Jutta Fernholz ist erleichtert. In den vergangenen Wochen hat sich die ehemalige Schulleiterin oft hilflos gefühlt, wenn sie ihre 95-jährige Mutter nicht sehen durfte. „Ich habe sehr darunter gelitten“, sagt sie. Wie viele Angehörige konnte sie wegen der seit Mitte März geltenden Besuchsverbote in den Bremer Pflegeheimen nur noch telefonisch Kontakt mit ihrer Mutter aufnehmen; wie viele andere Angehörige hat sie das extrem belastet. Das soll mit den Lockerungen der Besuchseinschränkungen, die ab diesem Mittwoch gelten, nun ein Ende haben.
Fernholz' Mutter lebt in einer Wohnung in einer Residenzeinrichtung, eine Mischung aus betreutem Wohnen und Pflege. Normalerweise hilft sie ihr im Haushalt und beim Duschen, erledigt Wege für die Mutter. Vor Corona, sagt die Tochter, habe sie oft diese Mischung aus Pflege- und Haushaltsaufgaben übernommen, ab dem Besuchsverbot sei damit Schluss gewesen. Fernholz konnte nur noch Wäsche an der Tür entgegennehmen oder Einkäufe abstellen. Viele der Aufgaben, die sie sonst bei ihren Besuchen dreimal pro Woche erledigte, übernahm das Personal des Trägers. „Das hat gut geklappt“, sagt sie.
Weil die alte Dame aber im Rollstuhl sitzt, „ansonsten aber total fit und kommunikativ ist“, sorgte sich Fernholz vor allem um die seelische Gesundheit ihrer Mutter. Denn Spaziergänge an der frischen Luft gingen eigentlich nur in Begleitung. Das habe die Mutter vor allem deshalb belastet, weil andere, mobilere Bewohner der Residenz immer noch nach draußen gingen, während die 95-Jährige zu Hause bleiben musste. „Das war kaum auszuhalten“, sagt die Tochter. Auch deshalb freut sie sich auf die Lockerungen: Nun seien die Spaziergänge endlich wieder möglich.
Belastungen für Betroffene
Reinhard Leopold, Regionalbeauftragter der Bundesinteressenvertretung für alte und pflegebetroffene Menschen (BIVA), erklärt, dass das Kontaktverbot von Angehörigen unterschiedlich aufgenommen worden sei. Viele fänden den Schutz der Bewohner zwar gut, allerdings sei aus ihrer Sicht problematisch, dass sie nicht mehr mitbekämen, was in den Einrichtungen passiere. Auch sei die Belastung für das Personal gestiegen, da einige Angehörige bei ihren Besuchen auch immer wieder Aufgaben und Erledigungen übernähmen. Die Lockerungen sind deshalb aus seiner Sicht überfällig. „Fakt ist, dass die Isolation etwas mit den Menschen macht.“ Von den Pflegebedürftigen werde sie oft als Strafe empfunden, weil sie sich allein gelassen fühlten, den Angehörigen gehe es ähnlich.
Dieter Prasse hat wegen des Besuchsverbotes nicht die Möglichkeit gehabt, sich von seiner Tante zu verabschieden: Nur eine Woche nach den Besuchsbeschränkungen verstarb die 96-Jährige, ohne dass die Angehörigen sie noch einmal sehen konnten. In dem Pflegeheim arbeiteten viele Zeitarbeiter, sagt er, die demente Frau habe deshalb in ihren letzten Tagen mutmaßlich oft mit Fremden zu tun gehabt. Zwar durften er und seine Frau danach von der Toten im Heim Abschied nehmen, ganz logisch sei ihm das aber nicht vorgekommen. „Die Menschen werden um einen würdigen Tod betrogen“, sagt Prasse. Auch seine 100-jährige Mutter lebe in einem Pflegeheim, bei ihr bemerke er in Telefonaten, dass ihre Demenz durch die fehlenden Besuche immer schlimmer werde. „Die Regelungen waren idiotisch“, sagt er.
Peer-Alexander Kulla hingegen hat zwar Verständnis für die Besuchseinschränkungen, allerdings hat er sich in den vergangenen Wochen aus anderen Gründen um seine Mutter gesorgt: Wegen der Kontaktverbotes habe das Personal viele Bewohner daran gehindert, das Haus für Spaziergänge zu verlassen oder sich im Garten aufzuhalten. Das sei zu gefährlich für sie, so die Begründung. „Es ist erschütternd, das man die alten Herrschaften daran hindert, das Haus zu verlassen.“ Seine 82-jährige Mutter habe zwar körperliche Einschränkungen, geistig sei sie aber noch fit. Gerade an den sonnigen Tagen sei die Ausgangssperre eine zusätzliche Belastung zu den Besuchsverboten gewesen.
Knapp sechs Wochen konnte Kullas Mutter nicht an die frische Luft, das habe sie selbst und auch ihn belastet. Als ihr dann noch ein Besuch beim Zahnarzt verwehrt wurde, schritt Kulla ein; seit knapp einer Woche darf seine Mutter nun jeden Tag in den Garten – als einzige Bewohnerin, wie der Sohn sagt.
Neben den Lockerungen hat der Senat beschlossen, die Arbeit des Pflegepersonals zu würdigen: Von einem vom Bund angekündigten Corona-Pflegebonus von 1500 Euro für jeden Beschäftigen will Bremen ein Drittel übernehmen.
Besuch mit Einschränkungen
Wenn ab diesem Mittwoch die Besuchsregeln gelockert werden, geht jede Pflegeeinrichtung mit einem eigenen Konzept an den Start, um Hygiene- und Abstandsregeln zu gewährleisten. Grundsätzlich gelten in allen Einrichtungen strenge Auflagen: Einzelpersonen ab 16 Jahren für bis zu zwei Stunden am Tag können nach Terminabsprache wieder ihre Lieben besuchen.
Sie dürfe keine Corona-Symptome zeigen, müssen nach Möglichkeit einen Mund-Nase-Schutz tragen und den Abstand von 1,50 Metern einhalten. Dafür sollen die Einrichtungen Barrieren oder Trennwände aufstellen, die Zimmer der Bewohner sollen Gäste nach Möglichkeit nicht betreten. Außerdem müssen sich Besucher beim Betreten und Verlassen des Heims registrieren lassen.