„Ich habe zu singen begonnen, noch ehe ich sprechen konnte“, heißt es in dem Song „Thank you for the music“ der schwedischen Band „Abba“. Dass viele Menschen zuerst zu singen beginnen, bevor sie sprechen, sei wissenschaftlich erwiesen, sagt Ulrike Petritzki, neue Direktorin der Musikschule Bremen. Musik spiele von Anfang an eine zentrale Rolle in der menschlichen Entwicklung. Das gelte es schon früh zu fördern, unterstreicht sie: „Die musikalische Früherziehung liegt mir ganz besonders am Herzen. Deshalb möchte ich, dass wir sobald wie möglich wieder die Kooperationen mit Kitas intensivieren. Mir geht es besonders um Nachhaltigkeit, und das ist eben mehr, als nur auf ein Projekt hinzuarbeiten“.
Ohnehin ist Ulrike Petritzki davon überzeugt, dass die gegenwärtige Krise den Wandel von der Leistungsgesellschaft hin zu mehr Empathie und Selbstreflexion in einer auf Kooperation basierenden Gesellschaft bewirken könne. Die Auseinandersetzung mit den schönen Künsten trage dazu bei, die Urteilskraft und die Demokratiefähigkeit zu stärken, so Petritzki. Nicht von ungefähr ist ihr Motto „Gemeinsam stark“.
Ulrike Petritzki ist gekommen, um zu bleiben. Die Musikpädagogin leitete 23 Jahre lang die Musikschule des Landkreises Verden. Zum 1. Februar ist die studierte Hochschullehrerin zur Direktorin der Musikschule Bremen berufen worden. Damit ist der erste Schritt in Richtung Kontinuität gemacht, wie es sie unter Leitung von Heiner Buhlmann über Jahrzehnte hinweg gab. Ulrike Petritzki ist in der Geschichte der Musikschule die zweite Frau, die das Bildungsinstitut leitet. Nach dem Kurzgastspiel von Daniel Keding, der die Musikschule von 2013 bis 2015 leitete, war die Stelle vakant, zunächst sprang der stellvertretende Direktor Andreas Lemke ein. Nachdem er im Mai 2020 in Pension gegangen war, folgte Referatsleiter Ralf Perplies als weitere Interimslösung.
Ulrike Petritzki muss sich weiter um Personalfragen kümmern, zumal die Stellvertreter-Position weiterhin vakant ist. Das Telefon steht nicht still, es gibt Mail-Anfragen, eine Konferenz jagt die nächste. Für den Neuanfang in der Musikschule steht auch, dass sie bereits zum 1. Januar 2020 wieder in einen staatlichen Betrieb überführt worden ist.
Den bis dahin freiberuflich tätigen Lehrkräfte wurde angeboten, in ein Angestelltenverhältnis zu wechseln. Bis auf 17 machten alle 120 Lehrkräfte von dieser Möglichkeit Gebrauch. Ihre Gehälter wurden während der Pandemie vom Kultursenator weiter gezahlt. Denn der Betrieb steht auch in der Musikschule keineswegs still.
Digital ersetzt nie persönlichen Kontakt
Viele Unterrichtseinheiten habe man pandemiebedingt ins Digitale verlagern müssen, aber einige würden mit Abstand und mit Hygiene-Maßnahmen in Präsenz abgehalten, so die Direktorin. Auch das Jugendsinfonie-Orchester, das gerade eine neue CD eingespielt hat, darf in einer weiträumigen Halle am Flughafen proben, ohne Bläser. Die Chorarbeit ist bis auf Weiteres auf Eis gelegt. Die virtuelle Variante von Musik könne keinesfalls den persönlichen Kontakt, die besondere Resonanz, das Gesehen- und Wahrgenommen-Werden durch das Gegenüber ersetzen, betont Petritzki. Und das gelte nicht nur für den Unterricht, auf den sie so viel Wert lege, sondern auch für das sinnliche Live-Hörerlebnis, das sich heilend auf Körper, Geist und Seele auswirke, sagt die Direktorin, die darüber hinaus auch ausgebildete Musik-Therapeutin ist. Das Live-Hörerlebnis sei ein tief berührendes, elementares Erlebnis, das gegenwärtig von so vielen Musik-Fans schmerzlich vermisst werde.
In der Musikschule ist die Hoffnung groß, dass es erneut möglich sein wird, einen Freiluft-Kultursommer unter Pandemie-Bedingungen zu veranstalten. Ein Termin ist jedenfalls schon fest gesetzt: die Bürgerpark-Promenade am 11. Juli, bei der die unterschiedlichen Ensembles der Musikschule zu erleben sein werden. Die Premiere 2020 sei ein großer Erfolg gewesen.
In vielen Stadtteilen lege die Musikschule die Basis für musikalische Aktivitäten, etwa in Osterholz-Tenever, wo auch das Zukunftslabor der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen seinen Sitz hat. Die Basis-Arbeit in allen Stadtteilen und Altersgruppen gelte es noch zu intensivieren, kündigt Petritzki an.
Einer Umfrage des Deutschen Musikrates zufolge trägt sich jeder fünfte Musik-Studierende wegen der unkalkulierbaren, beruflichen Zukunft, ernsthaft mit dem Gedanken, das Studium an den Nagel zu hängen. Auch das hätte langfristige Folgen für die Musikschule, die mit Hospitanten von der Hochschule für Künste kooperiert. Noch mehr Sorgen macht sich die Direktorin der Musikschule allerdings noch um ganz andere Langzeit-Folgen: Schülerinnen und Schüler wüchsen seit Beginn der Pandemie in dem Bewusstsein auf, dass es gefährlich sei, im Chor oder überhaupt zu singen oder ein Blechblas-Instrument zu spielen, das könne auch weitere, negative Auswirkungen auf die Entscheidung haben, zu musizieren.