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Vorschlag von Senatorin Vogt Anwohner zu Bebauungsplänen: "Für mich ist die Rennbahn eine Oase"

Wenn man sich umhört unter den Anwohnern der früheren Galopprennbahn, fällt das Echo eindeutig aus. Der Vorschlag von Senatorin Vogt, einen Teil des Areals zu bebauen, stößt auf breite Kritik.
04.09.2025, 05:00 Uhr
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Anwohner zu Bebauungsplänen:
Von Frank Hethey

Mit ihrem Hund Ted spaziert Carina Urban am Achterkampsfleet im Wilhelm-Busch-Viertel entlang. Das frühere Rennbahngelände ist nicht weit entfernt, die 44-Jährige nutzt es gern für ausgedehnte Gassigänge. "Für mich ist das eine Oase", sagt sie. Das Gelände sei schön, wie es jetzt ist. "Viel Natur, ein Traum für Insekten." Auf Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt (Linke) ist sie nicht gut zu sprechen. Von deren Vorschlag, zumindest einen Teil des einstigen Areals für Pferderennen mit Wohnungen zu bebauen, hält sie rein gar nichts. Sie fürchtet die Zunahme von Dreck und Vandalismus. "Wenn viele Menschen da sind, wird auch mehr zerstört."

Mit ihrer Skepsis steht Carina Urban nicht allein da. Wohnungsbau auf der Rennbahn? "Das will keiner haben, der hier wohnt", ist sich Karin Krüger aus der benachbarten Neuen Vahr sicher. Auch die 64-Jährige spricht von einer "Oase", die gern von Joggern und Spaziergängern genutzt würde. Das Gelände hat in ihren Augen noch allerhand Potenzial. Zum Beispiel für die Anlage von Fahrradwegen: "Für Radfahrer könnte man es ausbauen." Aus Anwohnersicht ist das Areal geradezu perfekt für die Freizeitgestaltung. Eine Zukunft mit Sportstätten und als Veranstaltungsgelände schwebt Angelika Noelker vor – so wie im Ortsgesetz von 2019 vorgesehen. Und natürlich eine Zukunft mit viel Natur. "Wir brauchen Grünflächen", sagt die 65-Jährige mit Nachdruck. "Schon allein wegen des Klimawandels."

Verständnisloses Kopfschütteln erntet der Vorstoß der Senatorin auch aus einem anderen Grund. Denn ganz in der Nähe am südlichen Rand der Galopprennbahn wird mit dem ehemaligen Real-Gelände bereits ein riesiges Areal erschlossen. Das alte Gebäude der Zuckerfabrik ist abgerissen, Bagger wühlen sich durch das Erdreich. Auf dem 7,5 Hektar großen Areal sind ein Edeka-Supermarkt, Wohnungen, Gewerbe und Dienstleistungen geplant. "Soll man doch erst mal dieses Gelände für Wohnungen nutzen", sagt Angelika Noelker. "Da wäre genug Platz." In die gleiche Kerbe schlägt Peter Wollwage. "Es gibt so viele Ruinen in Bremen, da sollte man erst mal anfangen." Gemeint sind frühere Fabrikgelände wie das Könecke- und Coca-Cola-Areal in Hemelingen, wo zwar eine gemischte Nutzung mit Wohnbebauung vorgesehen ist, sich bislang aber nichts getan hat.

Erbittert sind so ziemlich alle Anwohner, die man fragt, über den nach ihrer Ansicht geringschätzigen Umgang mit dem vor sechs Jahren abgehaltenen Volksentscheid. Damals hatte sich eine Mehrheit von knapp 56 Prozent gegen eine Bebauung des Rennbahn-Geländes ausgesprochen, das daraufhin formulierte Ortsgesetz war die rechtliche Umsetzung. "Und nun soll der Volksentscheid nach sechs Jahren nicht mehr gelten?", empört sich Angelika Noelker. Fast ein wenig fatalistisch macht Karin Krüger "viele Widersprüche" in der Politik aus. "Das kommt mir oft sehr unehrlich vor", sagt sie. Den Volksentscheid müsse man wiederholen, meint Angelika Noelker. Sozusagen zur Bekräftigung des ersten Ausgangs.

