Zuwachsraten von 451 Prozent bei den aktiven Nutzerinnen und Nutzern, 1350 Prozent mehr erstellte Meldungen innerhalb eines Monats – das sind Zahlen, von denen andere Anbieter nur träumen können. Die Zahlen kommen von einem der aktivsten Kanäle auf der Microblogging Plattform Mastodon "norden.social". Die Macher sitzen in Bremen-Hemelingen und bieten die Twitter-Alternative für den gesamten norddeutschen Raum – und darüber hinaus – an.
"Wir sind um das Doppelte bis Dreifache gewachsen", sagt Benedikt Windolph in einem Büro im Wurst-Case, dem ehemaligen Verwaltungsgebäude von Könecke, am Sebaldsbrücker Bahnhof. Er ist zusammen mit Niklas Barning und weiteren Unterstützern Betreiber des als "Instanz" bezeichneten Kanals Norden.social.
Am Wochenende der Twitter-Übernahme durch Tesla-Chef Elona Musk seien die Anmeldezahlen explodiert. "Da waren wir damit beschäftigt, das System technisch zu stabilisieren", berichtet Windolph. Am vergangenen Wochenende noch einmal ein Schub: Twitter ließ den suspendierten Ex-Präsidenten Donald Trump auf der Plattform wieder zu.
Alternative zu Twitter
Wenn auch die Prozentzahlen eindrucksvoll sind, sie werden durch einen Blick auf die absoluten Zahlen relativiert. Der Kanal Norden.social kommt auf 10.658 Nutzerinnen und Nutzer. Mastodon selbst als Plattform hat weltweit sieben Millionen angemeldete Nutzer. Zum Vergleich: Twitter hat nach eigenen Angaben über 200 Millionen täglich aktive Kunden. Tendenz allerdings fallend.
Die derzeitige Beliebtheit von Mastodon, als gemeinnützige GmbH von Eugen Rochko gegründet, und seinen Kanälen speist sich also aus der Unruhe, die der Multimilliardär und umstrittene Egozentriker Elon Musk mit dem Kauf des Kurznachrichtendiensts Twitter verursacht hat.
Aber es ist ein bisschen mehr als das. Bei vielen Nutzern geht es auch um die Dezentralisierung und Demokratisierung von Kommunikation, um das Lösen aus der Abhängigkeit von großen Tech-Unternehmen. "Dieses Jahr sind die Zahlen explodiert, weil die Menschen unzufrieden sind mit Twitter und es nun von einem einzigen Mann geführt wird", mutmaßt der in Sachsen-Anhalt geborene Windolph. Er rechne damit, dass bei Twitter "irgendwann die Lichter ausgehen".
Er sieht den Kurznachrichtendienst aber auch als Instrument für ungefilterte Berichterstattung. "Der Ukraine-Krieg kann quasi live verfolgt werden." Auf Twitter werde Politik gemacht. "Das gibt es auf Instagram und Tik-Tok nicht", so Windolph, der mit seinem Bruder eine eigene Web-Agentur betreibt. Deswegen müsse es auch nach Twitter weitergehen. Barning, der in Bremen geboren ist, ergänzt: "Demokratisierungsprozesse liegen bei einem Unternehmen – will man das, dass so etwas bei einer Firma liegt?" Er ist überzeugt, dass die Zukunft in dezentralisierten Plattformen wie Mastodon liegt.
Lokale Nachrichten und Prominente
Das Prinzip von Mastodon ist einfach. Eine freie, kostenlose Open-Source-Software stellt das Grundgerüst dar. Nutzer können sich einer der zahlreichen Instanzen oder auch Kanälen anschließen oder wie Barning und Windolph selbst eine erstellen. Der Clou ist, dass Nutzer auch außerhalb ihres Kanals anderen Menschen auf Mastodon folgen können. Einige Prominente haben das Potenzial der Plattform erkannt. So hat der Bremer Moderator Jan Böhmermann auf Mastodon über 130.000 Follower. Selbst die Bundesregierung betreibt unter "bund.social" einen eigenen Kanal auf Mastodon.
"Die Idee war, eine Instanz für den Norden zu gründen mit Lokalkolorit", sagt Windolph. Der Vorteil zu Twitter: "Man hat eine lokale, eine persönliche und eine dritte Nachrichtenleiste für alle Instanzen. Bei Twitter gibt es gar nicht so viel Lokales, hier bekommt man auch lokale Nachrichten."
Die Mastodon-Plattform ist eingebettet in ein ganzes Universum alternativer Social-Media-Angebote, so zum Beispiel die dezentrale Instagram-Alternative Pixelfed.
Der Trend zu dezentralen Plattformen ist eine Reaktion auf die Zentralisierung durch einige wenige Internetkonzerne. Aus einem anarchischen, aber gleichberechtigten Internet ist eine digitale Welt geworden, die fast vollständig monopolisiert und in den Händen reicher Männer liegt. Beispiele? Mark Zuckerberg ist der Gründer von Facebook, das inzwischen zum Konzern Meta gehört. Zu seinem Imperium gehören noch Instagram und Whatsapp. Über alle Plattformen hinweg bestimmt der Konzern über Algorithmen, was die Menschen sehen.
Beispiel Google: Das Unternehmen erreicht mit seinen Softwareprodukten Millionen und Milliarden Menschen. Alleine bei Youtube sind es nach Unternehmensangaben über 2,5 Milliarden monatliche Nutzer. Der ehemals reichste Mann der Welt, Jeff Bezos, lenkt die Geschicke von Amazon, dessen wichtigster Dienst inzwischen die Vermietung von Serverdiensten ist. Ohne Amazon kein Online-Festplattenplatz für Unternehmen, Nichtregierungsorganisationen, Behörden und die eigene Webseite.
Zum Elo-MuskImperium gehören neben Tesla und Twitter auch das Unternehmen Starlink, das Internet via Satellit an entlegene Orte bringt. Starlink hat im Ukraine-Krieg für eine Internetversorgung des überfallenen Landes gesorgt. Die Kontrolle über dieses Instrument, das freie Kommunikation ermöglicht, liegt aber in der Willkür eines Mannes und nicht etwa bei einer demokratisch legitimierten Regierung.
"Man hat die Konzerne wachsen lassen und natürlich hat man am Ende dann wie bei den Telefonanbietern nur vier Anbieter", kritisiert Windolph.
Ist das Bild einer Welt, in der Großkonzerne das Denken der Menschen bestimmen, schon Realität? Eine Frage, die offen bleibt. Benedikt Windolph und Niklas Barning jedenfalls hoffen, dass noch viel mehr Menschen Alternativen wie Norden.social bei Mastodon nutzen. "Man verliert nichts auf Mastodon, gewinnt aber etwas", sagt Windolph.