Herr Villbrandt, 2021 war die weitere Finanzierung der Arbeit ihres Awareness-Teams zunächst noch nicht abgesichert, wie sieht es jetzt aus?
Kai Villbrandt: Wir sind jetzt bis Ende 2022 finanziell abgesichert. Von Seiten des Beirates ist uns signalisiert worden, dass die Finanzierung eines zweiten Awareness-Teams sehr gewollt ist, das dann entlang des Osterdeiches eingesetzt werden könnte.
Seit wann ist Ihr Awareness-Team im Viertel im Einsatz? Awareness kommt ja aus dem Englischen und steht für Bewusstsein.
Nachdem unser Awareness-Konzept 2019 auf der Breminale angewandt worden war, wurden wir Mitte September 2021 von der Polizei am Werder-See angefragt, wo es zu Vorfällen sexueller Übergriffe gekommen war. Anschließend gab es eine entsprechende Anfrage von Seiten der Innenbehörde. Die Absprachen liefen dann über Ortsamtsleiterin Hellena Harttung und den Beirat Östliche Vorstadt. Seit Ende September 2021 sind wir im Viertel regelmäßig im Einsatz.
Zu welchen Zeiten?
An den Wochenenden und auch vor Feiertagen, beispielsweise vor Ostern oder Pfingsten, jeweils für sechs Stunden, von 22 Uhr bis vier Uhr morgens.
Wer ist im Viertel für Sie unterwegs, sind es Frauen oder Männer?
Wir setzen künftig auf gemischte Teams, momentan sind de facto mehr Frauen im Awareness-Bereich unterwegs, die noch mehr Einfühlungsvermögen für sexualisierte Übergriffe mitbringen. Männliche Mitarbeiter befinden sich gerade noch in der Schulung.
Sind Ihre Mitarbeiterinnen schon Respektlosigkeiten und Belästigungen ausgesetzt gewesen?
Ja, das ist durchaus schon vorgekommen, bis sie sich per Ausweis als Awareness-Mitarbeiterin zu erkennen gegeben haben. Aber auch dann ist es von Vorteil, wenn sie für solche Situation einen männlichen Kollegen an der Seite haben.
In einer Beiratssitzung wurde von sogenannten Cat-Calling-Übergriffen berichtet. Es gibt ja auch eine Instagram-Adresse unter dem Titel "Cat calling of Bremen", unter der sich betroffene Frauen zusammengetan haben. Unter Cat Calling versteht man eine anzügliche, vulgäre und abwertende Ansprache, mit der junge Frauen unter anderem zum Geschlechtsverkehr aufgefordert werden, so war es in einem Instagram-Video zu sehen.
Ja, soweit muss es aber nicht immer kommen. Das fängt schon viel früher an. Dann nämlich, wenn sich eine Frau mit sogenannten, zweifelhaften Komplimenten wie lauten Kommentaren zu ihrem Aussehen oder dem Hinterherpfeifen unwohl fühlt. Und das kommt ganz schön häufig vor, wie mir von Freundinnen berichtet wird. Oft werden solche Situationen ja heruntergespielt und nicht ernst genommen. Bei großen Menschenansammlungen verschwinden die oder der Täter einfach in der Menge. Es geht darum, dass sie das einfach nicht mehr so unbehelligt tun können. Denn die betroffene Frau bleibt allein mit dieser unguten Übergriffserfahrung zurück. Dagegen wollen wir aktiv etwas tun, indem wir deeskalierend eingreifen. Wir wollen den Frauen ein Sicherheitsgefühl geben.
Wie kann diese Hilfe konkret aussehen?
Je nachdem, wie schlimm ein Übergriff war oder der Grad der Hilflosigkeit einer Person durch Drogen- oder Alkohol-Einfluss ist, warten wir mit ihr gemeinsam, bis Rettungswagen oder Polizei kommen oder bis sie von einer Vertrauensperson abgeholt wird. Wir sind auch schon gebeten worden, Frauen, die sich nachts unsicher fühlen, zu ihrem Auto oder zum nächsten Taxenstand zu begleiten. Die haben dann unsere Nummer angewählt, die auf den Visitenkärtchen abgedruckt ist, die in Kneipen im Viertel ausliegen. Oft wird schon eine Verbesserung der Lage dadurch erreicht, dass offen angekündigt wird, dass ein Awareness-Team vor Ort ist. Wir befinden uns da in enger, guter Zusammenarbeit mit Hellena Harttung. Generell soll der Bekanntheitsgrad unserer Arbeit aber noch gesteigert werden.
Sind Sie selbst auch schon einmal Zeuge von Cat-Calling-Übergriffen geworden?
Ja, als ich im Viertel mit meinem Hund draußen war, da sind drei junge Männer mit heruntergekurbeltem Auto-Fenster im langsamen Tempo an drei Frauen vorbeigefahren und haben anzügliche Bemerkungen gemacht. Als die mich näher kommen sahen, sind sie dann verschwunden. Oder ein anderes Mal, als zwei junge Frauen in der Dunkelheit auf dem Weg vom "Eisen" zum "Lagerhaus" von Typen verfolgt worden sind. Ich habe das zufällig beobachtet und die Männer daraufhin angesprochen.
Wenn Sie persönlich privat unterwegs sind, dann werden Sie also durchaus auch aktiv, wenn Ihnen etwas merkwürdig vorkommt?
Ja, beispielsweise war ich neulich mit der Bahn unterwegs. Da saß eine Frau, die offensichtlich aufgrund von Alkoholeinfluss oder anderer Substanzen kaum noch ansprechbar war, mit drei Männern auf einer Vierer-Bank. Das Vorgehen unserer Awareness-Teams ist nun so, dass wir immer zuerst die Frau ansprechen und sie fragen, ob sie wisse, mit wem sie da unterwegs sei und ob sie mit diesen Typen überhaupt unterwegs sein will. Das habe ich dann auch so gemacht, aber es war zum Glück alles okay. Einer der Männer ist dann im Nachhinein noch auf mich zugekommen und hat sich anerkennend geäußert: "Cool, dass Du noch mal nachgefasst hast, bei uns in Frankfurt würde das nicht passieren". Wenn wir so verfahren, dann räumen die betreffenden Männer meistens das Feld oder zeigen Einsicht.