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Ahrtal Aufbauhilfe statt Urlaub: Wie ein Bremer Ehepaar Flutopfern hilft

Eine zufällige Begegnung auf dem Campingplatz hat Ursula und Dieter Kirsch zum Hilfseinsatz für die Flutopfer im Ahrtal bewegt und ihnen bereichernde Erfahrungen gebracht.
13.12.2021, 14:19 Uhr
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Aufbauhilfe statt Urlaub: Wie ein Bremer Ehepaar Flutopfern hilft
Von Ulrike Troue

"Wir waren erschüttert!", schildern Ursula und Dieter Kirsch ihren ersten Eindruck von den verheerenden Zerstörungen durch die Flutwelle vom 14./15. Juli im Ahrtal. Als die Bremer mit ihrem Wohnmobil Mitte August zur Urlaubsreise in Richtung Rhein und Mosel aufgebrochen sind, haben sie wohl kaum gedacht, dass sie einige Tage später selbst mit Gummistiefeln, Schaufeln, Hammer und Stemmeisen mitten im Katastrophengebiet zupacken würden. 

"Es war eine riesige Erfahrung, so viele Menschen kennenzulernen, die uneigennützig nur eines zum Ziel hatten: Den Menschen im Ahrtal zu helfen!", erinnern sich die über 70-jährigen Horner heute bei einem Glas "Flutwein" an die ermutigende Stimmung im Helfercamp und große Dankbarkeit der Flutopfer.

Flut hat Winzern die Lebensgrundlage entrissen

Unter dem Label "Flutwein" würden aus dem Schlamm gefischte Flaschen unterschiedlicher Qualitätsweine aus Winzerkellern der Region Ahrweiler gegen Spende für den Wiederaufbau vertrieben, erklärt Dieter Kirsch. "Die Flutwelle hat den Winzerfamilien die Lebensgrundlage entrissen: Gastronomie, Hotellerie und Tourismus hängen alle am Tropf des Weinbaus."

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Eigentlich wollte das Ehepaar Mitte August schöne Urlaubstage an Rhein und Mosel verbringen. Nachdem Nachbarn auf einem Campingplatz in Köln ihnen vom Helfercamp nördlich von Ahrweiler erzählt hatten, waren die hilfsbereiten Bremer sich sofort einig, dass auch sie die Flutopfer unterstützen wollen.

Spontan steuerten die Luftverkehrskauffrau und der Bauingenieur die Wiese im Ortsbezirk Ringen an, wo bereits andere Helfer ihre Wohnmobile und -wagen geparkt, auch Zelte aufgestellt hatten. Von dort seien täglich hunderte Menschen mit Masken in Bussen dorthin gefahren worden, wo Hilfe am nötigsten war, erzählt Ursula Kirsch. Zwei örtliche Unternehmer hatten den "Helfer-Shuttle" über Nacht organisiert, ein dritter hat die große Halle für die Werkzeugausleihe gebaut.

Im Bus, der sie nach Dernau ins Tal bringen sollte, habe stets gute Stimmung geherrscht, erzählt die Hornerin. Sie habe die jungen Frauen mit einem dicken Bohrhammer unterm Arm bewundert, die sich fürs Helfen extra Urlaub genommen haben.

Putz musste von den Wänden abgeschlagen werden

"Unser erster Einsatz war in einer Schule in Ahrweiler, ein Wochenende vor Schulbeginn", blickt Dieter Kirsch zurück. "Das Gebäude war stabil, der Unterricht konnte in den oberen Klassenräumen stattfinden." In der Schule sollten die Helfer alles reinigen, schildert er. "Und die vielen gespendeten Tische für die Klassenräume und das Lehrerzimmer zusammenbauen."

Bei seiner Ankunft sei der Putz von den Wänden im Untergeschoss bereits abgeschlagen gewesen. "Der Putz in vielen Häuern musste runter, weil die Wände darunter nass und kontaminiert waren, und das bis zur zweiten Etage", erklärt der Bauingenieur. Die Stemmeisen waren ihm zufolge im Dauereinsatz und wurden von einem Schmied, der in einem der Zelte mit seinem Feuer saß, jeden Tag wieder in Form gebracht.

Unterdessen half Ursula Kirsch, die Turnhalle vom inzwischen fest gewordenen Schlamm zu befreien. Mit Schaufeln wurde der Lehm abgeklopft, dann gefegt. "Eine mühselige, kräftezehrende und ziemlich schmutzige Arbeit", erzählt sie, "aber alle Helfer waren bester Laune, niemand beklagte sich."

Abends ging es wieder mit Bussen zurück ins Helfercamp. Eine ganz wichtige Anlaufstelle dort ist aus ihrer Sicht das Seelsorge-Zelt. "Manche erfuhren von Einheimischen für sie unfassbare Erlebnisse", weiß Ursula Kirsch. Beispielsweise vom Schock einer Großmutter, die ihre Enkel im Auto angeschnallt hatte, noch einmal kurz ins Haus ging und beim Herauskommen feststellte: Das Auto ist weggespült. "Das ist ja ganz entsetzlich", entfährt es ihr spontan. "Auch wir haben viele traurige Geschichten gehört."

Bremer halfen im Oktober bei der Weinlese

Im Oktober sind die Bremer ein zweites Mal ins Ahrtal gefahren, um bei der Weinlese zu helfen. Sie bekamen einen Eimer und eine Reihe der steilen Hänge eines Weinbergs zugewiesen, wo sie mit einer kleinen Schere die Trauben abschnitten. "Entfernt alles, was ihr nicht essen würdet", war die einzige Arbeitsanweisung.

Die Eindrücke und leidvollen Geschichten von verzweifelten wie tapferen Flutopfern bleiben den Bremern nachhaltig in Erinnerung, ihr ehrenamtlicher Einsatz empfinden sie als bereichernde Lebenserfahrung. "Es hat uns glücklich gemacht, helfen zu können!", sagt Ursula Kirsch. "Und wir wissen, dass Hilfe noch sehr lange vonnöten sein wird. Viele Helfende sind noch vor Ort, aber jetzt fehlen Fachleute aus allen Gewerken."

Die Horner helfen den Flutopfern weiterhin nach ihren Möglichkeiten. Vor wenigen Tagen erst ist einer ihrer Söhne, der in Köln lebt, mit Süßigkeitenpaketen ins Ahrtal aufgebrochen. Er hat sie einer Bewohnerin in Dernau übergeben, die Kirschs persönlich näher kennen und das Naschwerk verteilen will. Darüber hinaus sammelt Ursula Kirsch als Präsidentin des Kiwanis Club Bremen-Atlantica Spenden für die Flutopfer, die befreundete Kiwani Clubs vor Ort gezielt an Bedürftige weiterleiten.

Info

Wer als Camper oder Wohnmobilist praktische Hilfe leisten möchte, kann sich im Internet unter https://www.helfer-shuttle.de näher informieren. Einen Überblick über Unterstützungsmöglichkeiten gibt es unter https://www.ahrtal.de/flut-hilfe#. Der Kiwanis Club Bremen-Atlantica bittet um Spenden für betroffene Familien mit Kindern auf das Konto  IBAN DE 59 2904 0090 0280 8038 01 unter dem Stichwort Flutopfer.

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