"Es dauert ungefähr fünf Minuten, dann ist alles aufgepickt", sagt Perdita Goltz. Jeden zweiten Tag verfüttert die Tierfreundin drei Kilo Körner in einer Grünanlage an hungrige Stadttauben. Das ist in Bremen erlaubt, wenn kein Körnchen liegen bleibt. Ihr freiwilliges Engagement verdeutlicht zugleich die Not der Stadttauben, für die sich die Neustädterin seit 2016 einsetzt.
Dabei wird die Vorsitzende des Vereins Bremer Taubenhaus oft übelst beschimpft. "Tauben und Möwen sind der Abschaum der Natur – und sie gehören dazu", sei für sie die schlimmste Pöbelei gewesen, erklärt die 64-Jährige.
Dieser "kollektive Hass gegen Tauben", deren Kot Fußgängerzonen, Bänke, Fenstersimse oder Mauerwerk verschmutzen und auch in Bremen ein Problem darstellt, ärgert Goltz. Die Feindseligkeit gegenüber Tauben kenne oftmals keine Grenzen. Goltz und ihre Mitstreiterinnen müssten immer wieder mal gequälte Vögel auflesen wie die Taube "Jackie", deren Kropf von einem Pfeil durchbohrt wurde und danach von einem Tierarzt verarztet werden musste.
Leid der Tauben von "Menschen gemacht"
"Wenn man seinen Blick schärft, fällt einem das Elend der Tauben sofort auf", berichtet die Tierschützerin. "Viele Stadttauben sind schwach oder verletzt." Als Goltz das vor sieben Jahren zum ersten Mal selbst bewusst beobachtet hatte, recherchierte sie im Internet und kontaktierte andere Tierschutzgruppen. Da seien ihr das ganze Ausmaß des Elends und die Gründe dafür bewusst geworden, berichtet sie. Schon als Kind sei sie tierlieb gewesen, habe sich ehrenamtlich für Tierschutz engagiert und habe auch immer einen Hund an ihrer Seite gehabt.
"Irgendwann ist mir klar geworden, dass diese Tiere Hilfe brauchen, weil ihr Leid durch Menschen verursacht wird." Aber in der Stadt fänden sie weder geeignete Brutplätze noch artgerechtes Futter. "Körner sind ihre Nahrung, nicht Döner oder alte Brötchen", sagt Goltz. "Im Kropf von Stadttauben haben wir schon Zigarettenkippen, Eicheln oder kleine Asphaltstückchen gefunden. Tauben leiden schrecklich unter Hunger."
Goltz knüpfte über soziale Medien Kontakt zu anderen Taubenrettern und vernetzte sich auch bundesweit mit Stadttaubenvereinen und deren Mitarbeitern. Parallel dazu fütterte sie regelmäßig bedürftige Bremer Tauben, kümmerte sich um verletzte Vögel und nahm sie zeitweise sogar zu Hause zur Pflege auf.
"Die erste Taube habe ich unter der Hochstraße aufgelesen, dafür mussten wir erst unter ein Auto kriechen", erinnert sie sich. 2018 gründete sie mit neun Mitstreitern den Verein Bremer Taubenhaus, Goltz war von Beginn die Vorsitzende.
"Ich bin nicht so geschickt im Umgang mit Vögeln", räumt sie freimütig ein. Deshalb konzentriert sich die Pensionärin auf Kontrollgänge, Fütterung und vor allem die Verwaltung und Spendenakquise. Schließlich wird derzeit der größte Teil des finanziellen Aufwands für Futter, Pflege und Tierarztbesuche privat getragen.
1000 Notfälle in 2022
Außerdem betreut sie rund um die Uhr das Notruftelefon. Dort könnten aufgeplusterte, geschwächte oder verletzte Tauben gemeldet werden, außerdem werde Erste Hilfe organisiert. Bei derzeit 18 Vereinsmitgliedern, von denen nur einige aktiv mitarbeiten, wenigen freiwilligen Tierschützerinnen und einem sehr beflissenen Helfer ist das eine Herausforderung. "Im vergangenen Jahr haben wir 1000 Notfälle versorgt", erklärt die Vereinsvorsitzende nicht ohne Stolz.
Allerdings seien die drei großen und vier kleinen Pflegestellen komplett belegt. Dort werden bedürftige Stadttauben aufgepäppelt und gesund gepflegt. Manchmal komme die Hilfe aber auch zu spät, dann könnten die Tiere nur noch auf dem "letzten Weg" begleitet werden. Notgedrungen hätte der Verein jetzt sogar einen Aufnahmestopp von Tauben beschlossen. "Wir suchen ganz dringend Mitstreiter", sagt Perdita Goltz. Bremen sei das einzige Bundesland ohne Wildtierstation. "Und die psychische Belastung der Pflegenden, die sich über Jahre hinweg tagtäglich aufopfernd kümmern, ist nicht zu unterschätzen."
Das Problem der Stadttauben verschärft sich für Tier und Mensch durch den angezüchteten Brutzwang. Die Tauben können bis zu sieben Mal im Jahr Nachwuchs bekommen. Deshalb verfolgt Goltz konsequent ein Ziel: ein betreutes Taubenhaus. Denn von Natur aus halten sich Tauben am liebsten in ihrem Schlag auf, sodass rund 80 Prozent des Kots dortbleibt und die Population tierschutzgerecht eingedämmt wird, weil die Eier gegen Attrappen ausgetauscht werden.
Weil auch Bremer Politiker zusehends mit Beschwerden über Stadttauben konfrontiert worden sind und ein Taubenhaus als bestmögliche Lösung erachten, hat der Senat die Mittel dafür bewilligt. Es soll auf dem Dach des Parkhauses am Brill installiert werden. "Wir stehen in den Startlöchern", versichert Perdita Goltz. Ihr Verein ist als Projektträger anerkannt und übernimmt die Betreuung.