Mit einer Sammelbüchse steht eine Frau vor einem Sebaldsbrücker Wohnhaus. Die Tür geht auf, sie grüßt mit „Heil, Hitler!“. Und bekommt zur Antwort: „Wohnt hier nicht!“ Mit solchen Kommentaren und seinem gewerkschaftlichen Engagement hat sich Ludwig Weihkopf in der Nazizeit Feinde gemacht. Der Zimmermann wurde mehrfach denunziert und starb nach sieben Jahren Haft im KZ Sachsenhausen. Sein Schicksal ist eines von zahlreichen, die im letzten Band der Stolperstein-Reihe, dem Band über die Stadtteile Hemelingen und Osterholz, nachzulesen sind. Zwei Buchpremieren sind für Februar im Bremer Osten geplant.
Um Anerkennung kämpfen müssen
Die Familie von Ludwig Weihkopf hat nach der NS-Zeit wie viele andere um ihre Anerkennung als Opfer des Nationalsozialismus kämpfen müssen. Der geistig schwerbehinderte Sohn Theodor wurde 1938 als etwa 18-Jähriger zwangssterilisiert und entging nur knapp der „Euthanasie“. Sein neun Jahre älterer Bruder spottete über Hitler und büßte dafür: Neun Monate war Ludwig Weihkopf junior im Gefängnis. Und auch die Mutter, Minna Weihkopf, eine gebürtige Beneke aus Nienburg, verbrachte einige Zeit hinter Gittern – wegen angeblicher „kommunistischer Umtriebe“ und weil sich ihre Mieter von ihr schlecht behandelt fühlten.
Hemelinger, Hastedterinnen, Sebaldsbrücker und Osterholzerinnen erfahren in Band 7 mehr darüber, wer in ihrem Ortsteil unter den Nazis gelitten hat, ob es Solidarität oder Denunziation in ihrer Nachbarschaft gab und wie es nach 1945 weiterging. Reiner Meissner hat über Spuren der NS-Zeit in Sebaldsbrück geschrieben, Kornelia Renemann über die NS-Zeit in Hastedt, Hemelingen und Osterholz, außerdem unter dem Titel „Empfänger verstorben“ über Versuche, das Schicksal getöteter Angehöriger aufzuklären. Jeanette Jakubowski und Dirk Wagner haben sich mit dem Jüdischen Friedhof in Hastedt befasst.
Beitrag über Bremer Nervenklinik
Peter Christoffersen berichtet über Ostjuden in Bremen und die Gemeinde in Sebaldsbrück, über die Abschiebung polnischer Bremer Juden im Oktober 1938 und über die Gestapo in Bremen, Letzteres gemeinsam mit Michael Berthold und Dwertmann, der wiederum auch Recherchen zu jüdischen Sportlerinnen und Sportlern und Funktionären vor und nach 1933 angestellt hat. Als Expertin für Medizingeschichte ist Gerda Engelbracht mit einem Beitrag über die Bremer Nervenklinik vertreten.
Barbara Ebeling schildert den Alltag der Bremer Juden in der NS-Zeit, Christine Nitsche-Gleim den jüdischen Viehhandel in Bremen und Umgebung. Die Ortsamtsleiter von Hemelingen und Osterholz haben sich mit Grußworten beteiligt.
Nachschlagewerk
Als Herausgeberduo haben Peter Christoffersen und Barbara Johr gemeinsam mit dem Redaktionsteam das bewährte Konzept umgesetzt, das den Einstieg in die Thematik erleichtert. Zugleich ist der Band ein Nachschlagewerk für alle, die sich näher mit Verfolgung im Bremen der NS-Zeit befassen wollen, ob nun Schulklassen, Studierende oder interessierte Laien.
Im Anhang sind die wichtigsten Begriffe und Institutionen kurz und anschaulich erläutert. In den einzelnen Kapiteln finden sich Zeugnisse von Fanatismus, Mitläufertum und politisch, ethisch, rassistisch oder religiös motiviertem Widerstand, aber auch Beispiele für den Umgang mit seelisch Kranken, geistig oder körperlich Behinderten oder Kriegsdienstverweigerern. Außerdem werden einige der Täter und Tatorte genannt und bleiben auf diese Weise im kollektiven Gedächtnis.
Stolperstein-Pläne führen durch die Stadt
Zu einem Stadtteilspaziergang auf den Spuren der NS-Zeit laden die Stolperstein-Pläne ein, die zu den einzelnen Bänden gehören. Eingezeichnet sind die letzten freiwillig gewählten Adressen von Verfolgten des Naziregimes, aber auch ehemalige Orte der Zwangsarbeit oder Lager: In der Diedrich-Wilkens-Straße 5 wurden beispielsweise Frauen und Männer zur Arbeit im Flugzeugbau gezwungen, in der Vahrer Straße 197 befand sich das „Italiener-Lager“, als Italien kein Verbündeter des „Dritten Reiches“ mehr war.
Von der Plattenheide 40 führte der Schulweg der Geschwister Beate und Israel Lundner zum Alten Postweg – bis zu dem Tag, als die beiden Kinder wegen ihrer jüdischen Herkunft aus dem Unterricht ausgeschlossen wurden. In die damalige Nervenklinik in Osterholz wurde Marie Drallmeyer, geborene Benker, aus der Fliederstraße eingewiesen, die unter Angstzuständen und Melancholie litt. Gemeinsam mit 300 anderen Patientinnen und Patienten wurde sie in die Klinik Meseritz-Obrawalde verlegt. Bald darauf erhielten Angehörige die Todesnachricht.
Wenige Bremer Verfolgte der NS-Zeit waren so prominent wie Werder-Präsident Alfred Ries oder im Stadtteil einst so bekannt wie die Familie von Erich Alexander, deren Herrenbekleidungsgeschäft in Hastedt als „jüdisches Geschäft“ schon früh das Ziel von Angriffen der SA war. Polnischstämmige jüdische Familien werden porträtiert und Antifaschisten wie der Kommunist Bernhard Rauch aus dem Alten Postweg, ein dreifacher Familienvater, der die Haft nicht überlebt hat, oder der Hemelinger Borgward-Mitarbeiter Johann Heere aus der Hahnenstraße 37, ein Zeuge Jehovas. Weil er den Kriegsdienst verweigerte, wurde er 1941 in Berlin-Moabit erschossen. Er sei kein Mörder und wolle keiner werden, soll er ausgesagt haben. Und der Schöpfer sei sein Führer. Auch in seinem Haus wohnte Hitler nicht.