Kein Wunder, dass die Post Probleme hat: Wenn sich ein Zusteller auf seiner Tour abstrampelt, ohne von der Stelle zu kommen, fast überfahren wird und sich mehrfach überschlägt, können Briefe nicht pünktlich im Kasten sein. Trotzdem wird der Briefträger entlassen. Adieu, Post, hallo, Publikum: Felix Ahlert aus Berlin hat sich beim Auftakt der Werkstatttournee "Von Nord nach West" vor der "Schaulust" vom gehetzten Zusteller in einen Zirkusstar verwandelt, ähnlich gefeiert wie das Bremer Duo "Flexoncirc".
Die Nummer "Mr. Postman" entwickelt sich langsam, doch als vermutlich schon die Ersten denken, das sei kinderleicht, geht die Post ab. Felix Ahlert legt Tempo vor, stapelt gelbe Plastikkisten, springt aus dem Stand über vier von ihnen, als wäre das nichts, schlägt Salti auf dem aufgebockten Postrad und lässt sich von Zuschauerin Christina Rollen und Kisten für Rola Bola anreichen. Zum guten Schluss noch einen Ring, durch den er beim Balancieren klettern will. Mit jedem Kunststück steigt der Respekt.
Bremer Duo begeistert
"Unfold untold", das zweite Stück des Abends, versetzt das Publikum in Begeisterung. Das Bremer Duo „Flexoncirc“ verkörpert die pure Harmonie und Spielfreude, und das kommt sehr gut an. Ob sie sich nun unter dem Schlappseil hindurch rollt, kurz bevor er als Seiltänzer den tiefsten Punkt erreicht hat, ob sie Reifen um ihre Arme kreisen oder sich von ihrem Partner stemmen lässt – alles soll mühelos wirken und verlangt doch hohe Konzentration und sehr viel Training. Beim Schlussapplaus ist Louise und Daniel Relle anzusehen, was den beiden das Straßentheater bedeutet, ein Beruf, in dem Profis flexibel sein müssen – und nicht nur die Elastikakrobatinnen unter ihnen.
Immer wieder dienstags ab 20 Uhr testen im Juli Profis ihre neuen Nummern vor der "Schaulust" am Güterbahnhof. Seit 2012 vor einem Publikum, das meist für alles offen ist und nach der Vorstellung bereitwillig Gage zahlt. „Da stehen die Städte im Wettbewerb“, feuert Organisator Markus Siebert alias Clown Knäcke die Straßentheaterfans an, auf dass es im Hut eher knistert, als klimpert. Wer will sich schon nachsagen lassen, dass die in Löhne mehr löhnen. Oder dass Zirkuskunst eine brotlose Kunst wäre.

Nach der Show ist das Publikum gefordert: Organisator Markus Siebert (Mitte) animiert dazu, die Kleinkunst anständig zu honorieren.
Das Programmheft "Von Nord nach West" ist voller Höhepunkte: Am Dienstag, 4. Juli, zeigt die französisch-deutsche Compagnie "Hein?" ihre Jonglage-Nummer "Unnecessary Violence" (Unnötige Gewalt) und der tschechische Artist Roman Skadra seinen "Absurd Hero", einen Helden, inspiriert von Buster Keaton und Albert Camus. Am 11. Juli sind die Berliner "Canaval Twins" mit "Twin Beats" zu hören und zu sehen, aber auch die Kölner Clownin Sabeth Dannenberg. Und am 18. Juli haben die Akrobatin Dana Augustin aus Slowenien und das preisgekrönte Frankfurter Duo "Theatro Artistico" ihren großen Auftritt.
Ein Abend als Zugabe
Von Bremen aus gehen sie alle auf Tournee: über Osnabrück, Mülheim an der Ruhr und Löhne nach Arnsberg, Wuppertal, Dinslaken, Kronberg im Taunus und Troisdorf. Aus den vier Städten, die es 2012 waren, sind neun geworden. Das Konzept von Gert Rudolf (Mülheim) und Markus Siebert, der im Viertel lebt, ist aufgegangen: Ihre Tourneereihe sei europaweit "eines der größten Veranstaltungsprojekte zur Förderung neuer Straßentheaterproduktionen", schreiben die befreundeten Künstler, zu deren Netzwerk auch ein Festival in Ljubljana zählt: Seit Jahren vermitteln sie deutsche Künstlerinnen und Künstler nach Slowenien und slowenische nach Deutschland.
Außer der Reihe sei diesmal in Bremen eine fünfte Show vor der "Schaulust" geplant, verrät Jürgen Demant, als er am ersten Abend eben noch ein paar Klappstühle aufs Pflaster stellt. Am Dienstag, 25. Juli, wird der gebürtige Hesse um 20 Uhr bei der Bremer Zugabe dabei sein, im Wechsel unter anderem mit Martin Bogus, Merle Freud, Swantje Theesfeld, Sarah Behrens, Moritz Salger und Mika Schnapper. Und wenn Markus Siebert, der den Juli über beim "Kleinen Fest im großen Garten" in Hannover spielt, wieder in der Stadt ist, treten er und Jürgen Demant am Freitag, 11. August, um 18 Uhr in der Kulturreihe "Sommer Summarum" im Rhododendronpark auf. Als "Digger & Dig", ein Duo, das musikalisch durch dick und dicker geht.