Wohlers Eichen: Der Name suggeriert eine idyllische Parkanlage. Bekannt wurde die Adresse allerdings als verrufenes Viertel, in dem sich die sozialen Problemlagen ballten. In den vergangenen Jahren jedoch hat sich dort vieles zum Positiven gewandelt. Wohlers Eichen ist eines der Paradebeispiele für die Wirkung des Programmes „Wohnen in Nachbarschaften“ - kurz „Win“. Vor zwanzig Jahren führte Bremen dieses Instrument sozialer Stadtentwicklung ein, um die Lebensqualität in benachteiligten Wohnquartieren zu verbessern. Seither konnten für eine Fördersumme von mehr als 27 Millionen Euro insgesamt rund 4930 Projekte in 15 Fördergebieten umgesetzt werden – gut angelegtes Geld, finden die beiden Quartiersmanagerinnen aus Oslebshausen und Gröpelingen, Renate Dwerlkotte und Rita Sänze. Sie sind überzeugt, dass die Stadt es sich auch in Zukunft nicht leisten kann, sich die nachhaltige Investition in den sozialen Zusammenhalt zu sparen.
Das Besondere am Win-Programm: Es soll nicht allein Fachleuten und Fachkräften überlassen werden, Lösungen für die betreffenden Wohnquartiere zu finden. Vielmehr, so die Annahme, die dem Programm zugrunde liegt, wissen die Menschen vor Ort am Besten, was ihnen fehlt, und was ihnen gut tut. In den Fördergebieten wurden demnach Quartiersmanager eingesetzt, die als Ansprechpartner, Informationsquelle und Motor der Programmumsetzung fungierten. Im Rahmen regelmäßiger öffentlicher Sitzungen – den „Win-Foren“ - wurden Ideen für neue Aktionen und Projekte vorgestellt. Einvernehmlich beschloss man dann, welche Projekte über den Fördertopf unterstützt werden sollten.
Mit diesen Prämissen und einer jährlichen Fördersumme in Höhe von drei Millionen D-Mark startete das Programm 1999 in zehn Fördergebieten, in denen besonderer Handlungsbedarf gesehen wurde. Neben der Neuen Vahr, Blockdiek, Hemelingen, Tenever, Kattenturm und Sodenmatt-Kirchhuchting, sowie der Grohner Düne, Lüssum-Bockhorn und dem Marßeler Feld im Bremer Norden gehörte Gröpelingen von Anfang an dazu. Die einzelnen Gebiete verband die Tatsache, dass sich dort die Probleme gebündelt hatten. „In den 80er und 90er Jahren führte eine negative ökonomische Entwicklung, gepaart mit Zuwanderungen, zu problematischen Wohn- und Lebensbedingungen - vorwiegend in den Stadtrandgebieten Bremens - aber auch in altindustriell geprägten Stadtteilen“, heißt es in der Programmbeschreibung der Sozialsenatorin. Eine Zeitlang – in den Jahren 2009/2010 – gab es auch in Walle mit dem Quartier Dithmarscher Freiheit ein Win-Fördergebiet, und mit der (späteren Bundestagsabgeordeten) Sarah Ryglewski eine eigene Quartiersmanagerin.
Nachbarschaften entwickeln sich
In Gröpelingen konzentrierte sich das Win-Programm zunächst auf den Brennpunkt Stuhmer Straße: Von „erbärmlichen“ Wohnbedingungen und „absoluter Resignation“ berichtete vor zwanzig Jahren ein Reporter dieser Zeitung. Mit dem (2013 verstorbenen) Sozialarbeiter Dieter Sevecke erhielt das Gebiet einen Quartiersmanager mit solider Orts- und Menschenkenntnis. Nach dem 2008 erstmals durchgeführten Stadtmonitoring wurde das Gröpelinger Fördergebiet auch auf die Ortsteile Ohlenhof, Gröpelingen und Lindenhof ausgedehnt. Bereits 2006 war Wohlers Eichen als zusätzliches Fördergebiet deklariert worden.
Wohlers Eichen ist ein Bauriegel von 16 Mehrfamilienhäusern aus den 1970-er Jahren. In 256 Wohnungen wohnen rund tausend Menschen aus 21 Nationen, die zu fast 90 Prozent von Transferleistungen abhängig sind. „Früher gab es hier viele Leerstände, Verwahrlosung, Müll, starke Konflikte mit jugendlichen Cliquen“, erinnert sich Quartiersmanagerin Renate Dwerlkotte, die die Halbtagsstelle vor fünf Jahren übernahm. Die Fluktuation war hoch, wer sich etwas Besseres leisten konnte, war schnell wieder weg. „Wohlers Eichen hatte ein sehr schlechtes Image“, so Dwerlkotte. Und heute? „Die Wohnungen sind voll belegt. Konflikte gibt es schon lange nicht mehr. Es hat sich eine Nachbarschaft entwickelt, in der die Bewohner selbst Verantwortung übernehmen und sich für ihr Umfeld engagieren“, erzählt die Quartiersmanagerin.
