Noch relativ neu in der westlichen Bahnhofsvorstadt ist das Stadtteilhaus in der Bornstraße. Ursula Häckell, Bereichsleiterin, und Christina Nerlich, Leiterin des ambulanten, betreuten Wohnens des im Januar 2020 eröffneten Stadtteilhauses, das vom Verein innere Mission betrieben wird, stellten ihre Arbeit jetzt in der Präsenz-Sitzung des Fachausschusses für Soziales, Bildung und Kultur des Beirates Mitte vor. Sie stießen damit auf positive Resonanz der Ausschussmitglieder und auf großes Interesse einiger Anwohnerinnen.
Denn eines wurde im Verlauf der Diskussion klar: Vor allem in der Falkenstraße fehlt es an kommunikativen Treffpunkten, genauer: Es gibt gar keine. Das bemängelte beispielsweise Doris Wiechert, ehemalige Geschäftsführerin der Buchhandlung Storm, die seit rund 15 Jahren in der angrenzenden Ellhornstraße wohnt. Ihr Fazit: Es gebe weder ein Café noch eine Kneipe in der Falkenstraße. "Und eine Pizzeria gab es hier früher auch", erinnert sich Wiechert. Von den anwesenden Anwohnerinnen wurde neben der hohen Leerstandsquote die hohe Fluktuation und Anonymität in dem Quartier bemängelt, dem der Ruf eines Durchgangsstadtteils anhaftet. Das bestätigt auch den Eindruck von Iris Wensing nach ersten Recherchen vor Ort: "Hier im Quartier weiß offenbar niemand, was die oder der andere so macht."
Wensing wurde von der Hans-Wendt-Stiftung im Rahmen des Projektes "5 Q", das steht für die Förderung von stadtweit fünf Kleinst- und Sonder-Quartieren, als Quartiersmanagerin auf Zeit für die westliche und nördliche Bahnhofsvorstadt mit Schwerpunkt Falkenstraße und dem angrenzenden Doventor berufen. Ihre Aufgabe ist es in dem Brennpunkt-Quartier, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten, um die Situation vor Ort zu verbessern und die Zufriedenheit zu steigern. Die mit rund 8000 Euro dotierte Maßnahme soll bis Dezember 2023 laufen. Die Quartiersmanagerin plant Ende November, Anfang Dezember mit vielen Akteuren aus dem Stadtteil im Gemeindesaal der St.-Michaelis-Gemeinde einen runden Tisch anzuberaumen, auch mit den Kontaktpolizisten und den großen Wohnungsbaugesellschaften Brebau und Gewoba. Bezeichnend ist eine Aussage der Brebau, die von ihr wiedergegeben wurde: "Es gebe doch schlechtere Wohnviertel als die Falkenstraße."
Schon sehr bald wird Wensing sich mit weiteren Netzwerkerinnen in die Innenhöfe der großen Brebau-Klinkerblöcke stellen, um an einem Infostand bei Kaffee und Kuchen mit den Mieterinnen und Mietern ins Gespräch zu kommen. Zudem soll in naher Zukunft eine aktive Bewohnerbefragung durch Studierende der Hochschule für Künste durchgeführt werden. Nach wie vor ist die Quartiersmanagerin auf der Suche nach einem bezahlbaren Büroraum in der Falkenstraße. Nun ist Iris Wensing eifrig dabei, das Stadtteilhaus in der Bornstraße in ihre Aktivitäten einzubinden, auch als möglichen Ort für Zusammenkünfte aus dem Stadtteil. Dieses freundliche Angebot machten jedenfalls Ursula Häckell und Christina Nerlich. Sie setzen darauf, dass das jetzt wieder peu à peu möglich sein wird. Ein großer Flachbildschirm nebst Beamer sind in dem großen, gemütlichen, hellen Gemeinschaftsraum vorhanden.
Beide berichteten allerdings auch von Ängsten der Frauen, die in das Stadtteilhaus kämen und lieber an der Haltestelle am Wall ausstiegen und die Falkenstraße eher mieden. Ein Grund sei, so Häckell, dass das Dealen mit Drogen rund um den Bahnhof inzwischen in der Falkenstraße angekommen sei und auch schon die Bewohnerinnen und Bewohner des Stadtteilhauses von einer gewissen Klientel "angemacht" worden seien. Beiratsmitglied Holger Ilgner (SPD), der schon mehrmals betont hat, wie sehr ihn das zunehmende Dealen mit Drogen generell nerve, warnte allerdings ausdrücklich davor, People of Color unter Generalverdacht zu stellen. Die Bahnhofsvorstadt sei eben nicht das einfachste Viertel, betonten Häckell und Nerlich, so würden vor dem angegliederten Sozialkaufhaus Anziehungspunkt immer wieder Müllsäcke abgeladen und der Hof als Toilette missbraucht.
Ziel des Stadtteilhauses ist es, Menschen mit mehrfachen Beeinträchtigungen und psychisch kranken Menschen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Eingliederungshilfe und gelebte Inklusion vor Ort. Das ist in den insgesamt 15 individuellen Einzel-Apartments mit Pantry-Küche möglich, die die Hälfte des Angebotes ausmachen, die andere Hälfte sind Wohngemeinschaften. Aus den insgesamt 83 Klienten rekrutiert sich ein Bewohnerbeirat.
"Allein vom Verein Innere Mission hätten wir das finanziell gar nicht stemmen können. Deshalb sind wir froh, dass ein Investor das Grundstück gekauft und das Haus, in dem zuvor ein Sprachinstitut seinen Sitz hatte, umgebaut hat", erzählt Häckell. Hinzu komme ein langfristiger Mietvertrag. Das auf vier Jahre angelegte Projekt des Stadtteilhauses wird gefördert von der Aktion Mensch, die 90 Prozent der Personalkosten übernimmt. Für den Raum samt Unterhaltskosten muss die Innere Mission aufkommen. "Wir hoffen auf eine Refinanzierungsmöglichkeit", so Häckell.