Aufmerksam scheint er Flanierende und Gottesdienstbesucher aus goldschimmernden Augen zu fixieren. Ein zartes Lächeln umspielt dabei seine Lippen. In der christlichen Ikonografie steht der Erzengel Michael für den Kampf gegen das Böse. Unzählige Male ist er als Drachentöter dargestellt worden.
Den Heiligen Michael, der da jetzt prominent vor der St. Michaelis-Gemeinde am Doventorsteinweg platziert worden ist, umgibt eine andere Aura. "Er hat auch schon etwas Verletzliches, als wüsste er, was Angst bedeutet", räumt Bildhauer Reinhard Pontius ein, obwohl Michael mit seinen 2,90 Metern und 500 Kilogramm Gewicht von imposanter Größe ist. Der eine Flügel ist kleiner als der andere, in den der Dresdner Bildhauer farbiges Glas eingebaut hat. San Michele, wie er in Italien genannt wird, ist hier der sanfte Friedens- und Lichtbringer und Hoffnungsspender. Eine Hand streckt er seinem Gegenüber fast schon schüchtern entgegen.
Dass er ausgerechnet zur Vorweihnachtszeit in Bremen gelandet ist und bis Ende Februar 2022 bleiben wird, das hat schon etwas von einer glücklichen Fügung. Gemeinden, die nach dem Namenspatron benannt sind, bekommen dieser Tage einen Anruf, ob sie gern den großen Engel vor ihrer Kirche aufstellen wollen. So war es auch bei Pastorin Annette Quade, die erfreut zusagte.
Man könne den Drachen, den der Erzengel bei vielen Darstellungen unter den Füßen habe, auch als Metapher für die Angst interpretieren, mit der es umzugehen und die es zu besiegen gelte, sagt der Künstler, gerade auch im Hinblick auf die angespannte, pandemische Lage. Zumal dieser Engel so eine ganz andere Aura hat als der Michael, der auf dem Platz am Doventor stand, als die alte 1900 erbaute Michaelis-Kirche 1944 im Feuersturm verbrannte. Die martialische Statue, bewehrt mit Rüstung und Schwert, überstand das Inferno und steht heute vor der Eggestorff-Stiftung in Osterholz. Die neue St. Michaelis-Kirche wurde dann am ersten Advent 1966 eingeweiht
Der Heilige Michael, den Pontius auf Reisen geschickt hat, ist zuvor schon in sechs Städten gewesen. Und im Herbst nächsten Jahres ist dann der große Flug nach Großbritannien geplant. Dann soll der Heilige Michael auf der Insel Sankt Michaels Mount vor Cornwall und in Coventry weilen. Pontius' Traum ist es, seinen Friedensbringer auch in Polen, Sankt Petersburg und in Babi Jar in Kiew aufzustellen, wo SS-Männer 1941 das größte Einzelmassaker des Holocaust verübten. Der Bildhauer freut sich, dass seine Kunstaktion von der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen finanziell unterstützt wird.
Und er erzählt, wie es dazu kam, dass er die Skulptur des Michael schuf: "Der Engel ist bei einem Bildhauer-Symposium aus einer der Eichen entstanden, die vor dem Bau der Dresdner Waldschlösschenbrücke am dortigen Elbufer gestanden hatten." In Dresden sei der Bau dieser Brücke sehr kontrovers diskutiert worden. Schließlich habe die Stadtgesellschaft tiefe Risse bekomme und darüber hinaus Dresden seinen Unesco-Weltkulturerbe-Titel verloren.
"Das Symposium wollte ein versöhnliches Zeichen setzen: die Baumstämme, an die sich damals Menschen aus Protest gekettet hatten, verwandelten sich zwölf Jahre nach der Fällung in zehn sehr verschiedene Engel", erzählt Pontius. 2018 seien sie dann einen Monat lang während der Osterzeit gegenüber des Dresdner Rathauses als Friedensboten aufgestellt worden. Die Idee des Friedensboten ließ ihn nicht mehr los. So entstand die Idee, seinen Engel auf Reisen zu schicken. Nicht zuletzt, um Brücken zwischen den Religionen zu bauen. Oder, wie es Pastorin Annette Quade voradventlich zitiert: "Denn er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen".