Eine kleine Delegation aus der Ukraine ist am Sonntag, 15. August, in Bremen eingetroffen. Der Anlass ist ein trauriger – der Besuch aber einer, der Mut macht: Romana Sytnyk, Anna Rudnichuk, Claudia Sharapova, Oleksandr Hlushchenko und Tetiana Pastushenko von der Taras-Schewtschenko Nationaluniversität Kiew unterstützen die Bremer Landesarchäologin Uta Halle und ihr Team zwei Wochen lang bei den Ausgrabungen auf dem sogenannten Russenfriedhof an der Reitbrake.
Den Kontakt hat Irina Tybinka, Generalkonsulin der Ukraine in Hamburg, vermittelt. Ihr war es ein großes Anliegen, auch junge Ukrainer an den Grabungsarbeiten zu beteiligen. Der Friedhof werde hierzulande zwar „Russenfriedhof“ genannt, sagt sie: „Es geht aber um sowjetische Gefangene.“ Und die Ukraine sei einer der Hauptschauplätze des Zweiten Weltkrieges gewesen, wie die Generalkonsulin unterstreicht: „Mehr als acht Millionen ukrainische Männer und Frauen sind gestorben und mehr als 2,6 Millionen Zwangsarbeiter wurden nach Deutschland gebracht.“ Dementsprechend sei es durchaus möglich, dass am Oslebshauser Bahndamm nun auch sterbliche Überreste ihrer Landsleute gefunden werden könnten.
Fast 80 Jahre nach Kriegsende seien die Ausgrabungen wirklich wichtig und von großer moralischer Bedeutung, so Tybinka, die ausdrücklich auch die Unterstützung durch den Bremer Senat lobt: „Das ist wirklich ein wichtiger Schritt, um historische Gerechtigkeit zu erlangen. Für uns ist das Andenken an alle Opfer des Zweiten Weltkriegs auf allen Seiten sehr wichtig.“
„Es ist ein wichtiges Symbol für die Zukunft, dass wir zusammen arbeiten, um unsere schreckliche Geschichte aufzuarbeiten“, sagt auch Dozentin Tetiana Pastushenko: „Viele Leute in der Ukraine wissen bis heute nicht, wie ihre Verwandten gestorben sind und es gibt viele Gräber ohne Namen.“ An der Ausgrabungsstelle könnten die jungen Studierenden sich nun ganz praktisch mit ihrer Geschichte beschäftigen: „Es ist eine andere Atmosphäre – sehr interessant und sehr emotional.“
Geschichtsdoktorandin Anna Rudnichuk, die sich insbesondere für die deutsche Geschichte und den Zweiten Weltkrieg interessiert, sieht dies ebenso: „Es ist unsere historische Verantwortung, diese Menschen zu finden und normal zu begraben.“ Und auch Romana Sytnyk ist es wichtig, zu zeigen, dass in den Zweiten Weltkrieg nicht nur russische, sondern auch ukrainische Menschen involviert waren. „Dies ist für uns eine gute Möglichkeit, darauf hinzuweisen“, sagt die angehende Geschichtswissenschaftlerin.
Wie berichtet, laufen die Ausgrabungen seit Anfang August. Zunächst musste dafür eine etwa zwei Meter dicke Schicht Kriegsschutt entfernt werden – vermutlich Überreste zerstörter Häuser, die dort nach den Exhumierungen im Jahr 1948 abgelagert wurden. Rot-weiße Stangen markieren die Eckpfosten des ehemaligen Friedhofs, auf dem die Archäologen wie berichtet zwei etwa drei mal fünf Zentimeter große Erkennungsmarken gefunden haben. Diese werden momentan noch untersucht; Halle hofft diese zwei Toten identifizieren und ihnen damit ihre Identität wiedergeben zu können. Beim Durchsieben des Erdreichs stieß das Team am Mittwoch, 18. August, auf eine dritte Erkennungsmarke.
Auch ganz kleine Knochenreste – vermutlich Hand- oder Fußknochen – sowie ein Wirbelknochen und eine Kniescheibe sind mittlerweile gefunden worden. Dass diese sehr gut erhalten sind, führt Halle darauf zurück, dass viel Kalk im Boden enthalten ist. Jeder einzelne Knochen wird eingemessen und mit den Koordinaten der Fundstelle versehen archiviert. „Vollständige Gräber mit Skeletten und Erkennungsmarken haben wir noch nicht“, sagt Halle, „aber wenn wir ganze Skelette finden, dann ändert sich die Situation.“
Beiratssprecherin Barabara Wulff (SPD) begrüßt es ausdrücklich, dass die Geschichte des Areals an der Reitbrake nun wissenschaftlich aufgearbeitet wird und dabei mit den Studierenden auch zukünftige Generationen eingebunden werden: „Ich bin persönlich der Meinung, dass hier eine ordentliche Gedenkstätte errichtet werden muss, wenn wirklich menschliche Überrest gefunden werden.“
Anhand von Luftbildern war für den Friedhof eine Fläche von 3500 Quadratmetern berechnet worden. Etwa 700 Quadratmeter davon konnten Halle zufolge bislang abgearbeitet werden. Neben einem Bereich unmittelbar an den Bahngleisen ist in Richtung Gewerbegebiet eine zweite Fläche freigelegt worden. Dort markieren weiße Punkte die Stellen, an denen früher Zaunpfosten standen, deren Holz den Boden verfärbt hat. Halle erkennt außerdem „schmale Spuren, als wenn jemand dort mit einer Schubkarre gefahren ist.“
Die Häfen-Senatorin unterstützt die Grabungsarbeiten und hat die Landesarchäologie dafür auch mit technischen Geräten ausgestattet. „Wir suchen 280 Tote, von denen wir im Moment nicht sagen können, wo sie sind. Wenn wir sie hier wirklich finden sollten – wovon wir im Moment nicht ausgehen können – dann muss die Politik entscheiden, was passiert“, sagt die Landesarchäologin, die betont: „Wir stehen nicht unter Zeitdruck und brauchen so lange, wie wir brauchen. Da lassen wir uns auch nicht unter Druck setzen. Wir müssen das sorgsam abarbeiten, damit uns keine Fehler passieren.“