Bremen. Mary Ocher legt viel Wert darauf, dass man sie richtig versteht. Dabei schreckt die 32-jährige Sängerin auch durchaus nicht vor provokanten Aussagen zurück: Statt „things“ (englisch für Dinge) sagt sie „bullshit“ (Quatsch) und ihre frühere Heimat, die ehemalige Sowjetunion, wird zu „that rotten place“, dieser verdorbene Ort.
Am Sonntag ab 20 Uhr spielt die Künstlerin in der Schwankhalle gemeinsam mit den beiden Schlagzeugern von Your Government Songs, die bisher unveröffentlicht sind. Ein Album und eine Single hat das Trio bereits herausgebracht und im vergangenen Jahr bei einer Tour durch mehr als zwanzig Länder vorgestellt. Die Musik ist atmosphärisch, eine Mischung aus traditionellem Folk und experimentellem Pop. Darüber legt sich Ochers kraftvolle, facettenreiche Stimme, die ein geisterhaft zittriges „Uh“ auch mal in ein aus dem Bauch geschrienes „Ah“ transformiert.
Nicht nur stimmlich, auch optisch fällt sie auf. Auf Konzerten tritt die Sängerin manchmal im langen, fransigen Brautkleid auf. Ihren Kopf ziert dann ein übergroßer Halbbogen mit Schleier. Ihr Markenzeichen sind ihre blond wallende Perückenfrisur und die überdimensionierte Großmutterbrille. Die in Berlin lebende Künstlerin provoziert und will musikalische Grenzen sprengen: „Ich finde die meisten Musikgenres sehr einengend.“
Scharfe Israel-Kritik
Doch Ocher geht es nicht nur um experimentellen Klang, sondern auch um politische Gegenwartsdiagnosen und Appelle. Zu ihrem neusten, fünften Album liefert sie deshalb einen Essay, der den Westen kritisiert. Er diskriminiere alle Menschen, die nicht den Vorstellungen der Mehrheitsgesellschaft entsprächen, lautet ihre These.
Im Gespräch wird deutlich, dass Mary Ocher selbst lange Opfer von Diskriminierung war, besonders in Israel. Als sie vier Jahre alt war, verließ sie mit ihrer jüdischen Familie Moskau und begann in der Nähe von Tel Aviv ein neues Leben. Doch Migranten aus den Ex-Sowjetstaaten waren Ocher zufolge dort nicht willkommen: „Alle Menschen um mich herum taten so, als wäre die Bevölkerung Russlands ungebildet, dreckig und arm.“
Ein Nachbar habe sogar einen Eimer Seifenwasser über sie gegossen, als sie mit acht Jahren unter seinem Fenster spielte. Heute seien in Israel besonders Menschen aus afrikanischen Staaten Opfer von Fremdenfeindlichkeit. Die Gesellschaft stütze sich auf die Schikanierung der Schwächeren, sagt sie. „Alle suchen ständig nach einem schwarzen Schaf.“
Ein Clip wie ein Meditationsvideo
Mit zehn Jahren nahm Ocher ihre ersten Songs zu Hause auf und mit 16 verweigerte sie den israelischen Wehrdienst und verließ vorzeitig die Schule. Seit zehn Jahren lebt die selbst ernannte Anarchistin in Deutschland. Ihre Musik richtet sich gegen Ausländerfeindlichkeit und Nationalismus. Ein Stück heißt etwa „Die Endlosigkeit (ein Lied für junge Fremdenhasser)“. Wer wütende Tiraden erwartet, liegt allerdings falsch. Der Musikclip erinnert eher an ein Meditationsvideo: Weiche Synthesizer erklingen, die Kamera zeigt malerische Wüsten und Felsen. „Du wirst Dinge finden, die dich erstaunen“, singt Ocher und später: „Es ist nichts mehr zum Erobern übrig.“
Weich wird die Stimme der Sängerin auch, wenn sie über Lösungen für den wachsenden Rechtspopulismus weltweit spricht. Für sie sind die Echokammern der sozialen Medien das Hauptproblem: „Wir bewegen uns nur in Blasen, in denen alle genauso denken wie wir.“ Die Menschen sollten lieber Wege finden, um aus den geschlossenen Kreisen auszubrechen. Dann wird ihr Ton wieder kämpferisch: „Wir müssen etwas außerhalb unserer Komfortzone probieren.“ Mary Ocher selbst tut das mit ihrer Musik.
Am Sonntag, 13. Januar, um 21 Uhr spielt Mary Ocher mit ihren beiden Schlagzeugern "Your Government" in der Schwankhalle. Als Support mit dabei sind "Spröde Lippen"."