Eines der „Leuchtturmprojekte“, an das sie sich besonders gerne erinnert, waren die „Umweltlotsen“: In Kooperation mit der Bremer Umwelt Beratung wurden die Bewohner der Mietshäuser unter anderem mittels witziger Videos über die korrekte Mülltrennung und –entsorgung informiert und für ein schöneres Wohnumfeld sensibilisiert. Stolz ist Dwerlkotte auch auf die Familiensprachkurse, die gemeinsam mit den örtlichen Schulen angeboten wurden. „Das Projekt war so erfolgreich, dass es Wartelisten für die Kurse gab.“
Über Win-Mittel unterstützt wurden außerdem Feste oder Projekte, die die Begegnung unter den Bewohnern förderten, Anonymität und Vereinsamung entgegenwirkten. „Projekte wie die Fahrradwerkstatt und Repair-Café haben sich zum Dreh- und Angelpunkt im Quartier entwickelt“, so die Quartiersmanagerin. Wichtig sei in allen Fällen die enge und gute Kooperation mit den Institutionen vor Ort – etwa mit dem Jugendfreizeitheim, den Streetworkern von Vaja und den Kontaktbeamten. Die Quartiersmanagerin lobt ausdrücklich auch die Zusammenarbeit mit der Wohnungsbaugesellschaft Vonovia, die die Wohnhäuser – und auch die Verantwortung – vor einigen Jahren übernahm. „Der Vermieter sponsort und unterstützt die Mietersprecher, die es mittlerweile in jedem Haus gibt.“ Die Bürgerbeteiligung auf den Win-Foren, in denen über die Verteilung des mit jährlich 75 000 Euro gefüllten Fördertopfes entschieden wird, sei in Wohlers Eichen erfreulich. „Das liegt daran, dass wir eine kleine, überschaubare Nachbarschaft haben, und dass sich hier ein guter Kontakt entwickelt hat“, berichtet Dwerlkotte.
In dem wesentlich größeren Fördergebiet, das ihre Kollegin Rita Sänze verantwortet, ist das etwas anders: „Bei den Foren kommen eher die Antragsteller und engagierte Bürger des Stadtteils“, erzählt Sänze, die seit 15 Jahren Gröpelinger Quartiersmanagerin ist. Der direkte Kontakt spiele sich eher im kleineren Rahmen der einzelnen Schwerpunktgebiete ab: im Treff Mosaik am Liegnitzplatz, dem Kunstkiosk an der Dirschauer Straße, im Bewohnertreff der Rostocker Straße oder im Gemeinschaftshaus Stuhmer Straße. Mit 150 000 Euro erhält Gröpelingen die maximale jährliche Win-Fördersumme. „Das Besondere an diesem Programm ist, dass wir schnell und unkompliziert bedarfsgerechte Angebote schaffen können“, erklärt Sänze. Beispiele seien die muttersprachliche Sozialberatung für bulgarische Einwanderer oder der Deutschkurs für arabische Frauen. Andere Projekte sind zu Dauerbrennern geworden, die sich seit Jahren bewährt hätten – etwa das Mobile Atelier von Kultur vor Ort, das seit vielen Jahren an der Rostocker Straße Station macht. „Die Kinder warten immer schon ganz ungeduldig, wenn das Auto kommt.“
Im November dieses Jahres feiert Wohnen in Nachbarschaften sein 20-jähriges Bestehen. Zum Jahresende läuft das Programm aus. „Gäbe es dieses Programm nicht mehr, würden viele wichtige Angebote im Stadtteil wegfallen“, mahnt Rita Sänze. Sie selbst gehe davon aus, dass es weitergehe. Die Daten besagten, dass eher mehr als weniger Unterstützung vonnöten sei. „Die soziale Spaltung schreitet voran. Viele Gröpelinger Ortsteile sind nach wie vor auf dem letzten Platz, was Lebenserwartung, Bildung, Wahlbeteiligung betrifft.“ Renate Dwerlkotte ist sogar „völlig unbesorgt“, das es eine Fortführung und Ausweitung geben werde. „Wir müssen etwas gegen die Armutsbekämpfung tun. Und das Win-Programm ist eine Erfolgsgeschichte.“