Und der Bedarf an Jugendarbeit steige, da die Jugendeinwohnerzahlen etwa infolge von Migration aus Kriegs- und Krisengebieten in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen seien. Toben-Bergmann: „Es gibt in Bremen 22 Prozent mehr junge Menschen, und das merken wir auch. Wir haben nicht mehr 30 Besucher im Haus, sondern 50. Und: Die Situation von Kindern und Jugendlichen ist besonders prekär und dramatisch. Sie wachsen in einer Welt auf, die mit dem Klimawandel, Corona und dem Krieg in der Ukraine aktuell von einer Krise in die nächste gerät. Sozialpsychologische Krisen, Gewaltzunahme und Depressionen sind die Folge dieser gesellschaftlichen Missstände.“

Es drohen Angebotskürzungen

Im kommenden Jahr werden die Mittel in Gröpelingen –  wie auch anderswo  – allerdings nicht ausreichen, um die Angebote in der bisherigen Form fortführen zu können, so Toben Bergmann. Somit drohten Angebotskürzungen und Einrichtungsschließungen spätestens zum Ende des Jahres: „Denn wir werden genau den gleichen Haushalt wie in diesem Jahr bekommen. Andererseits gehen wir von bis zu 16 Prozent Kostensteigerung im kommenden Jahr aus, und unser Träger will außerdem auch Tariflohn zahlen.“ Da die Kosten etwa für Strom, Versicherungen oder Müllabfuhr definitiv voll gezahlt werden müssten, könne schlussendlich nur beim Personal eingespart werden. Die Auswirkungen: „Wir werden von der Fünf-Tage-Woche auf eine Drei-Tage-Woche gehen müssen. Dabei gibt es im Stadtteil ja anerkanntermaßen einen hohen Bedarf, und deshalb ist jeder Tag weniger ein verlorener Tag.“

„Es war schon oft brisant“, weiß Toben-Bergmann aus fast 30 Jahren Jugendarbeit im Freizi: „Aber jetzt ist es noch brisanter. Denn wir haben zum Teil neue Politiker und gleichzeitig Tarifverhandlungen, die noch nicht entschieden sind. Das wird sich auch noch bis Januar ziehen.“ Da der Haushalt voraussichtlich erst im Sommer stehe, herrsche in den Einrichtungen aktuell Ungewissheit: „Wir wissen jetzt noch nicht, wie wir im Januar aufmachen und was wir dann anbieten können. Und du kannst weder Fahrten planen, noch Programme. Das macht auch was mit den Kolleginnen und Kollegen; sie sind auch etwas frustriert.“

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Bundesweite Kampagne

Erstmals hat die Bundesarbeitsgemeinschaft der Offenen Kinder- und Jugendarbeit (BAG OKJA) in diesem Jahr alle Jugendzentren, Jugendhäuser, offenen Treffs und anderen Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit dazu aufgerufen, sich an einer gemeinsamen Kampagne vom 16. bis 18. November zu beteiligen. Bundesweit finden an diesen Tagen über 500 Aktionen statt, um die Offenen Kinder- und Jugendarbeit und ihren Beitrag für eine vielfältige und demokratische Gesellschaft in der Öffentlichkeit sichtbarer zu machen. Zwar seien die Gesamtausgaben der öffentlichen Hand für die Offene Kinder- und Jugendarbeit gestiegen, teilt die BAG OKJA dazu mit: „Diese Steigerungen reichen jedoch nicht aus, um Personal, Gebäude und Qualität der sozialpädagogischen Arbeit langfristig zu sichern. So verfügt das Feld in Deutschland schon jetzt über circa 3000 Einrichtungen und etwa 6000 Mitarbeitern weniger als noch 1998. Fachkräftemangel, Kostensteigerungen und andere Entwicklungen verstärken diesen Negativtrend.“

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