Die Situation sei, gelinde gesagt, katastrophal. Dieses Fazit zogen gleich drei Expertinnen, die den Mitgliedern des Sozialausschusses des Beirates Östliche Vorstadt bei ihrem Ortstermin im Haus im Viertel Rede und Antwort standen. Zuvor hatte Luca Halder, die das Haus im Viertel seit 2016 leitet, durch das viergliedrige Objekt der Bremer Heimstiftung geführt.
Noch vor wenigen Jahren habe man sich nicht ausmalen können, mit welcher Wucht der Personalmangel Senioreneinrichtungen treffen werde, so Halder. Wobei das Haus im Viertel dank seiner vielfältigen, sozialen Vernetzungen und der engagierten Hausgemeinschaft immer noch recht gut aufgestellt sei. Allerdings bietet die Einrichtung keine Tages- und auch keine stationäre Pflege an. Einmal abgesehen von der Pflege-Demenz-WG mit acht Plätzen, die vom Paritätischen geleitet wird. Das Problem beginne da, wo ein alter Mensch dem Fallpauschalen-System folgend, nach einem Krankenhausaufenthalt zu früh entlassen werde, denn dann fehle es drastisch an Personal, um ihn medizinisch zu versorgen. Und Kurzzeitpflegeplätze seien rar gesät.
Pflegedienste leiden unter Personalmangel
Das ist auch die Wahrnehmung von Karina Busch, Leiterin des Dienstleistungszentrums Mitte des Deutschen Roten Kreuzes Bremen: "Das ist eine dramatische Entwicklung in den letzten Jahren. Wir suchen händeringend Nachbarschaftshelfer." Ihr Fazit: Pflegedienste litten unter großem Personalmangel. Dazu komme, dass sich Dienstleister mehr und mehr zurückzögen, sobald in den Pflegestufen vier und fünf ein hoher, personalintensiver Unterstützungsbedarf für pflegebedürftige Personen bestehe.
Insgesamt bezeichnete Busch diese Entwicklung als "große Herausforderung". Das fange schon bei den Diskussionen mit den Pflegekassen an. Denn die Zahl an allein lebenden, alten Menschen steige. Dazu komme, dass verdiente Nachbarschaftshelfer nun selber alt werden werden. Die Dramatik der Situation schilderte auch Maren Wilkens, Leiterin der aufsuchenden Altenarbeit bei den Viertel-Freunden, einer Einrichtung der Stiftung St.-Petri-Witwenhaus, das 1536 gegründet wurde und sich für ältere Bremerinnen und Bremer engagiert. "Wir sind dafür da, alte Menschen zu besuchen, mit ihnen nach draußen zu gehen und ihnen vorzulesen", erläuterte sie den Tätigkeitsbereich der Viertel-Freunde. Auch hier werden Freiwillige, die bereit sind, sich für eineinhalb Stunden pro Woche zu engagieren, händeringend gesucht.
Immer mehr psychische Auffälligkeiten
Ein zunehmendes Problem besteht laut Wilkens darin, dass es bei älteren Menschen, auch im Nachklang zur Corona-Pandemie, zunehmend zu psychischen Auffälligkeiten komme. Diese Menschen fielen durch alle Raster. Sie seien einfach nur hochgradig frustriert. Aber es gebe auch Fälle wie diesen: "Neulich hat mich eine Dame angerufen, die mir erzählte, dass ihre Hausärztin ihr mitgeteilt habe, dass sie es nicht schaffe, sich drei Wochen um ihre Wundversorgung zu kümmern. Sie hat ihr dann ein Rezept ausgestellt. Das Problem: Es gibt einfach niemanden, der diesen Job übernehmen kann." Denn dafür bräuchte es pflegerische Kenntnisse. Nur ein Fall. Und die Situation werde sich nicht entspannen, denn die geburtenstarken Jahrgänge gingen ja erst noch in Rente.
Die Expertinnen kritisierten zudem, dass der bislang praktizierte Grundsatz ambulant vor stationär durch den verstärkten Pflegenotstand zunehmend kippe. "Und das ist für die Betroffenen nicht nur eine menschliche, sondern letztendlich auch eine finanzielle Katastrophe", lautet ihr Fazit. Einwurf einer Zuhörerin: Angesichts steigender Altersarmut werde es zum "Luxus, alt zu werden und versorgt zu sein". Maren Wilkens kommt viel rum, sie bietet die aufsuchende Altenarbeit etwa in Begegnungsstätten an. Das Angebot kann aber erst beginnen, wenn die Zustimmung des oder der Betreffenden vorliegt.
Bewusstsein für Einsamkeit schaffen
Steffen Eilers (Grüne), Sprecher des Beirates Östliche Vorstadt, zeigte sich beeindruckt von der Arbeit der Frauen. "Es muss darum gehen, mehr Bewusstsein für Einsamkeit zu schaffen", plädierte er für eine soziale Stadtentwicklung. Dass das oft an hochpreisigen Vermarktungszwängen scheitere, zeige sich am Beispiel des Neuen Hulsberg-Viertels, fügte sein Fraktionskollege Frank Ballschmiede hinzu. Eilers hob hervor, dass der Beirat Bänke habe aufstellen lassen, die immer gut genutzt werden würden. Zuvor hatte Luca Halder darauf hingewiesen, dass es draußen zu wenige Plätze gäbe, an denen sich alte Menschen treffen und verweilen könnten.
Die Leiterin des Hauses im Viertel betonte aber auch, dass sich das Sicherheitsgefühl der alten Menschen im Viertel stark verändert habe. Es seien einfach zu viele Menschen unterwegs, denen es offensichtlich nicht gut gehe. Das erzeuge eine aggressive Grundstimmung und in der Folge ein Gefühl von Angst und Unsicherheit.
Das Haus im Viertel, Im Krummen Arm 13, wurde vor 25 Jahren von der Bremer Heimstiftung als erstes Haus, das Wohnen mit Service anbietet, gegründet. Die Apartments, die selbst eingerichtet werden können, sind zwischen 46 und 90 Quadratmetern groß. Die kleinste Wohnung kostet 1000 Euro Warmmiete, zuzüglich Strom und Telefon-Kosten. Die Wartelisten sind lang. Integriert in das in einen Garten eingebettete Gelände ist das alte Fundamt, in dem Biobiss nicht nur Mittagstisch, sondern auch viele kulturelle Veranstaltungen anbietet. Letzteres gilt für das Haus im Viertel selbst. Im Erdgeschoss ist zusätzlich ein Kinderhaus untergebracht. Im Haus im Viertel ist über den 24-Stunden-Präsenznotknopf jederzeit jemand zu erreichen. Außerdem hat das Dienstleistungszentrum Mitte des DRK dort seinen Sitz.
Ehrenamtliche, die sich in der Nachbarschaftshilfe engagieren wollen, können sich an Maren Wilkens, Leiterin der aufsuchenden Altenarbeit bei den Viertel-Freunden melden. Telefon 4348 39 46 und 0171 / 192 53 85, -Mail: m.wilkens@viertelfreunde.de . Sprechzeiten: Dienstag und Donnerstag von 9 bis 13 Uhr. Weitere Infos unter www.viertelfreunde.de.
Auch bei den Dienstleistungszentren, von denen es in Bremen 17 gibt, können sich Interessierte melden. Hier wird auch eine Aufwandsentschädigung gezahlt. Eingeschlossen ist ein Versicherungsschutz sowie die Beratung und Begleitung durch das jeweilige Dienstleistungszentrum. Mehr Informationen unter www.dlz-bremen.de.