Als es Bernd Eberle sehr schlecht ging, war da keiner, der ihm Mut machte. Keine Freunde, die ihn aufbauten. Kein Arzt, der eine Chance für den psychisch schwer Erkrankten sah, in ein „normales“ Leben zurückzukehren. Das war vor 20 Jahren, erzählt Eberle. Er hat einen langen Genesungsweg hinter sich, heute kümmert er sich um psychisch Kranke, die diesen Weg noch vor sich haben.
Eberle ließ sich in Bremen als Genesungsbegleiter ausbilden. Mit diesem Wissen und seinen Psychiatrie-Erfahrungen kann er eher Zugang finden zu Menschen in seelischen Krisen. An ihm sehen sie, dass sie herauskommen können aus ihrer Erkrankung. „Für unsere Klienten sind wir Hoffnungsträger“, sagt der 49-Jährige.
Die Innere Mission in Bremen hat Eberle eingestellt. Er ist dort einer von zwei Genesungsbegleitern mit einer Halbzeitstelle, regelmäßig besucht er Menschen mit psychischer Erkrankung in ihrer Wohnung oder WG, manchmal auch in der Klinik. Mit den hauptamtlichen Betreuern arbeitet er dabei eng zusammen. Dass er selbst eine schwere Krise durchgemacht hat, erleichtert es vielen Betroffenen, mit ihm über ihre Krankheit zu sprechen. Eberle möchte Anstöße zur Selbstheilung geben, sagt er, ihre positiven Ressourcen fördern.
Bremen als Vorreiter
Bremen ist Vorreiter dieser Genesungsbegleitung in Deutschland. Inzwischen wird die Ausbildung an rund 50 Standorten nach einheitlichem Lehrplan angeboten. Jörg Utschakowski, heute Psychiatriereferent des Landes, hat die Idee ab 2005 mit entwickelt. Er brachte das sogenannte Ex-In-Projekt auf den Weg, Ex-In steht für „Experienced Involvement“ (Einbeziehen von Betroffenen).
In Bremen bildet die Initiative „Fokus“ Psychiatrieerfahrene zu Genesungsbegleitern aus, gut ein Jahr dauert die Qualifizierung. Mittlerweile arbeiten im Bundesland mindestens 25 Ex-In‘ler, sagt Utschakowski – in Krankenhäusern, Tageskliniken oder der ambulanten psychiatrischen Betreuung. Das Klinikum Reinkenheide in Bremerhaven beschäftige acht Genesungsbegleiter – „bundesweit einmalig“.
Sie alle haben sich wie Bernd Eberle aus Krisen befreien können. Er erinnert sich an die Zeit, „als mein ganzes Leben in sich zusammenfiel“. Beruflich hatte er noch nicht richtig Tritt gefasst, die Freundin war schwanger, als er erkrankte und in die Psychiatrie eingewiesen wurde. „Im Anschluss bekam ich eine schwere Depression.“ Die Frau trennte sich von ihm. „Sie war weg, das Kind und auch der Job. Von Freunden war ich enttäuscht.“ Wie ein Misthaufen sei ihm sein Leben damals vorgekommen. Er habe sich selbst stigmatisiert, sich nicht mehr angenommen, für irre erklärt.
Über seinen Recovery-Weg, wie er es nennt, mag der 49-Jährige nicht reden. Dieser Prozess des Wiedererstarkens könne manchmal lange dauern, sagt er lediglich. 2003 zog Eberle nach Bremen, und es dauerte noch ein Dutzend Jahre, bis sich eine neue Chance für ihn auftat. 2016 sprach ihn sein Psychiater auf das Ex-In-Projekt an. Ob das nicht etwas für Eberle sei? Dessen Interesse war geweckt. „Bedingungen für die Ausbildung zum Genesungsbegleiter sind eine gewisse psychische Stabilität und Krisenerfahrung“, sagt er. Beides bescheinigte ihm sein Arzt. Eberle bewarb sich bei „Fokus“, wurde angenommen und begann im August 2016 mit den Kursen.
„Ein Problem war zunächst, wie finanziere ich das?“ Eberle hatte Glück, weil die Bremer Landesregierung damals Geld für die Psychiatriereform gab. Er bekam ein Stipendium, Voraussetzung war, dass er anschließend in einer sozialen Einrichtung arbeitet. Landesmittel flossen auch an freie Träger von Einrichtungen für psychisch Erkrankte, sie richteten damit unter anderem Stellen für Gesundungsbegleiter ein.
Heute müsse die Ausbildung meist selbst bezahlt werden, sagt Utschakowski, Vorstandsmitglied des Ex-In-Vereins in Deutschland. Er würde das Projekt gern ausbauen und verweist auf eine bremen-interne Auswertung. Danach habe sich die Zusammenarbeit im Betreuerteam ebenso verbessert wie die Ansprache der Klienten und deren Behandlungserfolg.
„Eine persönliche Beziehung kommt schneller zustande“, sagt auch Eberle. Ihm liegt viel daran, dass seine Klienten herauskommen „aus ihrem Schneckenhaus“ und das machen, was sie noch können. „Damit nimmt man schon viel Leid von der Seele.“ Für ihn steht fest: „Es gibt keinen Menschen, der ganz gesund ist, und keinen, der völlig krank ist. Wir befinden uns immer in einem Zwischenbereich.“ Deshalb sei es wichtig, den „gesunden Teil“ psychisch Erkrankter zu sehen und sie nicht vorschnell abzustempeln.