Wer mehr als sechs Stunden am Tag arbeitet, soll mindestens 30 Minuten Mittagspause machen. So steht es im Arbeitsschutzgesetz. Laut aktueller Corona-Verordnung dürfen Gastronomen im November Speisen und Getränke aber nur zum Mitnehmen anbieten. Ein Spaziergang durch die Innenstadt gibt Einblicke, wie Menschen ihre Pause verbringen – wenn etwa die Domtreppen als Bänke herhalten müssen und ein trockengelegter Brunnen als Stehtisch genutzt wird.
Ronald Hindmarsh steht am Rande des Liebfrauenkirchhofs, in der Hand hält er das letzte Stück seiner Pizza. „Normalerweise verbringe ich meine Mittagspause im Q 1 oder einem anderen Lokal, in dem man sich hinsetzen kann“, sagt der Heilpraktiker. „Ich treffe mich sonst in meiner Pause auch gerne mit Freunden, die in der Nähe leben oder arbeiten.“ Überwiegend alleine zu essen, störe ihn nicht wirklich, als einschränkend empfindet er die Situation trotzdem. „Mir fehlt die Auswahl.“
Andrea, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen möchte, hat sich orientalische Vorspeisen geholt. Die isst sie am Neptunbrunnen auf dem Domshof, aus dem zurzeit kein Wasser fließt. „Die Mittagspause ist spaßbefreit“, sagt die Angestellte. Sonst habe sie sich gerne in der Kantine verabredet, nun gebe es das Mittagessen am Schreibtisch. „Ich schmeiße mir den Rest morgen in die Mikrowelle und werde nebenbei essen. Eigentlich mache ich im Moment gar keine richtige Mittagspause mehr“, sagt sie.
„Wir essen fast immer in der Stadt“, sagt Isabel Cessa. Sie und ihre Kollegin Lisa Spatzier haben sich eine Sushi-Schale in der Markthalle Acht gekauft. Wo sie die Röllchen essen werden, wissen sie noch nicht. Tische und Stühle, die ansonsten Platz für bis zu 200 Leute bieten, wurden abgesperrt oder weggeräumt. „In der vergangenen Woche haben wir uns Pommes geholt. Mit denen sind wir dann spazieren gegangen“, sagt Cessa. Die Tüte Pommes rot-weiß, ein Crêpe mit Zimt und Zucker, Bratwurst mit Senf. Das Mittagessen gleich auf die Hand serviert zu bekommen, bietet sich an, wenn die Gastronomie nur Essen zum Mitnehmen verkaufen darf. „Schade, dass es nun immer Wegwerfpackungen sind“, sagt Spatzier.
Unfreiwillige Pausenorte
Das findet auch Ulrich Benjes. Er und seine Frau Silke haben zwei Portionen Tofu mit Gemüse bei Phở Mama bestellt und warten etwas abseits der Schlange auf ihr Essen. „Die Müllproblematik ist eine Katastrophe. Normalerweise bringe ich konsequent meine eigenen Dosen mit“, sagt Ulrich Benjes. Doch die würden viele Gastronomen zurzeit nicht annehmen. „Wir arbeiten in verschiedenen Büros und treffen uns ab und zu in der Mittagspause“, sagt die Ehefrau. An diesem Mittag essen sie dennoch getrennt. „Mein Mann wird sich auf eine Bank in den Wallanlagen setzen. Ich gehe zurück ins Büro, mir ist das zu kalt.“
"Alle Speisen zum Mitnehmen" ist auf der Kreidetafel vor Achim's Beckshaus zu lesen. Am Eingang steht der Fahrer eines Lieferdienstes und tippt eine Adresse in das Navi seines Smartphones. "Das Mittagsessen ist normalerweise unser Geschäft", sagt Inhaberin Setareh Ghofrani. "Vorher hatten wir kaum Außer-Haus-Verkauf, jetzt haben wir umgestellt. Das Angebot wird aber nicht gut angenommen, das Geschäft läuft nur mäßig." Der Genuss beim Essen fehle, ist die Inhaberin überzeugt. "In der Mittagspause essen zu gehen ist eine Möglichkeit, den Kopf von der Arbeit freizubekommen, sagt die Gastronomin. "Jetzt muss man im Büro sitzen und essen."
Vor dem Café Minkens mit Blick auf die Stadtmusikanten stehen mehrere Menschen, Kaffeebecher in der Hand. Der kurze Kaffeegenuss im Stehen, bevor es schließlich wieder zurück an die Arbeit geht. „Nach dem Mittagessen kamen zum Glück ein paar Leute“, sagt Inhaber Kenan Tiryaki. „Meine Angestellten sind jetzt alle zu Hause, aber ich muss den Laden am Laufen halten.“ Wenigstens die Miete und Bankverpflichtungen will Tiryaki bezahlen können – und noch ist er zuversichtlich. „Ich habe große Hoffnung für den Frühling. Die Kunst ist es, bis dahin durchzuhalten“, sagt er.
Bremer sind mehr zu Hause
„Die Innenstadt ist Bremens größtes Gewerbegebiet“, sagt Olaf Orb von der Handelskammer. 60.000 sozialversicherungspflichtige Menschen arbeiten laut Orb zwischen Hauptbahnhof, Ostertor und der Alten Neustadt. In der Altstadt seien es 35.000. Dazu kämen Freiberufler. Seit Beginn der Corona-Krise sind deutlich weniger Menschen in der City unterwegs. Der WESER-KURIER hat anonymisierte Nutzerdaten von Google und Apple ausgewertet, die Einblicke in die Bewegungsmuster der Menschen geben. Bremerinnen und Bremer verbrachten laut den Messungen von Google während des Lockdowns von März bis April im Schnitt über 15 Prozent mehr Zeit zu Hause als noch vor der Pandemie. Gleichzeitig sank die verbrachte Zeit an der Arbeitsstelle drastisch. Nach Messungen des Statistikportals „Hystreet“ waren in der Obernstraße in den ersten Oktoberwochen nur halb so viele Menschen unterwegs wie im selben Zeitraum des vergangenen Jahres. Die Daten zeigen, dass die Zahlen Ende Oktober noch weiter gesunken sind.