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Dieser Idee kann auch Peter Wollwage etwas abgewinnen. Der 63-Jährige hat bei Mercedes gearbeitet, nun befindet er sich im passiven Ruhestand. Sein Haus steht am Witwe-Bolte-Weg in Sichtweite des östlichen Teils des 30 Hektar großen Rennbahngeländes. Für ihn besteht kein Zweifel: Wäre die Frage diesmal unmissverständlich formuliert, würde das Ergebnis des Volksentscheids noch weitaus eindeutiger ausfallen. Zur Erinnerung: 2019 musste mit Ja stimmen, wer eine Bebauung ablehnte. "Die Menschen würden sich deutlich klarer gegen eine Bebauung aussprechen", sagt Wollwage. Fabian Backhaus pflichtet ihm bei. Ein erneuter Volksentscheid hätte nach seinem Dafürhalten eine "tolle Chance", alle Bebauungspläne vom Tisch zu fegen.

Mit seiner Familie wohnt Fabian Backhaus in einem Reihenhaus an der Stellichter Straße im südlichen Ausläufer der Gartenstadt Vahr. Für den 41-Jährigen hätte eine Bebauung sehr viel mehr Relevanz als für die Bewohner des Wilhelm-Busch-Viertels. Die neuen Bewohner wären beinahe Nachbarn, liegt doch der westliche, für eine Wohnbebauung ins Auge gefasste Teil des Rennbahngeländes nur wenige Hundert Meter von seiner Haustür entfernt. Backhaus beklagt, dass die Bebauung in der Gartenstadt Vahr immer mehr verdichtet werde. Und damit der ursprünglichen Idee der Gartenstadt zuwiderlaufe – nämlich Wohnflächen mit reichlich Grünflächen aufzulockern. "Die Rennbahn passt doch sehr gut in dieses Konzept", sagt er. Backhaus könnte sich sogar wie die FDP vorstellen, wieder Pferderennen auf der ehemaligen Galopprennbahn zu veranstalten.

Anders Sven Bayer. Der 53-Jährige plädiert dafür, ungenutzte Flächen viel stärker in Betracht zu ziehen, statt ein neues Großprojekt anzugehen. "Man muss doch mal gucken, wo Nischen sind", sagt er. Eine hat er praktisch unmittelbar vor seinem Haus ausgemacht: den ausgedienten Wendeplatz der BSAG an der Stellichter Straße. Den "vernünftig gestalten" – und schon wäre wieder Fläche für Wohnungsbau gewonnen. Die Bebauung der Rennbahn lehnt er aber auch noch aus einem anderen Grund ab. "Wir wissen schon jetzt nicht, wo die ganzen Autos parken sollen", sagt er. Ähnlich argumentiert Peter Wollwage, der bei weiterem Zuzug den Verkehrsinfarkt befürchtet. "Schon jetzt sind unsere Wohnstraßen von Verkehr belastet, es käme dann noch viel mehr dazu."

Und könnte man überhaupt sicher sein, dass bezahlbarer Wohnraum entsteht? Angelika Noelker bezweifelt das. "Nachher ist es dann wie im Mühlenviertel in Horn-Lehe", sagt sie und meint damit: Normalverdiener könnten sich solche Wohnungen kaum leisten. Am Ende findet sich aber doch noch jemand, der die Bebauung der Rennbahn nicht in Bausch und Bogen verdammt. Zoe Wichmann ist gerade erst in die Gartenstadt Vahr gezogen. "Warum nicht?", sagt die junge Frau, "eine Bebauung finde ich nicht schlecht."

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