Der Ernst der Lage ist zu spüren: Die aktuelle Energiekrise hat auch Hemelingen erreicht. Der Stadtteil wird vom Hafen aus mit Strom und Wärme versorgt, die entgegen aller Pläne zunächst weiter aus Kohle und nicht aus Gas erzeugt werden wird. Der Erzeuger SWB geht von weiter steigenden Preisen aus, die langfristig auf einem sehr hohen Niveau bleiben werden.
Es ist schon fast bedrückend zu nennen, was Friedhelm Behrens, Unternehmenssprecher der SWB, dem Ortsbeirat in seiner jüngsten Sitzung mitzuteilen hatte. "Derzeit ist rein physikalisch genügend Erdgas vorhanden, wie es im Winter aussieht, kann man nicht sagen." Erdgas sei für Russland ein Erpressungsinstrument gegenüber Deutschland. "Wir sehen unsicheren Zeiten entgegen." Auf 35 Prozent habe die SWB den Anteil des russischen Gases senken können, aber, ob dieser Anteil tatsächlich auch geliefert werden wird, ist in der derzeitigen politischen Situation unsicher.
Putins Hand am Gashahn
Russland hat als Reaktion auf westliche Sanktionen die Gaslieferungen in eine Reihe europäischer Staaten eingestellt oder gedrosselt. Nun soll die Erdgaspipeline Nordstream I in die Revision gehen, ob danach wieder russisches Gas nach Deutschland fließt, ist ungewiss.
Deutet man Behrens Aussagen, so richtet sich die SWB offenbar auf den schlimmsten Fall ein. Betroffen ist davon auch das Gaskraftwerk im Hemelinger Hafen, das derzeit noch im Bau ist und 2023 in Betrieb gehen sollte.
"Das Blockheizkraftwerk wird zu Ende gebaut, es halb fertig stehen lassen, macht keinen Sinn", so Behrens. Womit es künftig betrieben wird, ist noch offen. Die SWB sei in Gesprächen mit dem finnischen Hersteller der Gasturbinen, ob und wie diese auf eine Verbrennung von Wasserstoff umgestellt werden können. "Damit hätten wir aber einen Brennstoff, der deutlich teurer ist", so Behrens. Generell müssten sich die Menschen darauf einstellen, dass das Heizen teurer sein wird.
In diesem Zusammenhang sprach er auch davon, dass die SWB wie auch andere Versorger die Verbrauchspreise für ihre Kunden wird erhöhen müssen. Behrens sprach von einem zweistelligen Prozentbetrag.
Tatsächlich haben Unternehmen mit der Ausrufung der zweiten Warnstufe durch Wirtschaftsminister Habeck (Grüne) die Möglichkeit, auch Erhöhungen in laufenden Verträgen durchzusetzen. Der Hintergrund: Sollten Energieversorger pleite gehen, weil die Einnahmen nicht mehr die Einkaufskosten für Erdgas decken, droht eine Insolvenzwelle, die ganze Branchen wie in einem Domino-Effekt erfassen könnte. "Und das kann sich Deutschland nicht leisten", so Behrens.
Heizen wird sehr teuer
Für die Kunden der SWB könnten also hohe Nachforderungen im Raum stehen. "Wir wissen, dass die Luft für Heizkosten bei vielen Menschen nicht mehr vorhanden ist und es Haushalte gibt, die die Kosten nicht mehr tragen werden können", so Behrens. Die Frage werde sein, welche Transferleistungen es geben wird, damit Haushalte nicht in die Zahlungsunfähigkeit geraten.
Für die Kunden gibt es nur wenige Möglichkeiten, um ihre Kosten zu senken. "Schon jetzt sollte man für den Winter den Verbrauch senken", so Behrens. "Heizungen sollten inspiziert werden, ob sie optimal eingestellt sind, da kann man etwas sparen." Kunden sollten außerdem schon jetzt Geld zurücklegen, damit eine etwaige Nachzahlung nicht einen so großen Schock auslöst.
Als Alternative zum Gaskraftwerk betreibt die SWB das Kohlekraftwerk im Hemelinger Hafen nun erst einmal weiter. "Kohle können wir aus anderen Erdteilen bekommen", sagte Behrens. Die Kehrseite: Das Unternehmen wird damit seine Klimaziele verfehlen.
Vielleicht führt die derzeitige Krise aber insgesamt zu einem schnelleren Umstieg auf erneuerbare Energien, denn, so ließen sich Behrens Worte deuten, die Brückentechnologie Erdgas scheint zu den Akten gelegt worden zu sein. "Wir bemühen uns um Alternativen, zum Beispiel Solarthermie, die Umrüstung von Erdgas auf Wasserstoff, den Ausbau der Fernwärme." Daneben gebe es viele interessante neue Technologien. Eine davon: Wärmegewinnung durch Weserwasser. "Die Frage ist, was machen wir zuerst?", so Behrens. Alle Technologien gleichzeitig zu erproben, dafür fehle es an Mittel und Personal.
Alternative Wasserstoff
Ein wahrscheinlicher Kandidat ist derzeit offenbar Wasserstoff. "Wir werden blauen Wasserstoff nutzen müssen", erklärte Behrens. Damit ist Wasserstoff gemeint, der aus Erdgas gewonnen wird. Der Vorteil: verflüssigter Wasserstoff kann per Schiff transportiert werden. Ein Lieferant könnte Norwegen sein. "Die haben großes Interesse daran, blauen Wasserstoff herzustellen." Aber auch dafür brauche man erst einmal die Infrastruktur. Vom Grünen Wasserstoff, also Wasserstoff, für dessen Herstellung ausschließlich regenerative Energie verwendet wird, sei man hingegen noch sehr weit weg.
Als Notlösung steht außerdem sogenanntes LNG auf dem Zettel. LNG ist verflüssigtes Erdgas, das ebenfalls per Schiff transportiert werden kann. Eine Quelle dafür könnte Nordamerika sein. "Aber das wird aus Frackinggas gewonnen und keine Wunschlösung", so Behrens.