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Interessengemeinschaft Eine Kampagne so farbenfroh und individuell wie das Viertel

Ohne die inhabergeführten Geschäfte wäre es still im Viertel, darauf möchte die Interessengemeinschaft "Das Viertel" nun mit einer Kampagne hinweisen. Das Ziel: Leerstand und Verödung zu verhindern.
07.10.2024, 05:00 Uhr
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Eine Kampagne so farbenfroh und individuell wie das Viertel
Von Sigrid Schuer

Auf dem Tisch des neuen Büros der Interessengemeinschaft "Das Viertel" liegen 16 farbenfrohe Fotografien ausgebreitet, die das gewisse Etwas des Viertels ausstrahlen. Die IGV sitzt jetzt in der Etage über dem ehemaligen M-One am Sielwalleck, in dem die Handwerker kräftig werkeln. Die Wiedereröffnung rücke allmählich näher, sagt Quartiersmanagerin Tracy El Haddad und schaut dann noch einmal auf die Fotografien, die vor ihr liegen. Die Fotografin Susanne Frerichs hat im vergangenen und in diesem Jahr das Besondere eingefangen, das die inhabergeführten Geschäfte des Viertels ausmacht.

Im Oktober startet die Interessengemeinschaft mit diesen Fotografien die crossmediale Kampagne "Viertelhelden" in Print- und sozialen Medien. Außerdem soll mit einer Postkartenaktion auch ein politisches Signal gesetzt werden. Die Botschaft ist klar: "Wir sind hier und wollen es auch bleiben!" Dafür gelte es die Gesellschaft zu sensibilisieren, sagt El Haddad.

Welche Funktion haben inhabergeführte Geschäfte?

Die Lebendigkeit der Innenstadt und des Viertels hänge maßgeblich von inhabergeführten Geschäften ab, betonen Peer Rüdiger, Vorsitzender der Interessengemeinschaft "Das Viertel" und Quartiersmanagerin Tracy El Haddad unisono. Wenn es die nicht mehr gäbe, dann würde Bremen zunehmend veröden. Ziel sei es, die Menschen hinter den Geschäften zu zeigen, die auch ihre Familien von ihrer Arbeit ernährten. Und die nicht nur zu ihren Betrieben, sondern auch und gerade zu ihren Stadtteilen stehen. "Sie sind mit ihren Geschäften einzigartig und machen die Identität des Viertels aus", betont die Quartiersmanagerin.

Es gehe nicht nur um qualifizierte Beratung und das Einkaufserlebnis, sondern auch um den Schnack über den Ladentresen. Alles das sei beim anonymen Einkauf im Internet nicht zu haben, von den umweltbelastenden Auswirkungen des ständigen Pakete-Hin- und Herschickens gar nicht zu reden, so Peer Rüdiger. "Wir haben ganz klar auch eine soziale Funktion, so wie das früher im Tante-Emma-Laden der Fall gewesen sei", betont Benjamin Philipp von "Viertel Optik", der das Geschäft am Ostertorsteinweg Ende 2015 übernahm.

Wie ist die aktuelle Situation?

Viele Geschäftsinhaber hätten nach wie vor mit den Auswirkungen von Corona zu kämpfen und versuchten, die Defizite aufzuholen. Viele hätten zudem ihre Rücklagen in der Corona-Pandemie aufgebraucht. Von den weltweiten Krisen und Konflikten, die bei der Kundschaft zusätzlich für Verunsicherung sorgten, ganz zu schweigen, berichten Philipp und El Haddad. "Wir müssen uns schon darüber im Klaren sein, was das bedeuten würde, wenn es die inhabergeführten Geschäfte eines Tages nicht mehr gibt", resümiert die Quartiersmanagerin. Erst kürzlich hat beispielsweise die Apotheke am Ziegenmarkt dichtgemacht. Peer Rüdiger hat zudem in seiner Steintorpresse eine Strichliste in puncto Publikumspräsenz geführt. 11.000 Besucherinnen und Besucher habe er vor der Corona-Pandemie pro Jahr gehabt, ungefähr 40 bis 50 seien es jetzt pro Monat.

Welche Kritikpunkte gibt es?

Als großes Manko empfindet es Peer Rüdiger, dass diese Geschäftsinhaber medial und politisch quasi nicht vorkämen. So beteuere Bürgermeister Bovenschulte (SPD) immer wieder, dass es Bremen an kaufkräftiger Kundschaft fehle, auch weil viele Menschen ins Umland zögen. Rüdiger hat die Erfahrung gemacht, dass es auf politischer Seite kaum Ansprechpartner gibt. "Unsere Situation, die der kleinen inhabergeführten Geschäfte, wird politisch einfach nicht erfasst." Dabei könne durch deren Warenvielfalt auch Kaufkraft generiert werden. "Wir werden nicht als Wert wahrgenommen. Denn wir sind auch Kitt für das Viertel und nicht zuletzt für die Gesellschaft", sagt er. Wenn Unterstützung komme, dann per Gießkanne.

Wie könnte die Zukunft aussehen?

Der erfahrene Geschäftsmann Peer Rüdiger und Quartiersmanagerin Tracy El Haddad hätten da so eine Idee, wie sich junge Leute, die bislang das Risiko einer Geschäftsgründung scheuen, motivieren ließen: durch das sogenannte Küken-sucht-gemachtes-Nest-Konzept. Interessierte müssten dann über zwei oder drei Jahre hinweg an die Hand genommen, betriebswirtschaftlich begleitet und über Fördermittel finanziell unterstützt werden, erzählen sie. Darüber hinaus möchten die Viertelkaufleute mit ihrer Kampagne auch zukünftigen Gründern Tipps geben und ihnen Mut machen, diesen Schritt zu gehen.

Welche Rolle könnte die Agentur Semaest spielen?

Eines von Rüdigers liebsten Leuchtturm-Projekten gegen die Verödung von Innenstädten ist das in Paris bereits höchst erfolgreich umgesetzte "Semaest"-Projekt. Ziel der halb staatlich, halb privatwirtschaftlich geführten Agentur ist es, der Verödung und der Ausbreitung von Monokultur in Innenstädten etwas entgegenzusetzen. Das wird nicht nur in Paris, sondern auch bereits erfolgreich in Kiel und in anderen Städten praktiziert. Das Konzept: Die Stadt erhält das Vorkaufsrecht auf signifikante Gebäude, danach folgen Befragungen im Quartier, welcher Geschäftszweig gerade im Branchenmix fehlt. Der Inhaber des jeweiligen Ladens könnte das betreffende Gebäude dann per Mietkauf übernehmen. "Das Geld käme dann innerhalb einiger Jahre zurück", versucht Rüdiger das Argument, Bremen habe sowieso kein Geld, zu entkräften. "Es wäre schön, wenn Bremen zu den Vorreitern gehören könnte. Denn das wäre ein langfristiges, zukunftsfähiges Engagement", resümiert Tracy El Haddad.

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