Wie lange dauert es, bis jemand, der des Landes verwiesen wurde, tatsächlich gehen muss? Im Fall des Bremer Hasspredigers bleibt die Antwort auch nach mehr als drei Jahren offen. So lange dauert das Verfahren gegen Abbes Chihi nun schon, gekrönt Mitte September von einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG), mit dem die Anordnung zur Abschiebung für rechtens erklärt wurde. Doch auch das dürfte noch nicht der letzte Schritt gewesen sein, wie eine Nachfrage beim Gericht und bei der Innenbehörde ergeben hat.
Zwar wurde gegen das Urteil keine Revision zugelassen. Dagegen kann aber Beschwerde eingelegt werden. Sollte es so kommen, wandert die Angelegenheit zum Bundesverwaltungsgericht. Dann könnten weitere Monate vergehen, bis ein Mann, dem Aufruf zu Gewalt und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen werden, endgültig Deutschland verlassen muss.
Erstmals hatte die Innenbehörde mit Bescheiden aus dem Jahr 2021 den Imam und Vorbeter des Islamischen Kulturzentrums (IKZ) aufgefordert, das Land zu verlassen. Außerdem sollte es ihm 20 Jahre verboten sein, wieder einzureisen. Chihi war 2001 aus seinem Heimatland Tunesien mit einem Visum nach Deutschland gekommen. Als Grund hatte er angegeben, studieren zu wollen. Fünf Jahre später trat er in den Vorstand des IKZ ein, das wegen seiner salafistischen Ausrichtung unter Beobachtung der Behörden steht. In seinen Freitagsgebeten hat der Imam wiederholt zu Hass und Gewalt gegen Andersgläubige angespornt und dabei insbesondere das jüdische Volk ins Visier genommen.
Das Innenressort teilt mit, dass es Chihi schriftlich aufgefordert habe, das Bundesgebiet freiwillig bis zum 13. Oktober zu verlassen. Tut er es nicht, könnte unter Zwang abgeschoben werden. Theoretisch. "Die anschließenden Schritte wie Abschiebung oder Abschiebungshaft treten nach diesem festgesetzten Datum nur dann ein, wenn C. in der Zwischenzeit keine Rechtsmittel eingelegt hat, beziehungsweise eine vollziehbar Abschiebungsandrohung vorliegt", erklärt die Behörde.
Das Rechtsmittel wäre die Beschwerde gegen die Entscheidung des OVG, zu seinem Urteil im September keine Revision zuzulassen. Eingelegt werden kann es erst dann, wenn beide Streitparteien die vollständige Urteilsbegründung zugestellt bekommen haben. Das sei noch nicht der Fall, teilt die stellvertretende OVG-Sprecherin Nina Koch mit. Mit Eingang der Unterlagen beginne eine Frist von insgesamt zwei Monaten, in der die Beschwerde fertig formuliert sein müsse. Zunächst würde sich das OVG damit beschäftigen, so die Sprecherin – eine Formalität, denn das Gericht hat bereits entschieden. Zeit kostet das trotzdem. Den Daumen hoch oder runter, ob nicht doch Revision eingelegt werden darf, nimmt das Bundesverwaltungsgericht. "Das ist kein Eilverfahren, kann also mehrere Monate in Anspruch nehmen", erklärt Koch.
Von alledem unbenommen könnte die Innenbehörde bei der angestrebten Abschiebung von Abbes Chihi die sofortige Vollziehbarkeit anordnen. Doch auch das ist nicht zwingend ein probates Mittel. Wie gegen jeden behördlichen Akt, kann gegen so einen Bescheid Widerspruch eingelegt werden. Zuständig wäre das Verwaltungsgericht – eine Instanz, die im Juli 2022 Chihi recht gegeben hatte, als er sich juristisch gegen die Abschiebung wehrte. Damals hieß es in der Urteilsbegründung, dass der Imam die Schwelle zum Aufruf zu Hass und Gewalt nicht erreicht habe. Chihis Aussagen in den Freitagsgebeten bewegten sich noch im Rahmen der im Grundgesetz geschützten Meinungs- und Glaubensfreiheit.
Das sieht das OVG anders und Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) sowieso. Leute wie Abbes Chihi würden das gesellschaftliche Klima vergiften, hatte Mäurer nach dem OVG-Urteil erklärt. "Mehr noch – sie lehnen unsere westliche Rechts- und Werteordnung völlig ab und hetzen Menschen mit unabsehbaren Folgen gegen Teile der Bevölkerung auf." Der Senator beklagt die Länge des Verfahrens: "Das ist ein Problem in dieser Republik, dass man gegen jede Entscheidung Klage oder Widerspruch erheben kann", sagte der Senator in einem Beitrag von "Spiegel-TV" über den Bremer Hassprediger. Die Verfahren würden dadurch endlos. "Der Rechtsstaat ist allemal gut, aber das kann man kaum vermitteln", so Mäurer.
Die Gewerkschaft der Polizei betrachtet das Urteil zur Ausweisung des salafistischen Predigers als Vorbild. „Ich fordere die Innenminister und -senatoren auf, konsequent gegen weitere Hassprediger in ihren Ländern vorzugehen“, sagte GdP-Bundesvorsitzender Jochen Kopelke.