So viel Lernbereitschaft war selten. Hatte man vor Corona den Eindruck, als reklamierten die Menschen in den Regierungszentralen, Oppositionsbüros und an Biertischen die Deutungshoheit über richtig und falsch jeweils für sich, herrscht seit einigen Monaten allerorten eine ungewohnte Demut. Die beispiellose Krise hat offenbart, dass wir wenig wissen und die Lösungen für die Bewältigung der Ausnahmelage erst mühsam erarbeiten müssen. Lernwille macht aber auch sympathisch, und das macht die wiederkehrenden Beteuerungen, die Fehler der Vergangenheit nicht ein zweites Mal begehen zu wollen, dann auch wieder verdächtig.
Im Frühjahr war das noch anders: So unbekannt Wesen und Wirkung des Virus waren, so ahnungslos war man in Bezug auf die Bewältigung der Pandemie-Folgen. Die oft zitierte Fahrt auf Sicht war meist eher ein Stochern im Nebel. Und so lassen sich manche Fehler auch einfach hinnehmen, etwa wenn das Gesundheitsministerium zuerst zu wenige und dann zu viele Gesichtsmasken bestellt und dabei viele Millionen Euro verbrannt hat. Auch den Umstand, dass die Bayern die Kommunikation ihrer Corona-Tests vergeigt und einige Infizierte noch immer nicht aufgespürt haben, mag man anderswo noch tolerieren. Vor allem, wenn man diesen Bock nicht selbst geschossen hat.
Mittlerweile ist aber nicht mehr alles neu, und so ist die Zeit reif, die Erkenntnisse in Handlungsoptionen umzuwandeln. Wenn beispielsweise längst klar ist, dass sich der Lockdown nicht wiederholen darf, weil ihn viele Unternehmen nicht überleben würden, braucht es jetzt ein Konzept, das die Wirtschaft vor den Folgen einer zweiten Infektionswelle bewahrt. Differenziert und zielgenau müsse man künftig vorgehen, gibt Bremens Wirtschaftssenatorin zu Protokoll. Aber was genau ist zielgenau?
Gemeinsame Standards
Zwei Wochen vor Beginn des Schuljahres in Bremen und Niedersachsen stellt sich auch die Frage, ob die Bildungsbehörden den Schulen genügend Handwerkszeug mitgegeben haben, um eine weitere Welle besser zu bewältigen als im Frühjahr. Es kann nämlich nicht damit getan sein, im neuerlichen Krisenfall die Schulen erneut dichtzumachen und die Lehrerinnen und Lehrer abermals ausprobieren zu lassen, wie Bildungsvermittlung unter diesen Umständen doch noch möglich ist. Vielmehr braucht es schon jetzt gemeinsame Standards, die Nachteile Einzelner ausschließen und vermeiden, dass eine ganze Schülergeneration abgehängt wird. Es ist die Aufgabe der Fachbehörden, die Erkenntnisse des ersten Lockdown zu bündeln und Gutes zum Muster für künftige Ausnahmelagen zu machen.
Denn nach einem halben Corona-Jahr ist es nun an der Zeit, in Phase zwei einzutreten und neben Lernwillen auch Lernfähigkeit zu demonstrieren. Das wäre nicht nur sympathisch, sondern auch noch überzeugend.